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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Religion.
den Missionären ausdrücklich befohlen, sie sollten die heidnischen
Lokalgötter, sowie die zauberkräftigen Wasserquellen und dergleichen
unangetastet lassen und sich damit begnügen, sie christlich umzu-
taufen;1) noch am Ausgang unseres 19. Jahrhunderts wird sein Rat
befolgt; verzweifelt, doch ohne irgend einen dauernden Erfolg, kämpfen
noch heute edle katholische Prälaten gegen das von Rom prinzipiell
grossgezogene Heidentum.2) In jeder römischen Wallfahrtskirche be-
finden sich bestimmte Bilder, bestimmte Statuen, kurz Artefakten, denen
eine meist ganz bestimmte, beschränkte Wirkung zugesprochen wird;
oder es ist ein Brunnen, der an einer Stelle hervorquoll, wo die Mutter
Gottes erschienen war u. s. w.: dies ist uralter Fetischismus, der im
Volke nie ausstarb, von den kultivierten Europäern aber schon zu Zeiten
Homer's vollständig überwunden gewesen war. Diesen Fetischismus
hat Rom neu gestärkt und grossgezogen -- vielleicht mit Recht,
vielleicht von dem Instinkt geleitet, dass hier ein wahres und idealisier-
bares Moment vorlag, etwas, was diejenigen Menschen, welche noch
nicht "ins Tageslicht des Lebens eingetreten sind", nicht entbehren
können? -- und gegen ihn erhob sich Karl. Der Widerspruch ist
offenbar.

Was hat nun Karl in seinem Kampfe gegen Rom ausgerichtet?
Im Augenblick Manches, auf die Dauer gar nichts. Rom gehorchte,
wo es musste, widerstand, wo es konnte, und ging seinen Weg ruhig
weiter, sobald die machtvolle Stimme für ewig verstummt war.3)

Noch weniger wenn möglich als gar nichts richtete Dante aus,Dante.
dessen Reformideen weitgreifender waren und von dem sein neuester
und verdienter römisch-katholischer Biograph rühmt: "Dante hat nicht
nach Art der Häresie eine Reform gegen die Kirche, sondern durch

1) Greg. papae Epist. XI, 71 (nach Renan).
2) Aus der Fülle der Belege einen einzigen: im Jahre 1825 bezeugt der Erz-
bischof von Köln, Graf Spiegel zum Desenberg, in seinem Erzbistum sei "die wirkliche
Jesus-Religion in krassen Bilderdienst übergegangen" (Briefe an Bunsen, 1897, S. 76).
Was würde der hochwürdige Herr erst heute sagen!
3) Tausend Jahre nach Karl dem Grossen wird der Verkauf des "heiligen
Öls" als häusliches Zaubermittel mit Schwung betrieben; so zeigt z. B. eine in
München bei Abt erscheinende Zeitung: Der Armen-Seelen Freund, Monatsschrift zum
Troste der leidenden Seelen im Fegfeuer
, im 4. Heft des Jahrganges 1898, "heiliges
Öl aus der Lampe des Herrn Dupont in Tours" a 30 Pfennig die Flasche an!
Dieses Öl wird als besonders wirksam gegen Entzündungen gepriesen! (Der Heraus-
geber dieser Zeitschrift ist ein katholischer Stadtpfarrer; die Zeitschrift steht unter
bischöflicher Censur).

Religion.
den Missionären ausdrücklich befohlen, sie sollten die heidnischen
Lokalgötter, sowie die zauberkräftigen Wasserquellen und dergleichen
unangetastet lassen und sich damit begnügen, sie christlich umzu-
taufen;1) noch am Ausgang unseres 19. Jahrhunderts wird sein Rat
befolgt; verzweifelt, doch ohne irgend einen dauernden Erfolg, kämpfen
noch heute edle katholische Prälaten gegen das von Rom prinzipiell
grossgezogene Heidentum.2) In jeder römischen Wallfahrtskirche be-
finden sich bestimmte Bilder, bestimmte Statuen, kurz Artefakten, denen
eine meist ganz bestimmte, beschränkte Wirkung zugesprochen wird;
oder es ist ein Brunnen, der an einer Stelle hervorquoll, wo die Mutter
Gottes erschienen war u. s. w.: dies ist uralter Fetischismus, der im
Volke nie ausstarb, von den kultivierten Europäern aber schon zu Zeiten
Homer’s vollständig überwunden gewesen war. Diesen Fetischismus
hat Rom neu gestärkt und grossgezogen — vielleicht mit Recht,
vielleicht von dem Instinkt geleitet, dass hier ein wahres und idealisier-
bares Moment vorlag, etwas, was diejenigen Menschen, welche noch
nicht »ins Tageslicht des Lebens eingetreten sind«, nicht entbehren
können? — und gegen ihn erhob sich Karl. Der Widerspruch ist
offenbar.

Was hat nun Karl in seinem Kampfe gegen Rom ausgerichtet?
Im Augenblick Manches, auf die Dauer gar nichts. Rom gehorchte,
wo es musste, widerstand, wo es konnte, und ging seinen Weg ruhig
weiter, sobald die machtvolle Stimme für ewig verstummt war.3)

Noch weniger wenn möglich als gar nichts richtete Dante aus,Dante.
dessen Reformideen weitgreifender waren und von dem sein neuester
und verdienter römisch-katholischer Biograph rühmt: »Dante hat nicht
nach Art der Häresie eine Reform gegen die Kirche, sondern durch

1) Greg. papae Epist. XI, 71 (nach Renan).
2) Aus der Fülle der Belege einen einzigen: im Jahre 1825 bezeugt der Erz-
bischof von Köln, Graf Spiegel zum Desenberg, in seinem Erzbistum sei »die wirkliche
Jesus-Religion in krassen Bilderdienst übergegangen« (Briefe an Bunsen, 1897, S. 76).
Was würde der hochwürdige Herr erst heute sagen!
3) Tausend Jahre nach Karl dem Grossen wird der Verkauf des »heiligen
Öls« als häusliches Zaubermittel mit Schwung betrieben; so zeigt z. B. eine in
München bei Abt erscheinende Zeitung: Der Armen-Seelen Freund, Monatsschrift zum
Troste der leidenden Seelen im Fegfeuer
, im 4. Heft des Jahrganges 1898, »heiliges
Öl aus der Lampe des Herrn Dupont in Tours« à 30 Pfennig die Flasche an!
Dieses Öl wird als besonders wirksam gegen Entzündungen gepriesen! (Der Heraus-
geber dieser Zeitschrift ist ein katholischer Stadtpfarrer; die Zeitschrift steht unter
bischöflicher Censur).
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[619/0098] Religion. den Missionären ausdrücklich befohlen, sie sollten die heidnischen Lokalgötter, sowie die zauberkräftigen Wasserquellen und dergleichen unangetastet lassen und sich damit begnügen, sie christlich umzu- taufen; 1) noch am Ausgang unseres 19. Jahrhunderts wird sein Rat befolgt; verzweifelt, doch ohne irgend einen dauernden Erfolg, kämpfen noch heute edle katholische Prälaten gegen das von Rom prinzipiell grossgezogene Heidentum. 2) In jeder römischen Wallfahrtskirche be- finden sich bestimmte Bilder, bestimmte Statuen, kurz Artefakten, denen eine meist ganz bestimmte, beschränkte Wirkung zugesprochen wird; oder es ist ein Brunnen, der an einer Stelle hervorquoll, wo die Mutter Gottes erschienen war u. s. w.: dies ist uralter Fetischismus, der im Volke nie ausstarb, von den kultivierten Europäern aber schon zu Zeiten Homer’s vollständig überwunden gewesen war. Diesen Fetischismus hat Rom neu gestärkt und grossgezogen — vielleicht mit Recht, vielleicht von dem Instinkt geleitet, dass hier ein wahres und idealisier- bares Moment vorlag, etwas, was diejenigen Menschen, welche noch nicht »ins Tageslicht des Lebens eingetreten sind«, nicht entbehren können? — und gegen ihn erhob sich Karl. Der Widerspruch ist offenbar. Was hat nun Karl in seinem Kampfe gegen Rom ausgerichtet? Im Augenblick Manches, auf die Dauer gar nichts. Rom gehorchte, wo es musste, widerstand, wo es konnte, und ging seinen Weg ruhig weiter, sobald die machtvolle Stimme für ewig verstummt war. 3) Noch weniger wenn möglich als gar nichts richtete Dante aus, dessen Reformideen weitgreifender waren und von dem sein neuester und verdienter römisch-katholischer Biograph rühmt: »Dante hat nicht nach Art der Häresie eine Reform gegen die Kirche, sondern durch Dante. 1) Greg. papae Epist. XI, 71 (nach Renan). 2) Aus der Fülle der Belege einen einzigen: im Jahre 1825 bezeugt der Erz- bischof von Köln, Graf Spiegel zum Desenberg, in seinem Erzbistum sei »die wirkliche Jesus-Religion in krassen Bilderdienst übergegangen« (Briefe an Bunsen, 1897, S. 76). Was würde der hochwürdige Herr erst heute sagen! 3) Tausend Jahre nach Karl dem Grossen wird der Verkauf des »heiligen Öls« als häusliches Zaubermittel mit Schwung betrieben; so zeigt z. B. eine in München bei Abt erscheinende Zeitung: Der Armen-Seelen Freund, Monatsschrift zum Troste der leidenden Seelen im Fegfeuer, im 4. Heft des Jahrganges 1898, »heiliges Öl aus der Lampe des Herrn Dupont in Tours« à 30 Pfennig die Flasche an! Dieses Öl wird als besonders wirksam gegen Entzündungen gepriesen! (Der Heraus- geber dieser Zeitschrift ist ein katholischer Stadtpfarrer; die Zeitschrift steht unter bischöflicher Censur).

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/98>, abgerufen am 28.03.2024.