Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander, und
schritt fürder zu deren Beantwortung.

Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich er¬
kannt habe, seitdem ich den Philosophen durch die
Schule gelaufen, daß ich zur philosophischen Spe¬
kulation keinesweges berufen bin, und daß ich mir
dieses Feld völlig abgesprochen habe; ich habe seit¬
her Vieles auf sich beruhen lassen, Vieles zu wis¬
sen und zu begreifen Verzicht geleistet, und bin,
wie Du es mir selber gerathen, meinem geraden
Sinn vertrauend, der Stimme in mir, so viel
es in meiner Macht gewesen, auf dem eigenen
Weg gefolgt. Nun schien mir dieser Redekünst¬
ler mit großem Talent ein fest gefügtes Gebäude
aufzuführen, das in sich selbst begründet sich em¬
por trug, und wie durch eine innere Nothwendig¬
keit bestand. Nur vermißt' ich ganz in ihm, was
ich eben darin hätte suchen wollen, und so ward
es mir zu einem bloßen Kunstwerk, dessen zierliche
Geschlossenheit und Vollendung dem Auge allein
zur Ergötzung diente; aber ich hörte dem wohlbe¬
redten Manne gerne zu, der meine Aufmerksam¬
keit von meinen Leiden auf sich selbst abgelenkt,

die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander, und
ſchritt fuͤrder zu deren Beantwortung.

Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich er¬
kannt habe, ſeitdem ich den Philoſophen durch die
Schule gelaufen, daß ich zur philoſophiſchen Spe¬
kulation keinesweges berufen bin, und daß ich mir
dieſes Feld voͤllig abgeſprochen habe; ich habe ſeit¬
her Vieles auf ſich beruhen laſſen, Vieles zu wiſ¬
ſen und zu begreifen Verzicht geleiſtet, und bin,
wie Du es mir ſelber gerathen, meinem geraden
Sinn vertrauend, der Stimme in mir, ſo viel
es in meiner Macht geweſen, auf dem eigenen
Weg gefolgt. Nun ſchien mir dieſer Redekuͤnſt¬
ler mit großem Talent ein feſt gefuͤgtes Gebaͤude
aufzufuͤhren, das in ſich ſelbſt begruͤndet ſich em¬
por trug, und wie durch eine innere Nothwendig¬
keit beſtand. Nur vermißt' ich ganz in ihm, was
ich eben darin haͤtte ſuchen wollen, und ſo ward
es mir zu einem bloßen Kunſtwerk, deſſen zierliche
Geſchloſſenheit und Vollendung dem Auge allein
zur Ergoͤtzung diente; aber ich hoͤrte dem wohlbe¬
redten Manne gerne zu, der meine Aufmerkſam¬
keit von meinen Leiden auf ſich ſelbſt abgelenkt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0112" n="92"/>
die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander, und<lb/>
&#x017F;chritt fu&#x0364;rder zu deren Beantwortung.</p><lb/>
        <p>Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich er¬<lb/>
kannt habe, &#x017F;eitdem ich den Philo&#x017F;ophen durch die<lb/>
Schule gelaufen, daß ich zur philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Spe¬<lb/>
kulation keinesweges berufen bin, und daß ich mir<lb/>
die&#x017F;es Feld vo&#x0364;llig abge&#x017F;prochen habe; ich habe &#x017F;eit¬<lb/>
her Vieles auf &#x017F;ich beruhen <choice><sic>la&#x017F;&#x017F;eu</sic><corr>la&#x017F;&#x017F;en</corr></choice>, Vieles zu wi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en und zu begreifen Verzicht gelei&#x017F;tet, und bin,<lb/>
wie Du es mir &#x017F;elber gerathen, meinem geraden<lb/>
Sinn vertrauend, der Stimme in mir, &#x017F;o viel<lb/>
es in meiner Macht gewe&#x017F;en, auf dem eigenen<lb/>
Weg gefolgt. Nun &#x017F;chien mir die&#x017F;er Redeku&#x0364;n&#x017F;<lb/>
ler mit großem Talent ein fe&#x017F;t gefu&#x0364;gtes Geba&#x0364;ude<lb/>
aufzufu&#x0364;hren, das in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t begru&#x0364;ndet &#x017F;ich em¬<lb/>
por trug, und wie durch eine innere Nothwendig¬<lb/>
keit be&#x017F;tand. Nur vermißt' ich ganz in ihm, was<lb/>
ich eben darin ha&#x0364;tte &#x017F;uchen wollen, und &#x017F;o ward<lb/>
es mir zu einem bloßen Kun&#x017F;twerk, de&#x017F;&#x017F;en zierliche<lb/>
Ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit und Vollendung dem Auge allein<lb/>
zur Ergo&#x0364;tzung diente; aber ich ho&#x0364;rte dem wohlbe¬<lb/>
redten Manne gerne zu, der meine Aufmerk&#x017F;am¬<lb/>
keit von meinen Leiden auf &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t abgelenkt,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0112] die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander, und ſchritt fuͤrder zu deren Beantwortung. Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich er¬ kannt habe, ſeitdem ich den Philoſophen durch die Schule gelaufen, daß ich zur philoſophiſchen Spe¬ kulation keinesweges berufen bin, und daß ich mir dieſes Feld voͤllig abgeſprochen habe; ich habe ſeit¬ her Vieles auf ſich beruhen laſſen, Vieles zu wiſ¬ ſen und zu begreifen Verzicht geleiſtet, und bin, wie Du es mir ſelber gerathen, meinem geraden Sinn vertrauend, der Stimme in mir, ſo viel es in meiner Macht geweſen, auf dem eigenen Weg gefolgt. Nun ſchien mir dieſer Redekuͤnſt¬ ler mit großem Talent ein feſt gefuͤgtes Gebaͤude aufzufuͤhren, das in ſich ſelbſt begruͤndet ſich em¬ por trug, und wie durch eine innere Nothwendig¬ keit beſtand. Nur vermißt' ich ganz in ihm, was ich eben darin haͤtte ſuchen wollen, und ſo ward es mir zu einem bloßen Kunſtwerk, deſſen zierliche Geſchloſſenheit und Vollendung dem Auge allein zur Ergoͤtzung diente; aber ich hoͤrte dem wohlbe¬ redten Manne gerne zu, der meine Aufmerkſam¬ keit von meinen Leiden auf ſich ſelbſt abgelenkt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Beigebunden im Anhang des für das DTA gewählten E… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/112
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/112>, abgerufen am 25.04.2024.