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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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der Wind braus'te im nahen Walde, und jagte
die geraubten Blätter heulend über die gelben
Stoppeln.

Die Stadt, das elterliche Haus waren erreicht;
mit bangen Ahnungen verließ Blauenstein den
Reisewagen. Mit welchen Empfindungen hatte
er das Haus verlassen, und wie mußte er es
jetzt wieder betreten! --

Die Dienerschaft bewillkommte ihn freundlich,
aber so still, daß seine erste Frage nach seines
Vaters Befinden unbeantwortet blieb. Im Kran¬
kenzimmer stand der Arzt am Schmerzenslager,
er verbeugte sich gegen den Sohn dessen, den
seine Kunst nicht zu retten vermogte, und führte
ihn an das Bett. Der Kranke athmete schwer,
er war unruhig, und als hätte er die Nähe des
geliebten Sohnes geahnet, schlug er das matte
Auge zu ihm auf, und ein leises Lächlen flog
über die versunkenen Züge. "Vater!" rief Blauen¬
stein in seinem tiefsten Schmerze, und warf sich
vor dem Bette nieder, "erwache zum Leben,
erwache für Deinen Sohn!" Aber der sterbende
Vater hob mit seiner letzten Kraft seine Hand
empor, und berührte des Sohnes Haupt, als ob

der Wind brauſ'te im nahen Walde, und jagte
die geraubten Blaͤtter heulend uͤber die gelben
Stoppeln.

Die Stadt, das elterliche Haus waren erreicht;
mit bangen Ahnungen verließ Blauenſtein den
Reiſewagen. Mit welchen Empfindungen hatte
er das Haus verlaſſen, und wie mußte er es
jetzt wieder betreten! —

Die Dienerſchaft bewillkommte ihn freundlich,
aber ſo ſtill, daß ſeine erſte Frage nach ſeines
Vaters Befinden unbeantwortet blieb. Im Kran¬
kenzimmer ſtand der Arzt am Schmerzenslager,
er verbeugte ſich gegen den Sohn deſſen, den
ſeine Kunſt nicht zu retten vermogte, und fuͤhrte
ihn an das Bett. Der Kranke athmete ſchwer,
er war unruhig, und als haͤtte er die Naͤhe des
geliebten Sohnes geahnet, ſchlug er das matte
Auge zu ihm auf, und ein leiſes Laͤchlen flog
uͤber die verſunkenen Zuͤge. „Vater!“ rief Blauen¬
ſtein in ſeinem tiefſten Schmerze, und warf ſich
vor dem Bette nieder, „erwache zum Leben,
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[108/0114] der Wind brauſ'te im nahen Walde, und jagte die geraubten Blaͤtter heulend uͤber die gelben Stoppeln. Die Stadt, das elterliche Haus waren erreicht; mit bangen Ahnungen verließ Blauenſtein den Reiſewagen. Mit welchen Empfindungen hatte er das Haus verlaſſen, und wie mußte er es jetzt wieder betreten! — Die Dienerſchaft bewillkommte ihn freundlich, aber ſo ſtill, daß ſeine erſte Frage nach ſeines Vaters Befinden unbeantwortet blieb. Im Kran¬ kenzimmer ſtand der Arzt am Schmerzenslager, er verbeugte ſich gegen den Sohn deſſen, den ſeine Kunſt nicht zu retten vermogte, und fuͤhrte ihn an das Bett. Der Kranke athmete ſchwer, er war unruhig, und als haͤtte er die Naͤhe des geliebten Sohnes geahnet, ſchlug er das matte Auge zu ihm auf, und ein leiſes Laͤchlen flog uͤber die verſunkenen Zuͤge. „Vater!“ rief Blauen¬ ſtein in ſeinem tiefſten Schmerze, und warf ſich vor dem Bette nieder, „erwache zum Leben, erwache fuͤr Deinen Sohn!“ Aber der ſterbende Vater hob mit ſeiner letzten Kraft ſeine Hand empor, und beruͤhrte des Sohnes Haupt, als ob

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/114>, abgerufen am 23.04.2024.