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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Theorie hat, diese Dinge systematisch, d. h. mit Klarheit
und Vollständigkeit aufzufassen und das Handeln immer
auf die Nothwendigkeit des zureichenden Grundes zurück-
zuführen: so überfällt uns die Angst mit unwiderstehlicher
Gewalt, zu einem pedantischen Schulmeisterthum hinabge-
rissen zu werden, in den untern Räumen schwerfälliger
Begriffe herumzukriechen und dem großen Feldherrn in
seinem leichten Uberblick also niemals zu begegnen. Wenn
so das Resultat theoretischer Bemühungen sein sollte,
so wäre es eben so gut oder vielmehr besser sie gar
nicht angestellt zu haben; sie ziehen der Theorie die Ge-
ringschätzung des Talentes zu, und fallen bald in Ver-
gessenheit. Und von der andern Seite ist dieser leichte
Überblick des Feldherrn, diese einfache Vorstellungsart,
diese Personifizirung des ganzen kriegerischen Handelns so
ganz und gar die Seele jeder guten Kriegführung, daß
nur bei diesser großartigen Weise sich die Freiheit der Seele
denken läßt, die nöthig ist, wenn sie über die Ereignisse
herrschen und nicht von ihnen überwältigt werden soll.

Mit einiger Scheu setzen wir unsern Schritt fort;
wir können es nur, wenn wir den Weg verfolgen welchen
wir uns gleich anfangs vorgezeichnet haben. Die Theorie
soll mit einem klaren Blick die Masse der Gegenstände
beleuchten, damit der Verstand sich leichter in ihnen finden;
sie soll das Unkraut ausreißen welches der Irrthum überall
hat hervorschießen lassen; sie soll die Verhältnisse der
Dinge unter einander zeigen, das Wichtige von dem Un-
wichtigen sondern. Wo sich die Vorstellungen von selbst
zu einem solchen Kern der Wahrheit zusammenfinden, den
wir Grundsatz nennen, wo sie von selbst eine solche Linie
halten die eine Regel bildet, da soll die Theorie es
angeben.

Theorie hat, dieſe Dinge ſyſtematiſch, d. h. mit Klarheit
und Vollſtaͤndigkeit aufzufaſſen und das Handeln immer
auf die Nothwendigkeit des zureichenden Grundes zuruͤck-
zufuͤhren: ſo uͤberfaͤllt uns die Angſt mit unwiderſtehlicher
Gewalt, zu einem pedantiſchen Schulmeiſterthum hinabge-
riſſen zu werden, in den untern Raͤumen ſchwerfaͤlliger
Begriffe herumzukriechen und dem großen Feldherrn in
ſeinem leichten Uberblick alſo niemals zu begegnen. Wenn
ſo das Reſultat theoretiſcher Bemuͤhungen ſein ſollte,
ſo waͤre es eben ſo gut oder vielmehr beſſer ſie gar
nicht angeſtellt zu haben; ſie ziehen der Theorie die Ge-
ringſchaͤtzung des Talentes zu, und fallen bald in Ver-
geſſenheit. Und von der andern Seite iſt dieſer leichte
Überblick des Feldherrn, dieſe einfache Vorſtellungsart,
dieſe Perſonifizirung des ganzen kriegeriſchen Handelns ſo
ganz und gar die Seele jeder guten Kriegfuͤhrung, daß
nur bei dieſſer großartigen Weiſe ſich die Freiheit der Seele
denken laͤßt, die noͤthig iſt, wenn ſie uͤber die Ereigniſſe
herrſchen und nicht von ihnen uͤberwaͤltigt werden ſoll.

Mit einiger Scheu ſetzen wir unſern Schritt fort;
wir koͤnnen es nur, wenn wir den Weg verfolgen welchen
wir uns gleich anfangs vorgezeichnet haben. Die Theorie
ſoll mit einem klaren Blick die Maſſe der Gegenſtaͤnde
beleuchten, damit der Verſtand ſich leichter in ihnen finden;
ſie ſoll das Unkraut ausreißen welches der Irrthum uͤberall
hat hervorſchießen laſſen; ſie ſoll die Verhaͤltniſſe der
Dinge unter einander zeigen, das Wichtige von dem Un-
wichtigen ſondern. Wo ſich die Vorſtellungen von ſelbſt
zu einem ſolchen Kern der Wahrheit zuſammenfinden, den
wir Grundſatz nennen, wo ſie von ſelbſt eine ſolche Linie
halten die eine Regel bildet, da ſoll die Theorie es
angeben.

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[91/0105] Theorie hat, dieſe Dinge ſyſtematiſch, d. h. mit Klarheit und Vollſtaͤndigkeit aufzufaſſen und das Handeln immer auf die Nothwendigkeit des zureichenden Grundes zuruͤck- zufuͤhren: ſo uͤberfaͤllt uns die Angſt mit unwiderſtehlicher Gewalt, zu einem pedantiſchen Schulmeiſterthum hinabge- riſſen zu werden, in den untern Raͤumen ſchwerfaͤlliger Begriffe herumzukriechen und dem großen Feldherrn in ſeinem leichten Uberblick alſo niemals zu begegnen. Wenn ſo das Reſultat theoretiſcher Bemuͤhungen ſein ſollte, ſo waͤre es eben ſo gut oder vielmehr beſſer ſie gar nicht angeſtellt zu haben; ſie ziehen der Theorie die Ge- ringſchaͤtzung des Talentes zu, und fallen bald in Ver- geſſenheit. Und von der andern Seite iſt dieſer leichte Überblick des Feldherrn, dieſe einfache Vorſtellungsart, dieſe Perſonifizirung des ganzen kriegeriſchen Handelns ſo ganz und gar die Seele jeder guten Kriegfuͤhrung, daß nur bei dieſſer großartigen Weiſe ſich die Freiheit der Seele denken laͤßt, die noͤthig iſt, wenn ſie uͤber die Ereigniſſe herrſchen und nicht von ihnen uͤberwaͤltigt werden ſoll. Mit einiger Scheu ſetzen wir unſern Schritt fort; wir koͤnnen es nur, wenn wir den Weg verfolgen welchen wir uns gleich anfangs vorgezeichnet haben. Die Theorie ſoll mit einem klaren Blick die Maſſe der Gegenſtaͤnde beleuchten, damit der Verſtand ſich leichter in ihnen finden; ſie ſoll das Unkraut ausreißen welches der Irrthum uͤberall hat hervorſchießen laſſen; ſie ſoll die Verhaͤltniſſe der Dinge unter einander zeigen, das Wichtige von dem Un- wichtigen ſondern. Wo ſich die Vorſtellungen von ſelbſt zu einem ſolchen Kern der Wahrheit zuſammenfinden, den wir Grundſatz nennen, wo ſie von ſelbſt eine ſolche Linie halten die eine Regel bildet, da ſoll die Theorie es angeben.

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/105>, abgerufen am 28.03.2024.