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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Eigenschaften des Geistes Nichts leistet: so muß man sich
mit dem Gedanken eines ehrenvollen Unterganges vertraut
machen, ihn immerfort bei sich nähren, sich ganz daran
gewöhnen. Sein Sie überzeugt, gnädigster Herr, daß ohne
diesen festen Entschluß sich im glücklichsten Kriege nichts
Großes leisten läßt, geschweige denn im unglücklichsten.

Friedrich II. hat dieser Gedanke gewiß während sei-
ner ersten schlesischen Kriege oft beschäftigt; weil er ver-
traut damit war unternahm er an jenem merkwürdigen
5. Dezember den Angriff der Östreicher bei Leuthen, nicht
weil er herausgerechnet hatte daß er mit der schiefen
Schlachtordnung die Östreicher höchst wahrscheinlich schla-
gen würde.

3. Bei allen Operationen welche Sie in einem be-
stimmten Falle wählen, bei allen Maaßregeln die Sie er-
greifen können, bleibt Ihnen immer die Wahl zwischen der
kühnsten und der vorsichtigsten. Einige Leute meinen die
Theorie riethe immer zum Vorsichtigsten; das ist falsch;
wenn die Theorie Etwas räth, so liegt es in der Natur
des Krieges daß sie das Entscheidendste, also das Kühnste
rathen würde; aber die Theorie überläßt es hier dem Feld-
herrn nach dem Maaßstabe seines eigenen Muthes, seines
Unternehmungsgeistes, seines Selbstvertrauens zu wählen.
Wählen Sie also nach dem Maaße dieser innern Kraft,
aber vergessen Sie nicht daß kein Feldherr groß geworden
ist ohne Kühnheit.

II. Taktik oder Gefechtslehre.

Der Krieg besteht aus einer Kombination von vielen
einzelnen Gefechten. Wenn nun diese Kombination auch
weise oder unvernünftig sein kann und der Erfolg davon
sehr abhängt, so ist doch zunächst das Gefecht selbst noch

Eigenſchaften des Geiſtes Nichts leiſtet: ſo muß man ſich
mit dem Gedanken eines ehrenvollen Unterganges vertraut
machen, ihn immerfort bei ſich naͤhren, ſich ganz daran
gewoͤhnen. Sein Sie uͤberzeugt, gnaͤdigſter Herr, daß ohne
dieſen feſten Entſchluß ſich im gluͤcklichſten Kriege nichts
Großes leiſten laͤßt, geſchweige denn im ungluͤcklichſten.

Friedrich II. hat dieſer Gedanke gewiß waͤhrend ſei-
ner erſten ſchleſiſchen Kriege oft beſchaͤftigt; weil er ver-
traut damit war unternahm er an jenem merkwuͤrdigen
5. Dezember den Angriff der Öſtreicher bei Leuthen, nicht
weil er herausgerechnet hatte daß er mit der ſchiefen
Schlachtordnung die Öſtreicher hoͤchſt wahrſcheinlich ſchla-
gen wuͤrde.

3. Bei allen Operationen welche Sie in einem be-
ſtimmten Falle waͤhlen, bei allen Maaßregeln die Sie er-
greifen koͤnnen, bleibt Ihnen immer die Wahl zwiſchen der
kuͤhnſten und der vorſichtigſten. Einige Leute meinen die
Theorie riethe immer zum Vorſichtigſten; das iſt falſch;
wenn die Theorie Etwas raͤth, ſo liegt es in der Natur
des Krieges daß ſie das Entſcheidendſte, alſo das Kuͤhnſte
rathen wuͤrde; aber die Theorie uͤberlaͤßt es hier dem Feld-
herrn nach dem Maaßſtabe ſeines eigenen Muthes, ſeines
Unternehmungsgeiſtes, ſeines Selbſtvertrauens zu waͤhlen.
Waͤhlen Sie alſo nach dem Maaße dieſer innern Kraft,
aber vergeſſen Sie nicht daß kein Feldherr groß geworden
iſt ohne Kuͤhnheit.

II. Taktik oder Gefechtslehre.

Der Krieg beſteht aus einer Kombination von vielen
einzelnen Gefechten. Wenn nun dieſe Kombination auch
weiſe oder unvernuͤnftig ſein kann und der Erfolg davon
ſehr abhaͤngt, ſo iſt doch zunaͤchſt das Gefecht ſelbſt noch

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[212/0226] Eigenſchaften des Geiſtes Nichts leiſtet: ſo muß man ſich mit dem Gedanken eines ehrenvollen Unterganges vertraut machen, ihn immerfort bei ſich naͤhren, ſich ganz daran gewoͤhnen. Sein Sie uͤberzeugt, gnaͤdigſter Herr, daß ohne dieſen feſten Entſchluß ſich im gluͤcklichſten Kriege nichts Großes leiſten laͤßt, geſchweige denn im ungluͤcklichſten. Friedrich II. hat dieſer Gedanke gewiß waͤhrend ſei- ner erſten ſchleſiſchen Kriege oft beſchaͤftigt; weil er ver- traut damit war unternahm er an jenem merkwuͤrdigen 5. Dezember den Angriff der Öſtreicher bei Leuthen, nicht weil er herausgerechnet hatte daß er mit der ſchiefen Schlachtordnung die Öſtreicher hoͤchſt wahrſcheinlich ſchla- gen wuͤrde. 3. Bei allen Operationen welche Sie in einem be- ſtimmten Falle waͤhlen, bei allen Maaßregeln die Sie er- greifen koͤnnen, bleibt Ihnen immer die Wahl zwiſchen der kuͤhnſten und der vorſichtigſten. Einige Leute meinen die Theorie riethe immer zum Vorſichtigſten; das iſt falſch; wenn die Theorie Etwas raͤth, ſo liegt es in der Natur des Krieges daß ſie das Entſcheidendſte, alſo das Kuͤhnſte rathen wuͤrde; aber die Theorie uͤberlaͤßt es hier dem Feld- herrn nach dem Maaßſtabe ſeines eigenen Muthes, ſeines Unternehmungsgeiſtes, ſeines Selbſtvertrauens zu waͤhlen. Waͤhlen Sie alſo nach dem Maaße dieſer innern Kraft, aber vergeſſen Sie nicht daß kein Feldherr groß geworden iſt ohne Kuͤhnheit. II. Taktik oder Gefechtslehre. Der Krieg beſteht aus einer Kombination von vielen einzelnen Gefechten. Wenn nun dieſe Kombination auch weiſe oder unvernuͤnftig ſein kann und der Erfolg davon ſehr abhaͤngt, ſo iſt doch zunaͤchſt das Gefecht ſelbſt noch

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/226>, abgerufen am 28.03.2024.