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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

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nicht prosaisch seyn, und ganz zufällig entstehn. Ueberdem p2c_677.002
hat der beschreibende Dichter nicht einmal den Vortheil, p2c_677.003
welchen der pragmatische hat, daß sich die einzelnen Theile p2c_677.004
allemal in einer nothwendigen Verknüpfung von Ursache und p2c_677.005
Wirkung befinden. Bey der Handlung weist jedes Glied p2c_677.006
der Vorstellungskette auf das vorhergehende zurück, oder p2c_677.007
läßt das folgende ahnen. Bey der Beschreibung soll p2c_677.008
der Zusammenhang der Theile mehr die Phantasie interessiren, p2c_677.009
als den Verstand. Denn die Phantasie ist p2c_677.010
von allen Seelenkräften diejenige, welche mit dem wenigsten p2c_677.011
Zwange unterhalten seyn will, welche das Mitarbeiten des p2c_677.012
Verstandes am wenigsten duldet. Hieraus läßt sich die p2c_677.013
Folge ziehen, daß die beschreibenden Gedichte von allen p2c_677.014
darstellenden Dichtungsarten die kürzesten seyn und p2c_677.015
am meisten lyrisch gehalten seyn müssen. Die beschreibenden p2c_677.016
Dichter wählen daher auch Gegenstände, deren einzelne p2c_677.017
Theile wieder als kleinere für sich bestehende Ganze angesehn p2c_677.018
werden können, wie z. B. Thomsons Jahrszeiten. p2c_677.019
Zachariäs Stufen des weiblichen Alters. So wird der p2c_677.020
Phantasie die Uebersicht erleichtert.

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§. 3.

p2c_677.022
Die Phantasie hat ihr Jdeal, im vorzüglichen p2c_677.023
Sinne dieses Worts, eben so gut, wie die übrigen p2c_677.024
drey Seelenkräfte. Da sie ein Streben nach p2c_677.025
Anschauung ist, so muß sie bey dem beständigen p2c_677.026
Zeitwechsel etwas Beharrliches suchen, das ihr

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nicht prosaisch seyn, und ganz zufällig entstehn. Ueberdem p2c_677.002
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[677/0201] p2c_677.001 nicht prosaisch seyn, und ganz zufällig entstehn. Ueberdem p2c_677.002 hat der beschreibende Dichter nicht einmal den Vortheil, p2c_677.003 welchen der pragmatische hat, daß sich die einzelnen Theile p2c_677.004 allemal in einer nothwendigen Verknüpfung von Ursache und p2c_677.005 Wirkung befinden. Bey der Handlung weist jedes Glied p2c_677.006 der Vorstellungskette auf das vorhergehende zurück, oder p2c_677.007 läßt das folgende ahnen. Bey der Beschreibung soll p2c_677.008 der Zusammenhang der Theile mehr die Phantasie interessiren, p2c_677.009 als den Verstand. Denn die Phantasie ist p2c_677.010 von allen Seelenkräften diejenige, welche mit dem wenigsten p2c_677.011 Zwange unterhalten seyn will, welche das Mitarbeiten des p2c_677.012 Verstandes am wenigsten duldet. Hieraus läßt sich die p2c_677.013 Folge ziehen, daß die beschreibenden Gedichte von allen p2c_677.014 darstellenden Dichtungsarten die kürzesten seyn und p2c_677.015 am meisten lyrisch gehalten seyn müssen. Die beschreibenden p2c_677.016 Dichter wählen daher auch Gegenstände, deren einzelne p2c_677.017 Theile wieder als kleinere für sich bestehende Ganze angesehn p2c_677.018 werden können, wie z. B. Thomsons Jahrszeiten. p2c_677.019 Zachariäs Stufen des weiblichen Alters. So wird der p2c_677.020 Phantasie die Uebersicht erleichtert. p2c_677.021 §. 3. p2c_677.022 Die Phantasie hat ihr Jdeal, im vorzüglichen p2c_677.023 Sinne dieses Worts, eben so gut, wie die übrigen p2c_677.024 drey Seelenkräfte. Da sie ein Streben nach p2c_677.025 Anschauung ist, so muß sie bey dem beständigen p2c_677.026 Zeitwechsel etwas Beharrliches suchen, das ihr

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/201>, abgerufen am 28.04.2024.