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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

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Anmerk. Hallers Gedicht an die Ewigkeit ist p2c_679.002
vielleicht die höchste Richtung, welche die Phantasie in diesem p2c_679.003
Felde nehmen kann. Haller schildert durch lauter p2c_679.004
Negationen, so zu sagen im Schooße des Nichts das p2c_679.005
höchste Daseyn. Ueberall sieht man das Streben des Dichters, p2c_679.006
das höchste Beharrliche für die Anschauung, die Substanz p2c_679.007
darzustellen. "Und wenn ein zweytes Nichts wird p2c_679.008
diese Welt begraben, wann von dem Allen selbst nichts bleibet p2c_679.009
als die Stelle, wann mancher Himmel noch, von andern p2c_679.010
Sternen helle, wird seinen Lauf vollendet haben, wirst du p2c_679.011
so jung, als jetzt von deinem Tod gleich weit, gleich ewig p2c_679.012
künftig seyn, wie heut. - "Wie eine Uhr beseelt durch p2c_679.013
ein Gewicht, eilt eine Sonn aus Gottes Kraft bewegt, p2c_679.014
Jhr Trieb läuft ab, und eine zweyte schlägt, du aber p2c_679.015
bleibst und zählst sie nicht. - Thomsons Jahrszeiten p2c_679.016
schildern eigentlich nur veränderliche Erscheinungen. p2c_679.017
Allein das Beharrliche, was zum Grunde liegt, ist die p2c_679.018
Natur. Die Natur ist eigentlich der Gegenstand, den p2c_679.019
Thomson beschreibt, und so gehört sein Gedicht zu den höhern p2c_679.020
beschreibenden Gedichten, welchen Rang es nächst p2c_679.021
seinem Jnnhalte auch durch seinen Styl behauptet. Thomsons p2c_679.022
Frühling zeigt den bildenden Einfluß der Natur auf die p2c_679.023
leblose Materie, auf die Pflanzen, auf die wilden Thiere, p2c_679.024
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Ursache der Jahreszeiten. Durch alle diese Schilderungen p2c_679.027
vergänglicher Erscheinungen bekommen wir ein Gemälde von p2c_679.028
der Natur, als beharrlichem productiven Wesen. - Es

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/203>, abgerufen am 27.04.2024.