Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_689.001
Hirtengedichte die erste gebildete Gestalt. Der Ausdruck p2c_689.002
eidullion paßt am besten, das Wesen des Hirtengedichts p2c_689.003
als einer Beschreibung, einer kleinen Schilderung anzudeuten. p2c_689.004
Eclogae hießen hernach besonders ausgewählte p2c_689.005
Stücke. - Theokrit hat nicht alle Gegenstände zu seinen p2c_689.006
Jdyllen aus dem ländlichen Leben genommen. Oft behandelt p2c_689.007
er auch andre Stoffe im naiven Jdyllenton, z. B. p2c_689.008
die Hymenäen des Menelaus und der Helena - die Pharmaceutria p2c_689.009
u. s. w. Auch Virgil hat bürgerliche Menschen p2c_689.010
und Verhältnisse durch die Jdylle gleichsam allegorisch behandelt, p2c_689.011
z. B. Pollio, dem Pope seinen Messias nachgebildet p2c_689.012
hat. Einige Kunstrichter behaupten, der Jdyllendichter p2c_689.013
müsse blos das Glück des ländlichen Lebens, das goldene p2c_689.014
Zeitalter und die guten Sitten der Landleute herausheben. p2c_689.015
Allein auch hieran haben sich die Dichter nie gebunden. Theokrits, p2c_689.016
Virgils Hirten sind zuweilen in ihren Aeußerungen p2c_689.017
roh und zänkisch. Geßners Jdyllische Personen werden auch p2c_689.018
wohl im Unglück geschildert. - Die Jdylle, wie die p2c_689.019
Griechen das Wesen derselben auffaßten, soll gerade nicht p2c_689.020
lehren, oder gewisse Sitten empfehlen, sondern ein anschauliches p2c_689.021
Gemälde für die Phantasie seyn, von p2c_689.022
der muntern sichtbaren Natur. Jn diesem Sinne ist Theokrits p2c_689.023
sechste Jdylle das schönste Muster. - Die Galatee, p2c_689.024
welche den Polyphem mit Aepfeln wirft, der am Strande p2c_689.025
sitzt und die Flöte spielt. - Aber er bemerkt es nicht - p2c_689.026
dann wirft sie den Hund, dieser bellt und sieht ins Meer p2c_689.027
u. s. w. Geßners Jdyllen enthalten oft mehr die Sehnsucht p2c_689.028
eines Städters nach einer idealen verfeinerten Natur,

p2c_689.001
Hirtengedichte die erste gebildete Gestalt. Der Ausdruck p2c_689.002
ειδυλλιον paßt am besten, das Wesen des Hirtengedichts p2c_689.003
als einer Beschreibung, einer kleinen Schilderung anzudeuten. p2c_689.004
Eclogae hießen hernach besonders ausgewählte p2c_689.005
Stücke. ─ Theokrit hat nicht alle Gegenstände zu seinen p2c_689.006
Jdyllen aus dem ländlichen Leben genommen. Oft behandelt p2c_689.007
er auch andre Stoffe im naiven Jdyllenton, z. B. p2c_689.008
die Hymenäen des Menelaus und der Helena ─ die Pharmaceutria p2c_689.009
u. s. w. Auch Virgil hat bürgerliche Menschen p2c_689.010
und Verhältnisse durch die Jdylle gleichsam allegorisch behandelt, p2c_689.011
z. B. Pollio, dem Pope seinen Messias nachgebildet p2c_689.012
hat. Einige Kunstrichter behaupten, der Jdyllendichter p2c_689.013
müsse blos das Glück des ländlichen Lebens, das goldene p2c_689.014
Zeitalter und die guten Sitten der Landleute herausheben. p2c_689.015
Allein auch hieran haben sich die Dichter nie gebunden. Theokrits, p2c_689.016
Virgils Hirten sind zuweilen in ihren Aeußerungen p2c_689.017
roh und zänkisch. Geßners Jdyllische Personen werden auch p2c_689.018
wohl im Unglück geschildert. ─ Die Jdylle, wie die p2c_689.019
Griechen das Wesen derselben auffaßten, soll gerade nicht p2c_689.020
lehren, oder gewisse Sitten empfehlen, sondern ein anschauliches p2c_689.021
Gemälde für die Phantasie seyn, von p2c_689.022
der muntern sichtbaren Natur. Jn diesem Sinne ist Theokrits p2c_689.023
sechste Jdylle das schönste Muster. ─ Die Galatee, p2c_689.024
welche den Polyphem mit Aepfeln wirft, der am Strande p2c_689.025
sitzt und die Flöte spielt. ─ Aber er bemerkt es nicht ─ p2c_689.026
dann wirft sie den Hund, dieser bellt und sieht ins Meer p2c_689.027
u. s. w. Geßners Jdyllen enthalten oft mehr die Sehnsucht p2c_689.028
eines Städters nach einer idealen verfeinerten Natur,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0213" n="689"/><lb n="p2c_689.001"/>
Hirtengedichte die erste gebildete Gestalt. Der Ausdruck <lb n="p2c_689.002"/>
<foreign xml:lang="grc">&#x03B5;&#x03B9;&#x03B4;&#x03C5;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD;</foreign> paßt am besten, das Wesen des Hirtengedichts <lb n="p2c_689.003"/>
als einer <hi rendition="#g">Beschreibung,</hi> einer kleinen Schilderung anzudeuten. <lb n="p2c_689.004"/> <hi rendition="#aq">Eclogae</hi> hießen hernach besonders ausgewählte <lb n="p2c_689.005"/>
Stücke. &#x2500; Theokrit hat nicht alle Gegenstände zu seinen <lb n="p2c_689.006"/>
Jdyllen aus dem ländlichen Leben genommen. Oft behandelt <lb n="p2c_689.007"/>
er auch andre Stoffe im <hi rendition="#g">naiven</hi> Jdyllenton, z. B. <lb n="p2c_689.008"/>
die Hymenäen des Menelaus und der Helena &#x2500; die <hi rendition="#aq">Pharmaceutria</hi> <lb n="p2c_689.009"/>
u. s. w. Auch Virgil hat bürgerliche Menschen <lb n="p2c_689.010"/>
und Verhältnisse durch die Jdylle gleichsam allegorisch behandelt, <lb n="p2c_689.011"/>
z. B. Pollio, dem Pope seinen Messias nachgebildet <lb n="p2c_689.012"/>
hat. Einige Kunstrichter behaupten, der Jdyllendichter <lb n="p2c_689.013"/>
müsse blos das Glück des ländlichen Lebens, das goldene <lb n="p2c_689.014"/>
Zeitalter und die guten Sitten der Landleute herausheben. <lb n="p2c_689.015"/>
Allein auch hieran haben sich die Dichter nie gebunden. Theokrits, <lb n="p2c_689.016"/>
Virgils Hirten sind zuweilen in ihren Aeußerungen <lb n="p2c_689.017"/>
roh und zänkisch. Geßners Jdyllische Personen werden auch <lb n="p2c_689.018"/>
wohl im Unglück geschildert. &#x2500; Die <hi rendition="#g">Jdylle,</hi> wie die <lb n="p2c_689.019"/>
Griechen das Wesen derselben auffaßten, soll gerade nicht <lb n="p2c_689.020"/>
lehren, oder gewisse Sitten empfehlen, sondern ein <hi rendition="#g">anschauliches</hi> <lb n="p2c_689.021"/>
Gemälde für die <hi rendition="#g">Phantasie</hi> seyn, von <lb n="p2c_689.022"/>
der muntern sichtbaren Natur. Jn diesem Sinne ist Theokrits <lb n="p2c_689.023"/>
sechste Jdylle das schönste Muster. &#x2500; Die Galatee, <lb n="p2c_689.024"/>
welche den Polyphem mit Aepfeln wirft, der am Strande <lb n="p2c_689.025"/>
sitzt und die Flöte spielt. &#x2500; Aber er bemerkt es nicht &#x2500; <lb n="p2c_689.026"/>
dann wirft sie den Hund, dieser bellt und sieht ins Meer <lb n="p2c_689.027"/>
u. s. w. Geßners Jdyllen enthalten oft mehr die Sehnsucht <lb n="p2c_689.028"/>
eines Städters nach einer <hi rendition="#g">idealen</hi> verfeinerten Natur,
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[689/0213] p2c_689.001 Hirtengedichte die erste gebildete Gestalt. Der Ausdruck p2c_689.002 ειδυλλιον paßt am besten, das Wesen des Hirtengedichts p2c_689.003 als einer Beschreibung, einer kleinen Schilderung anzudeuten. p2c_689.004 Eclogae hießen hernach besonders ausgewählte p2c_689.005 Stücke. ─ Theokrit hat nicht alle Gegenstände zu seinen p2c_689.006 Jdyllen aus dem ländlichen Leben genommen. Oft behandelt p2c_689.007 er auch andre Stoffe im naiven Jdyllenton, z. B. p2c_689.008 die Hymenäen des Menelaus und der Helena ─ die Pharmaceutria p2c_689.009 u. s. w. Auch Virgil hat bürgerliche Menschen p2c_689.010 und Verhältnisse durch die Jdylle gleichsam allegorisch behandelt, p2c_689.011 z. B. Pollio, dem Pope seinen Messias nachgebildet p2c_689.012 hat. Einige Kunstrichter behaupten, der Jdyllendichter p2c_689.013 müsse blos das Glück des ländlichen Lebens, das goldene p2c_689.014 Zeitalter und die guten Sitten der Landleute herausheben. p2c_689.015 Allein auch hieran haben sich die Dichter nie gebunden. Theokrits, p2c_689.016 Virgils Hirten sind zuweilen in ihren Aeußerungen p2c_689.017 roh und zänkisch. Geßners Jdyllische Personen werden auch p2c_689.018 wohl im Unglück geschildert. ─ Die Jdylle, wie die p2c_689.019 Griechen das Wesen derselben auffaßten, soll gerade nicht p2c_689.020 lehren, oder gewisse Sitten empfehlen, sondern ein anschauliches p2c_689.021 Gemälde für die Phantasie seyn, von p2c_689.022 der muntern sichtbaren Natur. Jn diesem Sinne ist Theokrits p2c_689.023 sechste Jdylle das schönste Muster. ─ Die Galatee, p2c_689.024 welche den Polyphem mit Aepfeln wirft, der am Strande p2c_689.025 sitzt und die Flöte spielt. ─ Aber er bemerkt es nicht ─ p2c_689.026 dann wirft sie den Hund, dieser bellt und sieht ins Meer p2c_689.027 u. s. w. Geßners Jdyllen enthalten oft mehr die Sehnsucht p2c_689.028 eines Städters nach einer idealen verfeinerten Natur,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/213
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/213>, abgerufen am 27.04.2024.