Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_746.001
Allein außerdem muß er irgend ein griechisches Hauptwerk p2c_746.002
zum Grunde gelegt haben, wie dies die Art fast aller römischer p2c_746.003
Dichter war. Mehrere Griechen sollen unter dem Titel p2c_746.004
metamorphoseon Bücher geschrieben haben, unter andern p2c_746.005
Callisthenes. - Die Jdee eine allgemeine Geschichte p2c_746.006
der wunderbarsten Verwandlungen von Schöpfung der p2c_746.007
Welt bis auf die neusten Zeiten zu entwerfen, ist allegorisch, p2c_746.008
und eine der glücklichsten muntersten, welche die p2c_746.009
menschliche Phantasie fassen kann. Das äußere der Natur p2c_746.010
zeigt einen beständigen Wechsel, eine immerwährende Veränderung p2c_746.011
der Gestalten. Es ist dem Menschen natürlich, p2c_746.012
einen allgemeinen wunderbaren Geist des Lebens bey diesen p2c_746.013
Veränderungen vorauszusetzen, der bald diese bald jene p2c_746.014
Form annimmt, der die kleinsten und größten Gegenstände p2c_746.015
beseelt, für den nichts todt ist. Die körperliche Natur, p2c_746.016
eben wegen ihrer Veränderlichkeit erscheint als der Spiegel p2c_746.017
des ewigen Geistes, der seine Gedanken in ihr abwechselnd p2c_746.018
wiederstrahlt! Diese einzelnen Gedanken des Urgeists, welche p2c_746.019
die scheinbar trägen Massen bewohnen, macht die Allegorie p2c_746.020
zu mythologischen Wesen. Was bey Leibnitz Monaden, p2c_746.021
bey Berkley Gedanken Gottes sind, das sind in der p2c_746.022
spielenden Phantasie des Dichters Götter, Menschen, p2c_746.023
Thiere und Pflanzen, die bald diese, bald eine andere Gestalt p2c_746.024
annehmen, aber immer lebendig, immer im großen p2c_746.025
Weltraum zu Hause sind. Sollte Ovid das Große seines p2c_746.026
allegorischen Hauptgedankens gefühlt haben? Nach den ersten p2c_746.027
Versen des Gedichts, welche ziemlich matt sind, möchte p2c_746.028
man daran zweifeln. - Jndeß die Geschichte selbst beginnt

p2c_746.001
Allein außerdem muß er irgend ein griechisches Hauptwerk p2c_746.002
zum Grunde gelegt haben, wie dies die Art fast aller römischer p2c_746.003
Dichter war. Mehrere Griechen sollen unter dem Titel p2c_746.004
μεταμορφοσεων Bücher geschrieben haben, unter andern p2c_746.005
Callisthenes. ─ Die Jdee eine allgemeine Geschichte p2c_746.006
der wunderbarsten Verwandlungen von Schöpfung der p2c_746.007
Welt bis auf die neusten Zeiten zu entwerfen, ist allegorisch, p2c_746.008
und eine der glücklichsten muntersten, welche die p2c_746.009
menschliche Phantasie fassen kann. Das äußere der Natur p2c_746.010
zeigt einen beständigen Wechsel, eine immerwährende Veränderung p2c_746.011
der Gestalten. Es ist dem Menschen natürlich, p2c_746.012
einen allgemeinen wunderbaren Geist des Lebens bey diesen p2c_746.013
Veränderungen vorauszusetzen, der bald diese bald jene p2c_746.014
Form annimmt, der die kleinsten und größten Gegenstände p2c_746.015
beseelt, für den nichts todt ist. Die körperliche Natur, p2c_746.016
eben wegen ihrer Veränderlichkeit erscheint als der Spiegel p2c_746.017
des ewigen Geistes, der seine Gedanken in ihr abwechselnd p2c_746.018
wiederstrahlt! Diese einzelnen Gedanken des Urgeists, welche p2c_746.019
die scheinbar trägen Massen bewohnen, macht die Allegorie p2c_746.020
zu mythologischen Wesen. Was bey Leibnitz Monaden, p2c_746.021
bey Berkley Gedanken Gottes sind, das sind in der p2c_746.022
spielenden Phantasie des Dichters Götter, Menschen, p2c_746.023
Thiere und Pflanzen, die bald diese, bald eine andere Gestalt p2c_746.024
annehmen, aber immer lebendig, immer im großen p2c_746.025
Weltraum zu Hause sind. Sollte Ovid das Große seines p2c_746.026
allegorischen Hauptgedankens gefühlt haben? Nach den ersten p2c_746.027
Versen des Gedichts, welche ziemlich matt sind, möchte p2c_746.028
man daran zweifeln. ─ Jndeß die Geschichte selbst beginnt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0270" n="746"/><lb n="p2c_746.001"/>
Allein außerdem muß er irgend ein griechisches Hauptwerk <lb n="p2c_746.002"/>
zum Grunde gelegt haben, wie dies die Art fast aller römischer <lb n="p2c_746.003"/>
Dichter war. Mehrere Griechen sollen unter dem Titel <lb n="p2c_746.004"/>
<foreign xml:lang="grc">&#x03BC;&#x03B5;&#x03C4;&#x03B1;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C1;&#x03C6;&#x03BF;&#x03C3;&#x03B5;&#x03C9;&#x03BD;</foreign> Bücher geschrieben haben, unter andern <lb n="p2c_746.005"/>
Callisthenes. &#x2500; Die <hi rendition="#g">Jdee</hi> eine allgemeine Geschichte <lb n="p2c_746.006"/>
der wunderbarsten <hi rendition="#g">Verwandlungen</hi> von Schöpfung der <lb n="p2c_746.007"/>
Welt bis auf die neusten Zeiten zu entwerfen, ist <hi rendition="#g">allegorisch,</hi> <lb n="p2c_746.008"/>
und eine der glücklichsten muntersten, welche die <lb n="p2c_746.009"/>
menschliche Phantasie fassen kann. Das äußere der Natur <lb n="p2c_746.010"/>
zeigt einen beständigen Wechsel, eine immerwährende Veränderung <lb n="p2c_746.011"/>
der Gestalten. Es ist dem Menschen natürlich, <lb n="p2c_746.012"/>
einen allgemeinen wunderbaren Geist des Lebens bey diesen <lb n="p2c_746.013"/>
Veränderungen vorauszusetzen, der bald diese bald jene <lb n="p2c_746.014"/>
Form annimmt, der die kleinsten und größten Gegenstände <lb n="p2c_746.015"/>
beseelt, für den nichts todt ist. Die körperliche Natur, <lb n="p2c_746.016"/>
eben wegen ihrer Veränderlichkeit erscheint als der Spiegel <lb n="p2c_746.017"/>
des ewigen Geistes, der seine Gedanken in ihr abwechselnd <lb n="p2c_746.018"/>
wiederstrahlt! Diese einzelnen Gedanken des Urgeists, welche <lb n="p2c_746.019"/>
die scheinbar trägen Massen bewohnen, macht die Allegorie <lb n="p2c_746.020"/>
zu mythologischen Wesen. Was bey Leibnitz Monaden, <lb n="p2c_746.021"/>
bey Berkley Gedanken Gottes sind, das sind in der <lb n="p2c_746.022"/>
spielenden Phantasie des Dichters Götter, Menschen, <lb n="p2c_746.023"/>
Thiere und Pflanzen, die bald diese, bald eine andere Gestalt <lb n="p2c_746.024"/>
annehmen, aber immer lebendig, immer im großen <lb n="p2c_746.025"/>
Weltraum zu Hause sind. Sollte Ovid das <hi rendition="#g">Große</hi> seines <lb n="p2c_746.026"/>
allegorischen Hauptgedankens gefühlt haben? Nach den ersten <lb n="p2c_746.027"/>
Versen des Gedichts, welche ziemlich matt sind, möchte     <lb n="p2c_746.028"/>
man daran zweifeln. &#x2500; Jndeß die Geschichte selbst beginnt
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[746/0270] p2c_746.001 Allein außerdem muß er irgend ein griechisches Hauptwerk p2c_746.002 zum Grunde gelegt haben, wie dies die Art fast aller römischer p2c_746.003 Dichter war. Mehrere Griechen sollen unter dem Titel p2c_746.004 μεταμορφοσεων Bücher geschrieben haben, unter andern p2c_746.005 Callisthenes. ─ Die Jdee eine allgemeine Geschichte p2c_746.006 der wunderbarsten Verwandlungen von Schöpfung der p2c_746.007 Welt bis auf die neusten Zeiten zu entwerfen, ist allegorisch, p2c_746.008 und eine der glücklichsten muntersten, welche die p2c_746.009 menschliche Phantasie fassen kann. Das äußere der Natur p2c_746.010 zeigt einen beständigen Wechsel, eine immerwährende Veränderung p2c_746.011 der Gestalten. Es ist dem Menschen natürlich, p2c_746.012 einen allgemeinen wunderbaren Geist des Lebens bey diesen p2c_746.013 Veränderungen vorauszusetzen, der bald diese bald jene p2c_746.014 Form annimmt, der die kleinsten und größten Gegenstände p2c_746.015 beseelt, für den nichts todt ist. Die körperliche Natur, p2c_746.016 eben wegen ihrer Veränderlichkeit erscheint als der Spiegel p2c_746.017 des ewigen Geistes, der seine Gedanken in ihr abwechselnd p2c_746.018 wiederstrahlt! Diese einzelnen Gedanken des Urgeists, welche p2c_746.019 die scheinbar trägen Massen bewohnen, macht die Allegorie p2c_746.020 zu mythologischen Wesen. Was bey Leibnitz Monaden, p2c_746.021 bey Berkley Gedanken Gottes sind, das sind in der p2c_746.022 spielenden Phantasie des Dichters Götter, Menschen, p2c_746.023 Thiere und Pflanzen, die bald diese, bald eine andere Gestalt p2c_746.024 annehmen, aber immer lebendig, immer im großen p2c_746.025 Weltraum zu Hause sind. Sollte Ovid das Große seines p2c_746.026 allegorischen Hauptgedankens gefühlt haben? Nach den ersten p2c_746.027 Versen des Gedichts, welche ziemlich matt sind, möchte p2c_746.028 man daran zweifeln. ─ Jndeß die Geschichte selbst beginnt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/270
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 746. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/270>, abgerufen am 13.05.2024.