Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_755.001
beziehn, sondern die Vernunft nur als formales p2c_755.002
Vermögen von einem Gegenstand auf den andern zu p2c_755.003
schließen, und das Gefühl des niedern Schönen beschäftigen.

p2c_755.004

p2c_755.005
Anmerk. Hiervon haben wir bey den Alten ebenfalls p2c_755.006
nur wenig Beyspiele, weil ihnen bey ihrer Mythologie p2c_755.007
die intellectuelle Deutung mangelte. Als allegorisches Gelegenheits=Gedicht p2c_755.008
kann man allenfalls das Carmen Claudiani p2c_755.009
de nuptiis Honorii et Mariae
hierher rechnen voll p2c_755.010
üppiger Schilderungen. Metastasio hat ein ähnliches Epithalamium. p2c_755.011
- Die neuere Poesie mußte wegen der p2c_755.012
zunehmenden Reflexion die Allegorien dieser Art sehr frühzeitig p2c_755.013
ausbilden. Der berühmte französische Roman von p2c_755.014
der Rose in vielen tausend Versen ist ganz allegorisch, sehr p2c_755.015
abentheuerlich, für die Phantasie unterhaltend, aber freylich p2c_755.016
ohne großen Plan. Er mag eine satyrische Tendenz p2c_755.017
haben. Ueber den höhern Sinn sind die Commentatoren p2c_755.018
nicht einig. - Petrarks Allegorien nähern sich dem höhern p2c_755.019
allegorischen Gedicht, wegen ihres tiefern Sinnes, p2c_755.020
sind aber mehr lyrisch als darstellend. Jm Englischen, p2c_755.021
Jtalienischen und Französischen hat man außerdem eine Menge p2c_755.022
Tempel des Ruhms, des Geschmacks, Träume, p2c_755.023
Gesichte u. s. w. voll wunderbarer oft planloser aber unterhaltender p2c_755.024
Erdichtuug. J. B. Rousseau hat zwey Bücher p2c_755.025
Allegorien, die ziemlich kalt sind. - Man hat die Wahl p2c_755.026
des Hercules (von Metastasio, Lowth u. s. w.) und andre p2c_755.027
Gegenstände bearbeitet. Herders Paramythien sind kleine

p2c_755.001
beziehn, sondern die Vernunft nur als formales p2c_755.002
Vermögen von einem Gegenstand auf den andern zu p2c_755.003
schließen, und das Gefühl des niedern Schönen beschäftigen.

p2c_755.004

p2c_755.005
Anmerk. Hiervon haben wir bey den Alten ebenfalls p2c_755.006
nur wenig Beyspiele, weil ihnen bey ihrer Mythologie p2c_755.007
die intellectuelle Deutung mangelte. Als allegorisches Gelegenheits=Gedicht p2c_755.008
kann man allenfalls das Carmen Claudiani p2c_755.009
de nuptiis Honorii et Mariae
hierher rechnen voll p2c_755.010
üppiger Schilderungen. Metastasio hat ein ähnliches Epithalamium. p2c_755.011
─ Die neuere Poesie mußte wegen der p2c_755.012
zunehmenden Reflexion die Allegorien dieser Art sehr frühzeitig p2c_755.013
ausbilden. Der berühmte französische Roman von p2c_755.014
der Rose in vielen tausend Versen ist ganz allegorisch, sehr p2c_755.015
abentheuerlich, für die Phantasie unterhaltend, aber freylich p2c_755.016
ohne großen Plan. Er mag eine satyrische Tendenz p2c_755.017
haben. Ueber den höhern Sinn sind die Commentatoren p2c_755.018
nicht einig. ─ Petrarks Allegorien nähern sich dem höhern p2c_755.019
allegorischen Gedicht, wegen ihres tiefern Sinnes, p2c_755.020
sind aber mehr lyrisch als darstellend. Jm Englischen, p2c_755.021
Jtalienischen und Französischen hat man außerdem eine Menge p2c_755.022
Tempel des Ruhms, des Geschmacks, Träume, p2c_755.023
Gesichte u. s. w. voll wunderbarer oft planloser aber unterhaltender p2c_755.024
Erdichtuug. J. B. Rousseau hat zwey Bücher p2c_755.025
Allegorien, die ziemlich kalt sind. ─ Man hat die Wahl p2c_755.026
des Hercules (von Metastasio, Lowth u. s. w.) und andre p2c_755.027
Gegenstände bearbeitet. Herders Paramythien sind kleine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0279" n="755"/><lb n="p2c_755.001"/>
beziehn, sondern die Vernunft nur als formales <lb n="p2c_755.002"/>
Vermögen von einem Gegenstand auf den andern zu <lb n="p2c_755.003"/>
schließen, und das Gefühl des niedern Schönen beschäftigen.</p>
            <lb n="p2c_755.004"/>
            <p><lb n="p2c_755.005"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> Hiervon haben wir bey den Alten ebenfalls <lb n="p2c_755.006"/>
nur wenig Beyspiele, weil ihnen bey ihrer Mythologie <lb n="p2c_755.007"/>
die intellectuelle Deutung mangelte. Als allegorisches Gelegenheits=Gedicht <lb n="p2c_755.008"/>
kann man allenfalls das <hi rendition="#aq">Carmen Claudiani <lb n="p2c_755.009"/>
de nuptiis Honorii et Mariae</hi> hierher rechnen voll <lb n="p2c_755.010"/>
üppiger Schilderungen. <hi rendition="#aq">Metastasio</hi> hat ein ähnliches <hi rendition="#aq">Epithalamium</hi>. <lb n="p2c_755.011"/>
&#x2500; Die <hi rendition="#g">neuere</hi> Poesie mußte wegen der <lb n="p2c_755.012"/>
zunehmenden Reflexion die Allegorien dieser Art sehr frühzeitig <lb n="p2c_755.013"/>
ausbilden. Der berühmte französische Roman von <lb n="p2c_755.014"/>
der Rose in vielen tausend Versen ist ganz allegorisch, sehr <lb n="p2c_755.015"/>
abentheuerlich, für die Phantasie unterhaltend, aber freylich <lb n="p2c_755.016"/>
ohne großen Plan. Er mag eine satyrische Tendenz <lb n="p2c_755.017"/>
haben. Ueber den höhern Sinn sind die Commentatoren <lb n="p2c_755.018"/>
nicht einig. &#x2500; Petrarks Allegorien nähern sich dem höhern <lb n="p2c_755.019"/>
allegorischen Gedicht, wegen ihres tiefern Sinnes, <lb n="p2c_755.020"/>
sind aber mehr lyrisch als darstellend. Jm Englischen, <lb n="p2c_755.021"/>
Jtalienischen und Französischen hat man außerdem eine Menge <lb n="p2c_755.022"/> <hi rendition="#g">Tempel</hi> des Ruhms, des Geschmacks, Träume, <lb n="p2c_755.023"/>
Gesichte u. s. w. voll wunderbarer oft planloser aber unterhaltender <lb n="p2c_755.024"/>
Erdichtuug. J. B. Rousseau hat zwey Bücher <lb n="p2c_755.025"/>
Allegorien, die ziemlich kalt sind. &#x2500; Man hat die Wahl <lb n="p2c_755.026"/>
des Hercules (von Metastasio, Lowth u. s. w.) und andre <lb n="p2c_755.027"/>
Gegenstände bearbeitet. Herders Paramythien sind kleine
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[755/0279] p2c_755.001 beziehn, sondern die Vernunft nur als formales p2c_755.002 Vermögen von einem Gegenstand auf den andern zu p2c_755.003 schließen, und das Gefühl des niedern Schönen beschäftigen. p2c_755.004 p2c_755.005 Anmerk. Hiervon haben wir bey den Alten ebenfalls p2c_755.006 nur wenig Beyspiele, weil ihnen bey ihrer Mythologie p2c_755.007 die intellectuelle Deutung mangelte. Als allegorisches Gelegenheits=Gedicht p2c_755.008 kann man allenfalls das Carmen Claudiani p2c_755.009 de nuptiis Honorii et Mariae hierher rechnen voll p2c_755.010 üppiger Schilderungen. Metastasio hat ein ähnliches Epithalamium. p2c_755.011 ─ Die neuere Poesie mußte wegen der p2c_755.012 zunehmenden Reflexion die Allegorien dieser Art sehr frühzeitig p2c_755.013 ausbilden. Der berühmte französische Roman von p2c_755.014 der Rose in vielen tausend Versen ist ganz allegorisch, sehr p2c_755.015 abentheuerlich, für die Phantasie unterhaltend, aber freylich p2c_755.016 ohne großen Plan. Er mag eine satyrische Tendenz p2c_755.017 haben. Ueber den höhern Sinn sind die Commentatoren p2c_755.018 nicht einig. ─ Petrarks Allegorien nähern sich dem höhern p2c_755.019 allegorischen Gedicht, wegen ihres tiefern Sinnes, p2c_755.020 sind aber mehr lyrisch als darstellend. Jm Englischen, p2c_755.021 Jtalienischen und Französischen hat man außerdem eine Menge p2c_755.022 Tempel des Ruhms, des Geschmacks, Träume, p2c_755.023 Gesichte u. s. w. voll wunderbarer oft planloser aber unterhaltender p2c_755.024 Erdichtuug. J. B. Rousseau hat zwey Bücher p2c_755.025 Allegorien, die ziemlich kalt sind. ─ Man hat die Wahl p2c_755.026 des Hercules (von Metastasio, Lowth u. s. w.) und andre p2c_755.027 Gegenstände bearbeitet. Herders Paramythien sind kleine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/279
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 755. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/279>, abgerufen am 13.05.2024.