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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

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nach allen Regeln der poetischen Handlung zusammenhängt. p2c_761.002
Zuweilen nur eine Bemerkung irgend eines Phänomens p2c_761.003
der Naturwelt, ein Dialog zwischen zwey Thieren u. s. w. p2c_761.004
Die Lehre muß in der Fabel nicht vergessen werden, sonst p2c_761.005
bekommt sie die Natur des Räthsels. Sie kann voraus geschickt p2c_761.006
werden. Dieß vermehrt zuweilen das Jnteresse der p2c_761.007
Erzählung, weil der Zuhörer desto leichter die Anwendung p2c_761.008
macht, sie kann folgen, welches die Aufmerksamkeit mehr p2c_761.009
spannt. Sie kann den handelnden Wesen in den Mund gelegt p2c_761.010
werden. Es braucht nicht allemal eine wirkliche Moral, p2c_761.011
es kann eine Klugheitsregel, eine psychologische Beobachtung, p2c_761.012
nur muß sie merkwürdig seyn. Nicht immer wird p2c_761.013
sie, wie in der alten äsopischen Fabel, ohne alle Einkleidung, p2c_761.014
schlicht hingesagt. Zuweilen ist sie in einen neuen individuellen p2c_761.015
Fall eingehüllt, und die Fabel ist alsdann, wie p2c_761.016
manche Lessingische, zusammengesetzt, besteht aus p2c_761.017
Bild und Gegenbild. Das letztere muß aber deutlicher p2c_761.018
sich auf den Sinn beziehn, als das erste.

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Anmerk. 2. Der ästhetische Jnhalt der Fabel, p2c_761.020
die herrschende Hauptempfindung ist das naive. Denn p2c_761.021
die instinctmäßige Natur erscheint hier im Selbstbewußtseyn p2c_761.022
ihrer Jdealität. Die nicht moralische p2c_761.023
Welt zeigt sich handelnd nach geistigen Gesetzen. Dies giebt p2c_761.024
ästhetisch betrachtet die Empfindung des Naiven. Nächstdem, p2c_761.025
weil in der Fabel das Wunderbare bis zur Bizarrerie p2c_761.026
getrieben wird, wird die Empfindung des Scherzhaften p2c_761.027
am häufigsten erweckt werden, nicht selten auch

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 761. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/285>, abgerufen am 12.05.2024.