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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Töchter in der dickesten Unwissenheit aufwachsen" u. s. w. Veit
Ludwig von Seckendorff klagt seinerseits über die "große und
unverantwortliche Nachlässigkeit, daß so wenig Sorge für die
Unterweisung und gute Erziehung des weiblichen Geschlechts
getragen wird".

Wenn dem aber so ist, dann befindet sich unser Zeitalter
mit dieser Reformfrage in einer ähnlichen Lage wie mit so
vielen anderen. Nicht sowohl, daß die Mißstände größer ge-
worden sind, sondern daß eine stärkere Empfindung für dieselben
sich verbreitet hat, - das ist der Grund, wenn man ihnen
nicht mehr aus dem Wege gehen kann. Ja, die Fortschritte
selber sind es, welche nach größeren Fortschritten verlangen.

II.

Die ganze Frage nach Begabung, Beruf, Arbeitsgebieten
des weiblichen Geschlechts ruht ebenso unzweifelhaft auf der
natürlichen Differenz der beiden Geschlechter, wie die aus diesem
Grunde zu ziehenden Folgerungen für die Beantwortung der
Frage zweifelhaft sind. Denn es ist eben zu untersuchen, welche
Tragweite jene natürliche Differenz in der historischen Ent-
faltung der beiden Geschlechter habe, welcher Art dieselbe bisher
gewesen sei, wie sie in der Zukunft, wie sie für die heute
schwebenden Reformfragen beschaffen sein solle.

Ueber die Schwierigkeiten dieser Frage hinweg zu kommen,
hilft wenig ein Lehrsatz, den man neuerdings öfters und zwar
mit dem Pathos besonderer Wissenschaftlichkeit wiederholt, den

Töchter in der dickesten Unwissenheit aufwachsen“ u. s. w. Veit
Ludwig von Seckendorff klagt seinerseits über die „große und
unverantwortliche Nachlässigkeit, daß so wenig Sorge für die
Unterweisung und gute Erziehung des weiblichen Geschlechts
getragen wird“.

Wenn dem aber so ist, dann befindet sich unser Zeitalter
mit dieser Reformfrage in einer ähnlichen Lage wie mit so
vielen anderen. Nicht sowohl, daß die Mißstände größer ge-
worden sind, sondern daß eine stärkere Empfindung für dieselben
sich verbreitet hat, – das ist der Grund, wenn man ihnen
nicht mehr aus dem Wege gehen kann. Ja, die Fortschritte
selber sind es, welche nach größeren Fortschritten verlangen.

II.

Die ganze Frage nach Begabung, Beruf, Arbeitsgebieten
des weiblichen Geschlechts ruht ebenso unzweifelhaft auf der
natürlichen Differenz der beiden Geschlechter, wie die aus diesem
Grunde zu ziehenden Folgerungen für die Beantwortung der
Frage zweifelhaft sind. Denn es ist eben zu untersuchen, welche
Tragweite jene natürliche Differenz in der historischen Ent-
faltung der beiden Geschlechter habe, welcher Art dieselbe bisher
gewesen sei, wie sie in der Zukunft, wie sie für die heute
schwebenden Reformfragen beschaffen sein solle.

Ueber die Schwierigkeiten dieser Frage hinweg zu kommen,
hilft wenig ein Lehrsatz, den man neuerdings öfters und zwar
mit dem Pathos besonderer Wissenschaftlichkeit wiederholt, den

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[84/0100] Töchter in der dickesten Unwissenheit aufwachsen“ u. s. w. Veit Ludwig von Seckendorff klagt seinerseits über die „große und unverantwortliche Nachlässigkeit, daß so wenig Sorge für die Unterweisung und gute Erziehung des weiblichen Geschlechts getragen wird“. Wenn dem aber so ist, dann befindet sich unser Zeitalter mit dieser Reformfrage in einer ähnlichen Lage wie mit so vielen anderen. Nicht sowohl, daß die Mißstände größer ge- worden sind, sondern daß eine stärkere Empfindung für dieselben sich verbreitet hat, – das ist der Grund, wenn man ihnen nicht mehr aus dem Wege gehen kann. Ja, die Fortschritte selber sind es, welche nach größeren Fortschritten verlangen. II. Die ganze Frage nach Begabung, Beruf, Arbeitsgebieten des weiblichen Geschlechts ruht ebenso unzweifelhaft auf der natürlichen Differenz der beiden Geschlechter, wie die aus diesem Grunde zu ziehenden Folgerungen für die Beantwortung der Frage zweifelhaft sind. Denn es ist eben zu untersuchen, welche Tragweite jene natürliche Differenz in der historischen Ent- faltung der beiden Geschlechter habe, welcher Art dieselbe bisher gewesen sei, wie sie in der Zukunft, wie sie für die heute schwebenden Reformfragen beschaffen sein solle. Ueber die Schwierigkeiten dieser Frage hinweg zu kommen, hilft wenig ein Lehrsatz, den man neuerdings öfters und zwar mit dem Pathos besonderer Wissenschaftlichkeit wiederholt, den

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/100>, abgerufen am 29.03.2024.