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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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zwischen Gleichen entscheiden können, wenn Recht nicht ein todter
Buchstabe bleiben soll. Würde es indessen nicht ein schnödes
Unrecht sein, den Weibern die Richter- und Schöppenstühle zu
verschließen?

Allein, genug dieser Aeußerungen, die auf den Mittel-
punkt der Gleichberechtigung gerichtet sind im Sinne jenes Zeit-
alters und uns nur zur Bewunderung des abstracten Gedanken-
flugs reizen. Daran schließt sich dann eine Fülle von An-
regungen, die mitten in unsere heutige Wirklichkeit hineingreifen.
Hippel verlangt gemeinsamen Unterricht der beiden Geschlechter
für den gemeinsamen Staatsberuf. Aber er verlangt ihn auch
für näher liegende Zwecke, und er trennt ihn wiederum je nach
dem Bedürfniß dieser Zwecke. So ruft er aus: Väter des
Staats, errichtet Schulen für die Weiber, wo das, was zum
Unterhalte und zur Nahrung des Menschen dienen soll, näher
geprüft und untersucht wird; wo sie gelehrt werden, Speise und
Trank auf eine unschädliche und schmackhafte Weise zu bereiten,
und das Leben und die Gesundheit der Staatsbürger zu sichern.
Aber auch in moralischer Rücksicht wäre es den Sitten und
dem Staate vorteilhaft, wenn den Weibern gestattet würde,
Arzneikunde zu üben. Weibliche Aerzte müßten sich weit eher
das Zutrauen bei den Kranken ihres Geschlechts erwerben...
Schamhaftigkeit, ist sie nicht oft die Ursache, daß Mädchen
Gebrechen so lange verheimlichen, bis dieselben nicht mehr zu
heben sind?

Aus sittlichen Gründen ferner beanstandet Hippel männ-
liche Tanzmeister, Singmeister, Haarkräusler, Schneider, Schuster
- und (was uns ein überraschendes Zeugniß aus der damaligen
Zeit) "auch die weibliche Kleidung sollte durch Weiber an-
gemessen und angefertigt werden".


Cohn, Die deutsche Frauenbewegung. 7

zwischen Gleichen entscheiden können, wenn Recht nicht ein todter
Buchstabe bleiben soll. Würde es indessen nicht ein schnödes
Unrecht sein, den Weibern die Richter- und Schöppenstühle zu
verschließen?

Allein, genug dieser Aeußerungen, die auf den Mittel-
punkt der Gleichberechtigung gerichtet sind im Sinne jenes Zeit-
alters und uns nur zur Bewunderung des abstracten Gedanken-
flugs reizen. Daran schließt sich dann eine Fülle von An-
regungen, die mitten in unsere heutige Wirklichkeit hineingreifen.
Hippel verlangt gemeinsamen Unterricht der beiden Geschlechter
für den gemeinsamen Staatsberuf. Aber er verlangt ihn auch
für näher liegende Zwecke, und er trennt ihn wiederum je nach
dem Bedürfniß dieser Zwecke. So ruft er aus: Väter des
Staats, errichtet Schulen für die Weiber, wo das, was zum
Unterhalte und zur Nahrung des Menschen dienen soll, näher
geprüft und untersucht wird; wo sie gelehrt werden, Speise und
Trank auf eine unschädliche und schmackhafte Weise zu bereiten,
und das Leben und die Gesundheit der Staatsbürger zu sichern.
Aber auch in moralischer Rücksicht wäre es den Sitten und
dem Staate vorteilhaft, wenn den Weibern gestattet würde,
Arzneikunde zu üben. Weibliche Aerzte müßten sich weit eher
das Zutrauen bei den Kranken ihres Geschlechts erwerben…
Schamhaftigkeit, ist sie nicht oft die Ursache, daß Mädchen
Gebrechen so lange verheimlichen, bis dieselben nicht mehr zu
heben sind?

Aus sittlichen Gründen ferner beanstandet Hippel männ-
liche Tanzmeister, Singmeister, Haarkräusler, Schneider, Schuster
– und (was uns ein überraschendes Zeugniß aus der damaligen
Zeit) „auch die weibliche Kleidung sollte durch Weiber an-
gemessen und angefertigt werden“.


Cohn, Die deutsche Frauenbewegung. 7
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[97/0113] zwischen Gleichen entscheiden können, wenn Recht nicht ein todter Buchstabe bleiben soll. Würde es indessen nicht ein schnödes Unrecht sein, den Weibern die Richter- und Schöppenstühle zu verschließen? Allein, genug dieser Aeußerungen, die auf den Mittel- punkt der Gleichberechtigung gerichtet sind im Sinne jenes Zeit- alters und uns nur zur Bewunderung des abstracten Gedanken- flugs reizen. Daran schließt sich dann eine Fülle von An- regungen, die mitten in unsere heutige Wirklichkeit hineingreifen. Hippel verlangt gemeinsamen Unterricht der beiden Geschlechter für den gemeinsamen Staatsberuf. Aber er verlangt ihn auch für näher liegende Zwecke, und er trennt ihn wiederum je nach dem Bedürfniß dieser Zwecke. So ruft er aus: Väter des Staats, errichtet Schulen für die Weiber, wo das, was zum Unterhalte und zur Nahrung des Menschen dienen soll, näher geprüft und untersucht wird; wo sie gelehrt werden, Speise und Trank auf eine unschädliche und schmackhafte Weise zu bereiten, und das Leben und die Gesundheit der Staatsbürger zu sichern. Aber auch in moralischer Rücksicht wäre es den Sitten und dem Staate vorteilhaft, wenn den Weibern gestattet würde, Arzneikunde zu üben. Weibliche Aerzte müßten sich weit eher das Zutrauen bei den Kranken ihres Geschlechts erwerben… Schamhaftigkeit, ist sie nicht oft die Ursache, daß Mädchen Gebrechen so lange verheimlichen, bis dieselben nicht mehr zu heben sind? Aus sittlichen Gründen ferner beanstandet Hippel männ- liche Tanzmeister, Singmeister, Haarkräusler, Schneider, Schuster – und (was uns ein überraschendes Zeugniß aus der damaligen Zeit) „auch die weibliche Kleidung sollte durch Weiber an- gemessen und angefertigt werden“. Cohn, Die deutsche Frauenbewegung. 7

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/113>, abgerufen am 29.03.2024.