Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

aus Frauenmund reden zu lassen, an denen es allerdings durch-
aus nicht mangelt.

So sagte die Rednerin des evangelisch-socialen Congresses,
deren Gedankengang wir kennen lernten, u. A. Folgendes:

"Das Hauswesen bietet nicht genügend zweckmäßige Arbeit,
um dem Leben der Töchter ein festes Rückgrat zu geben; an
ihre Stelle treten vielfach dilettantenhafte Kunstübungen und
die Jagd nach Zerstreuung. Obschon der Hinweis auf die er-
schwerte Eheschließung zu einer Trivialität geworden ist, faßt
die überwiegende Mehrzahl der Eltern die Ehe als den einzigen
Lebenszweck ihrer Töchter ins Auge. Aber wie oft vergeht die
Jugend, ohne daß die erwartete Heirath zu Stande kommt!
Die geselligen Freuden werden schal. Junger Nachwuchs er-
scheint, und damit tritt in der Gesellschaft eine Entwerthung
des alternden Mädchens ein, die um so kränkender wird, je
reifer der innere Mensch geworden ist. Sind Mittel da, so
kann die Frau auch in reiferen Jahren noch nach pflichtmäßiger
Arbeit ausschauen und sich zu einem Berufe tüchtig machen,
wenn sie in ihrem vegetativen Dasein noch nicht allen sittlichen
Ernst eingebüßt hat; aber wenn es an Mitteln fehlt, wenn sie
Arbeit suchen muß nicht nur zum Lebensinhalte, sondern auch
zum Lebensunterhalte, wenn der sterbende Vater die verwöhnte
Tochter arm zurückläßt, was wird dann aus ihr? Auf dem
Arbeitsmarkte erfährt sie bald, daß sie untüchtig ist, sich ihr
Brot zu verdienen. Einige häusliche Verrichtungen sind ihr
geläufig, darauf fußt sie und meldet sich als "Stütze". Ein
glücklicher Zufall ist es und nichts weiter, wenn sie den An-
forderungen des neuen Pflichtenberufes genügt. Gelernt hat
sie wirthschaftlich nichts ... Nicht minder bedauerlich als
die untüchtigen Mittellosen sind aber auch jene bemittelten
Frauen, welche die Würze des Lebens - pflichtmäßige Arbeit -

aus Frauenmund reden zu lassen, an denen es allerdings durch-
aus nicht mangelt.

So sagte die Rednerin des evangelisch-socialen Congresses,
deren Gedankengang wir kennen lernten, u. A. Folgendes:

„Das Hauswesen bietet nicht genügend zweckmäßige Arbeit,
um dem Leben der Töchter ein festes Rückgrat zu geben; an
ihre Stelle treten vielfach dilettantenhafte Kunstübungen und
die Jagd nach Zerstreuung. Obschon der Hinweis auf die er-
schwerte Eheschließung zu einer Trivialität geworden ist, faßt
die überwiegende Mehrzahl der Eltern die Ehe als den einzigen
Lebenszweck ihrer Töchter ins Auge. Aber wie oft vergeht die
Jugend, ohne daß die erwartete Heirath zu Stande kommt!
Die geselligen Freuden werden schal. Junger Nachwuchs er-
scheint, und damit tritt in der Gesellschaft eine Entwerthung
des alternden Mädchens ein, die um so kränkender wird, je
reifer der innere Mensch geworden ist. Sind Mittel da, so
kann die Frau auch in reiferen Jahren noch nach pflichtmäßiger
Arbeit ausschauen und sich zu einem Berufe tüchtig machen,
wenn sie in ihrem vegetativen Dasein noch nicht allen sittlichen
Ernst eingebüßt hat; aber wenn es an Mitteln fehlt, wenn sie
Arbeit suchen muß nicht nur zum Lebensinhalte, sondern auch
zum Lebensunterhalte, wenn der sterbende Vater die verwöhnte
Tochter arm zurückläßt, was wird dann aus ihr? Auf dem
Arbeitsmarkte erfährt sie bald, daß sie untüchtig ist, sich ihr
Brot zu verdienen. Einige häusliche Verrichtungen sind ihr
geläufig, darauf fußt sie und meldet sich als „Stütze“. Ein
glücklicher Zufall ist es und nichts weiter, wenn sie den An-
forderungen des neuen Pflichtenberufes genügt. Gelernt hat
sie wirthschaftlich nichts … Nicht minder bedauerlich als
die untüchtigen Mittellosen sind aber auch jene bemittelten
Frauen, welche die Würze des Lebens – pflichtmäßige Arbeit –

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0136" n="120"/>
aus Frauenmund reden zu lassen, an denen es allerdings durch-<lb/>
aus nicht mangelt.</p><lb/>
          <p>So sagte die Rednerin des evangelisch-socialen Congresses,<lb/>
deren Gedankengang wir kennen lernten, u. A. Folgendes:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Das Hauswesen bietet nicht genügend zweckmäßige Arbeit,<lb/>
um dem Leben der Töchter ein festes Rückgrat zu geben; an<lb/>
ihre Stelle treten vielfach dilettantenhafte Kunstübungen und<lb/>
die Jagd nach Zerstreuung. Obschon der Hinweis auf die er-<lb/>
schwerte Eheschließung zu einer Trivialität geworden ist, faßt<lb/>
die überwiegende Mehrzahl der Eltern die Ehe als den einzigen<lb/>
Lebenszweck ihrer Töchter ins Auge. Aber wie oft vergeht die<lb/>
Jugend, ohne daß die erwartete Heirath zu Stande kommt!<lb/>
Die geselligen Freuden werden schal. Junger Nachwuchs er-<lb/>
scheint, und damit tritt in der Gesellschaft eine Entwerthung<lb/>
des alternden Mädchens ein, die um so kränkender wird, je<lb/>
reifer der innere Mensch geworden ist. Sind Mittel da, so<lb/>
kann die Frau auch in reiferen Jahren noch nach pflichtmäßiger<lb/>
Arbeit ausschauen und sich zu einem Berufe tüchtig machen,<lb/>
wenn sie in ihrem vegetativen Dasein noch nicht allen sittlichen<lb/>
Ernst eingebüßt hat; aber wenn es an Mitteln fehlt, wenn sie<lb/>
Arbeit suchen muß nicht nur zum Lebensinhalte, sondern auch<lb/>
zum Lebens<hi rendition="#g">unter</hi>halte, wenn der sterbende Vater die verwöhnte<lb/>
Tochter arm zurückläßt, was wird dann aus ihr? Auf dem<lb/>
Arbeitsmarkte erfährt sie bald, daß sie untüchtig ist, sich ihr<lb/>
Brot zu verdienen. Einige häusliche Verrichtungen sind ihr<lb/>
geläufig, darauf fußt sie und meldet sich als &#x201E;Stütze&#x201C;. Ein<lb/>
glücklicher Zufall ist es und nichts weiter, wenn sie den An-<lb/>
forderungen des neuen Pflichtenberufes genügt. Gelernt hat<lb/>
sie wirthschaftlich <hi rendition="#g">nichts</hi> &#x2026; Nicht minder bedauerlich als<lb/>
die untüchtigen Mittellosen sind aber auch jene bemittelten<lb/>
Frauen, welche die Würze des Lebens &#x2013; pflichtmäßige Arbeit &#x2013;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0136] aus Frauenmund reden zu lassen, an denen es allerdings durch- aus nicht mangelt. So sagte die Rednerin des evangelisch-socialen Congresses, deren Gedankengang wir kennen lernten, u. A. Folgendes: „Das Hauswesen bietet nicht genügend zweckmäßige Arbeit, um dem Leben der Töchter ein festes Rückgrat zu geben; an ihre Stelle treten vielfach dilettantenhafte Kunstübungen und die Jagd nach Zerstreuung. Obschon der Hinweis auf die er- schwerte Eheschließung zu einer Trivialität geworden ist, faßt die überwiegende Mehrzahl der Eltern die Ehe als den einzigen Lebenszweck ihrer Töchter ins Auge. Aber wie oft vergeht die Jugend, ohne daß die erwartete Heirath zu Stande kommt! Die geselligen Freuden werden schal. Junger Nachwuchs er- scheint, und damit tritt in der Gesellschaft eine Entwerthung des alternden Mädchens ein, die um so kränkender wird, je reifer der innere Mensch geworden ist. Sind Mittel da, so kann die Frau auch in reiferen Jahren noch nach pflichtmäßiger Arbeit ausschauen und sich zu einem Berufe tüchtig machen, wenn sie in ihrem vegetativen Dasein noch nicht allen sittlichen Ernst eingebüßt hat; aber wenn es an Mitteln fehlt, wenn sie Arbeit suchen muß nicht nur zum Lebensinhalte, sondern auch zum Lebensunterhalte, wenn der sterbende Vater die verwöhnte Tochter arm zurückläßt, was wird dann aus ihr? Auf dem Arbeitsmarkte erfährt sie bald, daß sie untüchtig ist, sich ihr Brot zu verdienen. Einige häusliche Verrichtungen sind ihr geläufig, darauf fußt sie und meldet sich als „Stütze“. Ein glücklicher Zufall ist es und nichts weiter, wenn sie den An- forderungen des neuen Pflichtenberufes genügt. Gelernt hat sie wirthschaftlich nichts … Nicht minder bedauerlich als die untüchtigen Mittellosen sind aber auch jene bemittelten Frauen, welche die Würze des Lebens – pflichtmäßige Arbeit –

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-02-18T15:54:56Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/136
Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/136>, abgerufen am 19.04.2024.