Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

betrachtet, muß dieser nicht abzuwehrende Charakter derselben
betont werden. Es ist eine auf breitem internationalen Boden
ruhende Culturerscheinung, welche die Freunde des Alten ver-
gebens für eine Modethorheit halten. Sie wird immer mächtiger
werden, und der Widerstand immer ohnmächtiger.

Was ist nun von der bisherigen Entwickelung der Sache
in Deutschland zu sagen?

Nach der Natur der deutschen Studieneinrichtungen und
der Stellung des Staats zum Hochschulunterricht, dann wegen
der hier traditionell geringen Leistungsfähigkeit der Selbsthülfe
und zumal des Stiftungswesens war und ist im Mittelpunkte
der ganzen Angelegenheit die staatliche Unterrichtsverwaltung
mit ihren Lehranstalten, insbesondere den Universitäten. Auch
da, wo bescheidene Mittel der freien Gemeinnützigkeit und freie
Organisationen sich für unseren Zweck einsetzen, ist alsbald oder
schon im Vorwege die staatliche Unterrichtsverwaltung unent-
behrlich, weil sie den Rahmen ihrer Regulative an die neuen
Anfänge anpassen muß, damit diese Bestrebungen am richtigen
Ende ausmünden.

Etwa um die Zeit, da in der Schweiz das Universitäts-
studium der Frauen beginnt, zeigen sich kleine Ansätze der Art
auch auf einigen deutschen Universitäten. Jn Leipzig, in Heidel-
berg gibt es Zuhörerinnen, welche mit besonderer Genehmigung
der akademischen Behörden und der einzelnen Universitätslehrer
zugelassen werden, ohne immatriculirt zu sein. Während in
den drei Schweizer Universitäten Zürich, Bern, Genf schnell
das volle Recht, zumal für das medicinische Studium und das
medicinische Staatsexamen, erworben wird, fehlt bei jenen
deutschen Universitäten die Festigkeit einer dauernden Jnstitution,
und der Zustand eines heute gewährten, morgen versagten Aus-
nahmerechts führt bald dahin, daß die Sache im Sande ver-

betrachtet, muß dieser nicht abzuwehrende Charakter derselben
betont werden. Es ist eine auf breitem internationalen Boden
ruhende Culturerscheinung, welche die Freunde des Alten ver-
gebens für eine Modethorheit halten. Sie wird immer mächtiger
werden, und der Widerstand immer ohnmächtiger.

Was ist nun von der bisherigen Entwickelung der Sache
in Deutschland zu sagen?

Nach der Natur der deutschen Studieneinrichtungen und
der Stellung des Staats zum Hochschulunterricht, dann wegen
der hier traditionell geringen Leistungsfähigkeit der Selbsthülfe
und zumal des Stiftungswesens war und ist im Mittelpunkte
der ganzen Angelegenheit die staatliche Unterrichtsverwaltung
mit ihren Lehranstalten, insbesondere den Universitäten. Auch
da, wo bescheidene Mittel der freien Gemeinnützigkeit und freie
Organisationen sich für unseren Zweck einsetzen, ist alsbald oder
schon im Vorwege die staatliche Unterrichtsverwaltung unent-
behrlich, weil sie den Rahmen ihrer Regulative an die neuen
Anfänge anpassen muß, damit diese Bestrebungen am richtigen
Ende ausmünden.

Etwa um die Zeit, da in der Schweiz das Universitäts-
studium der Frauen beginnt, zeigen sich kleine Ansätze der Art
auch auf einigen deutschen Universitäten. Jn Leipzig, in Heidel-
berg gibt es Zuhörerinnen, welche mit besonderer Genehmigung
der akademischen Behörden und der einzelnen Universitätslehrer
zugelassen werden, ohne immatriculirt zu sein. Während in
den drei Schweizer Universitäten Zürich, Bern, Genf schnell
das volle Recht, zumal für das medicinische Studium und das
medicinische Staatsexamen, erworben wird, fehlt bei jenen
deutschen Universitäten die Festigkeit einer dauernden Jnstitution,
und der Zustand eines heute gewährten, morgen versagten Aus-
nahmerechts führt bald dahin, daß die Sache im Sande ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0215" n="199"/>
betrachtet, muß dieser nicht abzuwehrende Charakter derselben<lb/>
betont werden. Es ist eine auf breitem internationalen Boden<lb/>
ruhende Culturerscheinung, welche die Freunde des Alten ver-<lb/>
gebens für eine Modethorheit halten. Sie wird immer mächtiger<lb/>
werden, und der Widerstand immer ohnmächtiger.</p><lb/>
          <p>Was ist nun von der bisherigen Entwickelung der Sache<lb/>
in Deutschland zu sagen?</p><lb/>
          <p>Nach der Natur der deutschen Studieneinrichtungen und<lb/>
der Stellung des Staats zum Hochschulunterricht, dann wegen<lb/>
der hier traditionell geringen Leistungsfähigkeit der Selbsthülfe<lb/>
und zumal des Stiftungswesens war und ist im Mittelpunkte<lb/>
der ganzen Angelegenheit die staatliche Unterrichtsverwaltung<lb/>
mit ihren Lehranstalten, insbesondere den Universitäten. Auch<lb/>
da, wo bescheidene Mittel der freien Gemeinnützigkeit und freie<lb/>
Organisationen sich für unseren Zweck einsetzen, ist alsbald oder<lb/>
schon im Vorwege die staatliche Unterrichtsverwaltung unent-<lb/>
behrlich, weil sie den Rahmen ihrer Regulative an die neuen<lb/>
Anfänge anpassen muß, damit diese Bestrebungen am richtigen<lb/>
Ende ausmünden.</p><lb/>
          <p>Etwa um die Zeit, da in der Schweiz das Universitäts-<lb/>
studium der Frauen beginnt, zeigen sich kleine Ansätze der Art<lb/>
auch auf einigen deutschen Universitäten. Jn Leipzig, in Heidel-<lb/>
berg gibt es Zuhörerinnen, welche mit besonderer Genehmigung<lb/>
der akademischen Behörden und der einzelnen Universitätslehrer<lb/>
zugelassen werden, ohne immatriculirt zu sein. Während in<lb/>
den drei Schweizer Universitäten Zürich, Bern, Genf schnell<lb/>
das volle Recht, zumal für das medicinische Studium und das<lb/>
medicinische Staatsexamen, erworben wird, fehlt bei jenen<lb/>
deutschen Universitäten die Festigkeit einer dauernden Jnstitution,<lb/>
und der Zustand eines heute gewährten, morgen versagten Aus-<lb/>
nahmerechts führt bald dahin, daß die Sache im Sande ver-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0215] betrachtet, muß dieser nicht abzuwehrende Charakter derselben betont werden. Es ist eine auf breitem internationalen Boden ruhende Culturerscheinung, welche die Freunde des Alten ver- gebens für eine Modethorheit halten. Sie wird immer mächtiger werden, und der Widerstand immer ohnmächtiger. Was ist nun von der bisherigen Entwickelung der Sache in Deutschland zu sagen? Nach der Natur der deutschen Studieneinrichtungen und der Stellung des Staats zum Hochschulunterricht, dann wegen der hier traditionell geringen Leistungsfähigkeit der Selbsthülfe und zumal des Stiftungswesens war und ist im Mittelpunkte der ganzen Angelegenheit die staatliche Unterrichtsverwaltung mit ihren Lehranstalten, insbesondere den Universitäten. Auch da, wo bescheidene Mittel der freien Gemeinnützigkeit und freie Organisationen sich für unseren Zweck einsetzen, ist alsbald oder schon im Vorwege die staatliche Unterrichtsverwaltung unent- behrlich, weil sie den Rahmen ihrer Regulative an die neuen Anfänge anpassen muß, damit diese Bestrebungen am richtigen Ende ausmünden. Etwa um die Zeit, da in der Schweiz das Universitäts- studium der Frauen beginnt, zeigen sich kleine Ansätze der Art auch auf einigen deutschen Universitäten. Jn Leipzig, in Heidel- berg gibt es Zuhörerinnen, welche mit besonderer Genehmigung der akademischen Behörden und der einzelnen Universitätslehrer zugelassen werden, ohne immatriculirt zu sein. Während in den drei Schweizer Universitäten Zürich, Bern, Genf schnell das volle Recht, zumal für das medicinische Studium und das medicinische Staatsexamen, erworben wird, fehlt bei jenen deutschen Universitäten die Festigkeit einer dauernden Jnstitution, und der Zustand eines heute gewährten, morgen versagten Aus- nahmerechts führt bald dahin, daß die Sache im Sande ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-02-18T15:54:56Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/215
Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/215>, abgerufen am 19.04.2024.