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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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im Geiste des heutigen Realismus unseren höheren Kreisen hin-
reichend imponirt. Ein Ausweg möchte hiernach der sein, daß
man das Studium dahin dirigirt, wo die Geneigtheit der Fa-
cultät sich amtlich ausgesprochen hat. Wie denn wirklich auf
die Umfrage des Unterrichtsministers bei den preußischen Fa-
cultäten im Frühjahr 1892 meines Wissens mehr als eine
medicinische Facultät sich günstig geäußert hat. Es ist bezeich-
nend, daß für diese günstige Ansicht Erfahrungen maßgebend
gewesen sind, welche durch einflußreiche Mitglieder der be-
treffenden Facultäten in der Schweiz als Professoren an einer
der dortigen medicinischen Facultäten gemacht worden waren.
So liegt mir das Votum einer Autorität vor, welche auf
Grund achtzehnjähriger Erfahrung an einer Schweizer Univer-
sität nachdrücklich für die Sache in Preußen eingetreten ist,
obwohl oder weil in den schweizerischen Verhältnissen mancherlei
ungünstige Momente mitwirkten, die bei uns vermieden werden
können. Die Begabung der weiblichen Studirenden erwies
sich, laut jenem Votum, als dieselbe, wie die der männlichen,
zumal wenn man die meist unzulängliche Vorbildung in Rech-
nung stellte. Der Fleiß war, mit ganz verschwindenden Aus-
nahmen, befriedigend, ja bei vielen ungewöhnlich groß. Die
Prüfungsergebnisse waren ungefähr dieselben, wie bei den übrigen
Studirenden. Jn der Praxis wirkten schon vor zwanzig Jahren
mehrere schweizerische Aerztinnen, welche das Staatsexamen ge-
macht, mit auffallend großer Beliebtheit bei ihren weiblichen
Patienten. Die am häufigsten hervorgehobenen Bedenken gegen
einen gemeinsamen medicinischen Unterricht der beiden Ge-
schlechter sind hier niemals durch die wirkliche Erfahrung be-
stätigt worden, vielmehr hat der wissenschaftliche Ernst von
Lehrer und Lernenden auch nicht ein zweideutiges Lächeln auf-
kommen lassen.

im Geiste des heutigen Realismus unseren höheren Kreisen hin-
reichend imponirt. Ein Ausweg möchte hiernach der sein, daß
man das Studium dahin dirigirt, wo die Geneigtheit der Fa-
cultät sich amtlich ausgesprochen hat. Wie denn wirklich auf
die Umfrage des Unterrichtsministers bei den preußischen Fa-
cultäten im Frühjahr 1892 meines Wissens mehr als eine
medicinische Facultät sich günstig geäußert hat. Es ist bezeich-
nend, daß für diese günstige Ansicht Erfahrungen maßgebend
gewesen sind, welche durch einflußreiche Mitglieder der be-
treffenden Facultäten in der Schweiz als Professoren an einer
der dortigen medicinischen Facultäten gemacht worden waren.
So liegt mir das Votum einer Autorität vor, welche auf
Grund achtzehnjähriger Erfahrung an einer Schweizer Univer-
sität nachdrücklich für die Sache in Preußen eingetreten ist,
obwohl oder weil in den schweizerischen Verhältnissen mancherlei
ungünstige Momente mitwirkten, die bei uns vermieden werden
können. Die Begabung der weiblichen Studirenden erwies
sich, laut jenem Votum, als dieselbe, wie die der männlichen,
zumal wenn man die meist unzulängliche Vorbildung in Rech-
nung stellte. Der Fleiß war, mit ganz verschwindenden Aus-
nahmen, befriedigend, ja bei vielen ungewöhnlich groß. Die
Prüfungsergebnisse waren ungefähr dieselben, wie bei den übrigen
Studirenden. Jn der Praxis wirkten schon vor zwanzig Jahren
mehrere schweizerische Aerztinnen, welche das Staatsexamen ge-
macht, mit auffallend großer Beliebtheit bei ihren weiblichen
Patienten. Die am häufigsten hervorgehobenen Bedenken gegen
einen gemeinsamen medicinischen Unterricht der beiden Ge-
schlechter sind hier niemals durch die wirkliche Erfahrung be-
stätigt worden, vielmehr hat der wissenschaftliche Ernst von
Lehrer und Lernenden auch nicht ein zweideutiges Lächeln auf-
kommen lassen.

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[210/0226] im Geiste des heutigen Realismus unseren höheren Kreisen hin- reichend imponirt. Ein Ausweg möchte hiernach der sein, daß man das Studium dahin dirigirt, wo die Geneigtheit der Fa- cultät sich amtlich ausgesprochen hat. Wie denn wirklich auf die Umfrage des Unterrichtsministers bei den preußischen Fa- cultäten im Frühjahr 1892 meines Wissens mehr als eine medicinische Facultät sich günstig geäußert hat. Es ist bezeich- nend, daß für diese günstige Ansicht Erfahrungen maßgebend gewesen sind, welche durch einflußreiche Mitglieder der be- treffenden Facultäten in der Schweiz als Professoren an einer der dortigen medicinischen Facultäten gemacht worden waren. So liegt mir das Votum einer Autorität vor, welche auf Grund achtzehnjähriger Erfahrung an einer Schweizer Univer- sität nachdrücklich für die Sache in Preußen eingetreten ist, obwohl oder weil in den schweizerischen Verhältnissen mancherlei ungünstige Momente mitwirkten, die bei uns vermieden werden können. Die Begabung der weiblichen Studirenden erwies sich, laut jenem Votum, als dieselbe, wie die der männlichen, zumal wenn man die meist unzulängliche Vorbildung in Rech- nung stellte. Der Fleiß war, mit ganz verschwindenden Aus- nahmen, befriedigend, ja bei vielen ungewöhnlich groß. Die Prüfungsergebnisse waren ungefähr dieselben, wie bei den übrigen Studirenden. Jn der Praxis wirkten schon vor zwanzig Jahren mehrere schweizerische Aerztinnen, welche das Staatsexamen ge- macht, mit auffallend großer Beliebtheit bei ihren weiblichen Patienten. Die am häufigsten hervorgehobenen Bedenken gegen einen gemeinsamen medicinischen Unterricht der beiden Ge- schlechter sind hier niemals durch die wirkliche Erfahrung be- stätigt worden, vielmehr hat der wissenschaftliche Ernst von Lehrer und Lernenden auch nicht ein zweideutiges Lächeln auf- kommen lassen.

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/226>, abgerufen am 28.03.2024.