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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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XX.

Nun kamen stillere Tage für Adam. Er ging
nicht viel aus, er saß oft stundenlang auf seinem
Zimmer, er spann seine losen, verzettelten Gedanken
in der Sophaecke, er las dies und das ohne inneren
Zwang, ohne besondere geistige Genugthuung. Der
Juni war sehr heiß, trotzdem überlief Adam oft ein
leises, stachliges Frösteln, besonders gegen Abend
stellte sich gewöhnlich ein heftigeres Fieber ein, sein
Schlaf war dünn, unruhig, von schwülen, bizarren
Träumen erfüllt. Früh fühlte er sich oft matter
und hinfälliger, als er den Abend vorher gewesen
war. Endlich nahm er Chinin ein, da wurde es
besser, das Fieber trat weniger akut auf, schließlich
blieb es ganz weg.

Lydia hatte Adam bald nach ihrer Ankunft in
Friedrichroda geschrieben. Er hatte den lieben, zärt-
lichen Brief mit seiner zartstrichigen Schrift, seinen
pikanten stilistischen Inkorrektheiten, seinen versteckten
Liebkosungen oft genug gelesen, wieder und wieder.
Lydias Hingebung schmeichelte seiner Eitelkeit, er
vergaß, welchen Umständen er schließlich ihren Besitz
verdankte, es kam so weit, daß er sich unwillkürlich

XX.

Nun kamen ſtillere Tage für Adam. Er ging
nicht viel aus, er ſaß oft ſtundenlang auf ſeinem
Zimmer, er ſpann ſeine loſen, verzettelten Gedanken
in der Sophaecke, er las dies und das ohne inneren
Zwang, ohne beſondere geiſtige Genugthuung. Der
Juni war ſehr heiß, trotzdem überlief Adam oft ein
leiſes, ſtachliges Fröſteln, beſonders gegen Abend
ſtellte ſich gewöhnlich ein heftigeres Fieber ein, ſein
Schlaf war dünn, unruhig, von ſchwülen, bizarren
Träumen erfüllt. Früh fühlte er ſich oft matter
und hinfälliger, als er den Abend vorher geweſen
war. Endlich nahm er Chinin ein, da wurde es
beſſer, das Fieber trat weniger akut auf, ſchließlich
blieb es ganz weg.

Lydia hatte Adam bald nach ihrer Ankunft in
Friedrichroda geſchrieben. Er hatte den lieben, zärt-
lichen Brief mit ſeiner zartſtrichigen Schrift, ſeinen
pikanten ſtiliſtiſchen Inkorrektheiten, ſeinen verſteckten
Liebkoſungen oft genug geleſen, wieder und wieder.
Lydias Hingebung ſchmeichelte ſeiner Eitelkeit, er
vergaß, welchen Umſtänden er ſchließlich ihren Beſitz
verdankte, es kam ſo weit, daß er ſich unwillkürlich

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[[457]/0465] XX. Nun kamen ſtillere Tage für Adam. Er ging nicht viel aus, er ſaß oft ſtundenlang auf ſeinem Zimmer, er ſpann ſeine loſen, verzettelten Gedanken in der Sophaecke, er las dies und das ohne inneren Zwang, ohne beſondere geiſtige Genugthuung. Der Juni war ſehr heiß, trotzdem überlief Adam oft ein leiſes, ſtachliges Fröſteln, beſonders gegen Abend ſtellte ſich gewöhnlich ein heftigeres Fieber ein, ſein Schlaf war dünn, unruhig, von ſchwülen, bizarren Träumen erfüllt. Früh fühlte er ſich oft matter und hinfälliger, als er den Abend vorher geweſen war. Endlich nahm er Chinin ein, da wurde es beſſer, das Fieber trat weniger akut auf, ſchließlich blieb es ganz weg. Lydia hatte Adam bald nach ihrer Ankunft in Friedrichroda geſchrieben. Er hatte den lieben, zärt- lichen Brief mit ſeiner zartſtrichigen Schrift, ſeinen pikanten ſtiliſtiſchen Inkorrektheiten, ſeinen verſteckten Liebkoſungen oft genug geleſen, wieder und wieder. Lydias Hingebung ſchmeichelte ſeiner Eitelkeit, er vergaß, welchen Umſtänden er ſchließlich ihren Beſitz verdankte, es kam ſo weit, daß er ſich unwillkürlich

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. [457]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/465>, abgerufen am 19.04.2024.