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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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2. Das Schicksal der Reformen.

Nach und nach räumten alle Minister der vorigen Re-
gierung ihre Plätze, der despotische Kanzler Maupeou,
welcher die Parlamente gestürzt hatte, der freche Finanz-
mann Terray, die übel berüchtigten Herzoge von Aiguillon
und von Vrilliere. Von den neu eintretenden standen Males-
herbes und Turgot in der ersten Linie der öffentlichen Mei-
nung, ohne Nebenmann in ganz Frankreich. Sie waren
von frühher vertraut, tauschten verwandte Ansichten aus,
die gleichwohl durch die Verschiedenheit ihrer Natur und
Laufbahn sich mannigfach abweichend bedingten. Lamoignon
de Malesherbes ging seinem Freunde an Jahren und in
seiner Stellung voran. Körperlich unbeholfen und schwer-
fällig war er als junger Mann die Verzweiflung seines
Tanzmeisters, den sein Gewissen sogar trieb sich eines
Tages bei dem Vater seines Zöglings, dem damaligen
Parlamentspräsidenten Lamoignon eine förmliche Audienz
zu erbitten. "Herr Präsident, sprach er, "ich bin es dem
Vertrauen, mit welchem Sie mich beehrt haben, schuldig

2. Das Schickſal der Reformen.

Nach und nach räumten alle Miniſter der vorigen Re-
gierung ihre Plätze, der despotiſche Kanzler Maupeou,
welcher die Parlamente geſtürzt hatte, der freche Finanz-
mann Terray, die übel berüchtigten Herzoge von Aiguillon
und von Vrilliere. Von den neu eintretenden ſtanden Males-
herbes und Turgot in der erſten Linie der öffentlichen Mei-
nung, ohne Nebenmann in ganz Frankreich. Sie waren
von frühher vertraut, tauſchten verwandte Anſichten aus,
die gleichwohl durch die Verſchiedenheit ihrer Natur und
Laufbahn ſich mannigfach abweichend bedingten. Lamoignon
de Malesherbes ging ſeinem Freunde an Jahren und in
ſeiner Stellung voran. Körperlich unbeholfen und ſchwer-
fällig war er als junger Mann die Verzweiflung ſeines
Tanzmeiſters, den ſein Gewiſſen ſogar trieb ſich eines
Tages bei dem Vater ſeines Zöglings, dem damaligen
Parlamentspräſidenten Lamoignon eine förmliche Audienz
zu erbitten. „Herr Präſident, ſprach er, „ich bin es dem
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[[25]/0035] 2. Das Schickſal der Reformen. Nach und nach räumten alle Miniſter der vorigen Re- gierung ihre Plätze, der despotiſche Kanzler Maupeou, welcher die Parlamente geſtürzt hatte, der freche Finanz- mann Terray, die übel berüchtigten Herzoge von Aiguillon und von Vrilliere. Von den neu eintretenden ſtanden Males- herbes und Turgot in der erſten Linie der öffentlichen Mei- nung, ohne Nebenmann in ganz Frankreich. Sie waren von frühher vertraut, tauſchten verwandte Anſichten aus, die gleichwohl durch die Verſchiedenheit ihrer Natur und Laufbahn ſich mannigfach abweichend bedingten. Lamoignon de Malesherbes ging ſeinem Freunde an Jahren und in ſeiner Stellung voran. Körperlich unbeholfen und ſchwer- fällig war er als junger Mann die Verzweiflung ſeines Tanzmeiſters, den ſein Gewiſſen ſogar trieb ſich eines Tages bei dem Vater ſeines Zöglings, dem damaligen Parlamentspräſidenten Lamoignon eine förmliche Audienz zu erbitten. „Herr Präſident, ſprach er, „ich bin es dem Vertrauen, mit welchem Sie mich beehrt haben, ſchuldig

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. [25]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/35>, abgerufen am 18.04.2024.