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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Die Geschäfts-Ordnung.
Platz (86.). Den Vorsitz führt derweile ein Mitglied der
Kammer, welches für das Mahl oder auch für den ganzen
Landtag zu diesem Geschäfte von der Kammer erwählt ist.
In der berathenden Sitzung darf jedes Mitglied über den
Gegenstand der Berathung mehr als einmahl reden.

Berathende Sitzungen sind (nicht bloß in Ständeversammlungen)
dazu in der Welt, daß auf dem Wege der freieren Discussion,
oft durch den raschen Wechsel von Frage und Antwort, der noch
unentschiedene Theil der Versammlung sich in einer Überzeugung
befestige. Dringt man ihnen dagegen die Form auf, daß man
jedem Mitglied nach der Reihe seine vorläufige Meinung ab-
frägt, so lockt man den Ausdruck einer noch unreifen Überzeu-
gung hervor, die sich dann um so hartnäckiger festzusetzen pflegt,
je ärmlicher sie begründet ist.

166. Der Redner redet von seinem Sitze aufstehend
(ohne Tribüne, mithin ohne Versuchung zu der Breite
aufgeschriebener Reden) den Vorsitzenden an, nennt dabei
keinen der Deputirten bei Titel und Namen; denn jeder
Deputirter sitzt unter seines Gleichen. Zur Ordnung vom
Vorsitzenden gerufen (d. h. erinnert, daß die Ordnung von
ihm überschritten sey), darf er die Entscheidung der Kam-
mer in Anspruch nehmen.

Als John Howe 1694 gesagt hatte: Egone, qui Tarquinium Re-
gem non tulerim, Sicinium feram?
beschloß das Haus die Rede
nicht zu rügen, weil dazwischen etwas anderes schon geredet sey.

Hattsell I, 181.

167. Die Abstimmung über Anträge geschieht in der
Regel durch Aufstehn und Sitzenbleiben, ausnahmsweise
durch namentlichen Aufruf.

Bei Wahlen zu Ausschüssen entscheidet in der Regel
die relative Stimmenmehrheit. Wo die absolute Stimmen-

Die Geſchaͤfts-Ordnung.
Platz (86.). Den Vorſitz fuͤhrt derweile ein Mitglied der
Kammer, welches fuͤr das Mahl oder auch fuͤr den ganzen
Landtag zu dieſem Geſchaͤfte von der Kammer erwaͤhlt iſt.
In der berathenden Sitzung darf jedes Mitglied uͤber den
Gegenſtand der Berathung mehr als einmahl reden.

Berathende Sitzungen ſind (nicht bloß in Staͤndeverſammlungen)
dazu in der Welt, daß auf dem Wege der freieren Discuſſion,
oft durch den raſchen Wechſel von Frage und Antwort, der noch
unentſchiedene Theil der Verſammlung ſich in einer Überzeugung
befeſtige. Dringt man ihnen dagegen die Form auf, daß man
jedem Mitglied nach der Reihe ſeine vorlaͤufige Meinung ab-
fraͤgt, ſo lockt man den Ausdruck einer noch unreifen Überzeu-
gung hervor, die ſich dann um ſo hartnaͤckiger feſtzuſetzen pflegt,
je aͤrmlicher ſie begruͤndet iſt.

166. Der Redner redet von ſeinem Sitze aufſtehend
(ohne Tribuͤne, mithin ohne Verſuchung zu der Breite
aufgeſchriebener Reden) den Vorſitzenden an, nennt dabei
keinen der Deputirten bei Titel und Namen; denn jeder
Deputirter ſitzt unter ſeines Gleichen. Zur Ordnung vom
Vorſitzenden gerufen (d. h. erinnert, daß die Ordnung von
ihm uͤberſchritten ſey), darf er die Entſcheidung der Kam-
mer in Anſpruch nehmen.

Als John Howe 1694 geſagt hatte: Egone, qui Tarquinium Re-
gem non tulerim, Sicinium feram?
beſchloß das Haus die Rede
nicht zu ruͤgen, weil dazwiſchen etwas anderes ſchon geredet ſey.

Hattsell I, 181.

167. Die Abſtimmung uͤber Antraͤge geſchieht in der
Regel durch Aufſtehn und Sitzenbleiben, ausnahmsweiſe
durch namentlichen Aufruf.

Bei Wahlen zu Ausſchuͤſſen entſcheidet in der Regel
die relative Stimmenmehrheit. Wo die abſolute Stimmen-

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[141/0153] Die Geſchaͤfts-Ordnung. Platz (86.). Den Vorſitz fuͤhrt derweile ein Mitglied der Kammer, welches fuͤr das Mahl oder auch fuͤr den ganzen Landtag zu dieſem Geſchaͤfte von der Kammer erwaͤhlt iſt. In der berathenden Sitzung darf jedes Mitglied uͤber den Gegenſtand der Berathung mehr als einmahl reden. Berathende Sitzungen ſind (nicht bloß in Staͤndeverſammlungen) dazu in der Welt, daß auf dem Wege der freieren Discuſſion, oft durch den raſchen Wechſel von Frage und Antwort, der noch unentſchiedene Theil der Verſammlung ſich in einer Überzeugung befeſtige. Dringt man ihnen dagegen die Form auf, daß man jedem Mitglied nach der Reihe ſeine vorlaͤufige Meinung ab- fraͤgt, ſo lockt man den Ausdruck einer noch unreifen Überzeu- gung hervor, die ſich dann um ſo hartnaͤckiger feſtzuſetzen pflegt, je aͤrmlicher ſie begruͤndet iſt. 166. Der Redner redet von ſeinem Sitze aufſtehend (ohne Tribuͤne, mithin ohne Verſuchung zu der Breite aufgeſchriebener Reden) den Vorſitzenden an, nennt dabei keinen der Deputirten bei Titel und Namen; denn jeder Deputirter ſitzt unter ſeines Gleichen. Zur Ordnung vom Vorſitzenden gerufen (d. h. erinnert, daß die Ordnung von ihm uͤberſchritten ſey), darf er die Entſcheidung der Kam- mer in Anſpruch nehmen. Als John Howe 1694 geſagt hatte: Egone, qui Tarquinium Re- gem non tulerim, Sicinium feram? beſchloß das Haus die Rede nicht zu ruͤgen, weil dazwiſchen etwas anderes ſchon geredet ſey. Hattsell I, 181. 167. Die Abſtimmung uͤber Antraͤge geſchieht in der Regel durch Aufſtehn und Sitzenbleiben, ausnahmsweiſe durch namentlichen Aufruf. Bei Wahlen zu Ausſchuͤſſen entſcheidet in der Regel die relative Stimmenmehrheit. Wo die abſolute Stimmen-

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/153>, abgerufen am 25.04.2024.