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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Von d. Ausführbark. d. guten Verfassung.
also, daß die von den Theoretikern unseres Bundesrechts
in dieser Richtung versuchten Gränzbestimmungen zwischen
Bundesgewalt und Staatsgewalt sich mit jedem Jahre
haben verändern müssen. Die einzige lebendige Gränze
gewährt in der That der Inhalt der Deutschen Verfassungs-
urkunden, welcher durch das Gewissen der sie verbürgen-
den Fürsten gewahrt wird und dessen Verletzung das
Recht der Anklage gegen jeden Minister, welcher sie auf-
opfern würde, begründet. Da vermöge des Bundesrechtes
organische d. i. bleibende Einrichtungen nicht durch Über-
stimmung, sondern allein durch Einstimmigkeit, das will
sagen, auf dem Wege des Vertrages zu Stande kommen
können (Wiener Schlußacte Art. 13.) und keine einzige
Deutsche Landesverfassung einem Provisorium unterworfen
ist, so ist auch in den Bundesordnungen nichts enthal-
ten, was der Gewissenhaftigkeit und dem Pflichtgefühle
Gewalt thäte.

Hier aber steht auch der unüberschreitbare Gränzwall
zwischen Bundesgewalt und Bundesstaat; die in anerkann-
ter Wirksamkeit bestehenden landständischen Verfassungen
können nur auf verfassungsmäßigem Wege wieder abgeän-
dert werden (Wiener Schlußacte Art. 56). Denn käme es
je dahin, (Errorem hostibus illum!) daß die Stimme de-
rer obsiegte, welche von Bundeswegen verkündigt wün-
schen, keine Verantwortlichkeit hindere den Minister seine
Zustimmung zu einem Bundes-Beschlusse zu geben, wel-
cher mit seiner verbürgten Landesverfassung im Widerspruche
steht, würde die den Feinden des öffentlichen Rechts ge-
fällige, Religion und Vernunft gleichmäßig verwirrende
Lehre offen aufgestellt, das Gewissen des Fürsten allein
habe über das Daseyn der Verfassungsrechte zu entscheiden
und der Unterthan müsse sich auf alle Fälle beruhigen, so

Von d. Ausfuͤhrbark. d. guten Verfaſſung.
alſo, daß die von den Theoretikern unſeres Bundesrechts
in dieſer Richtung verſuchten Graͤnzbeſtimmungen zwiſchen
Bundesgewalt und Staatsgewalt ſich mit jedem Jahre
haben veraͤndern muͤſſen. Die einzige lebendige Graͤnze
gewaͤhrt in der That der Inhalt der Deutſchen Verfaſſungs-
urkunden, welcher durch das Gewiſſen der ſie verbuͤrgen-
den Fuͤrſten gewahrt wird und deſſen Verletzung das
Recht der Anklage gegen jeden Miniſter, welcher ſie auf-
opfern wuͤrde, begruͤndet. Da vermoͤge des Bundesrechtes
organiſche d. i. bleibende Einrichtungen nicht durch Über-
ſtimmung, ſondern allein durch Einſtimmigkeit, das will
ſagen, auf dem Wege des Vertrages zu Stande kommen
koͤnnen (Wiener Schlußacte Art. 13.) und keine einzige
Deutſche Landesverfaſſung einem Proviſorium unterworfen
iſt, ſo iſt auch in den Bundesordnungen nichts enthal-
ten, was der Gewiſſenhaftigkeit und dem Pflichtgefuͤhle
Gewalt thaͤte.

Hier aber ſteht auch der unuͤberſchreitbare Graͤnzwall
zwiſchen Bundesgewalt und Bundesſtaat; die in anerkann-
ter Wirkſamkeit beſtehenden landſtaͤndiſchen Verfaſſungen
koͤnnen nur auf verfaſſungsmaͤßigem Wege wieder abgeaͤn-
dert werden (Wiener Schlußacte Art. 56). Denn kaͤme es
je dahin, (Errorem hostibus illum!) daß die Stimme de-
rer obſiegte, welche von Bundeswegen verkuͤndigt wuͤn-
ſchen, keine Verantwortlichkeit hindere den Miniſter ſeine
Zuſtimmung zu einem Bundes-Beſchluſſe zu geben, wel-
cher mit ſeiner verbuͤrgten Landesverfaſſung im Widerſpruche
ſteht, wuͤrde die den Feinden des oͤffentlichen Rechts ge-
faͤllige, Religion und Vernunft gleichmaͤßig verwirrende
Lehre offen aufgeſtellt, das Gewiſſen des Fuͤrſten allein
habe uͤber das Daſeyn der Verfaſſungsrechte zu entſcheiden
und der Unterthan muͤſſe ſich auf alle Faͤlle beruhigen, ſo

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[171/0183] Von d. Ausfuͤhrbark. d. guten Verfaſſung. alſo, daß die von den Theoretikern unſeres Bundesrechts in dieſer Richtung verſuchten Graͤnzbeſtimmungen zwiſchen Bundesgewalt und Staatsgewalt ſich mit jedem Jahre haben veraͤndern muͤſſen. Die einzige lebendige Graͤnze gewaͤhrt in der That der Inhalt der Deutſchen Verfaſſungs- urkunden, welcher durch das Gewiſſen der ſie verbuͤrgen- den Fuͤrſten gewahrt wird und deſſen Verletzung das Recht der Anklage gegen jeden Miniſter, welcher ſie auf- opfern wuͤrde, begruͤndet. Da vermoͤge des Bundesrechtes organiſche d. i. bleibende Einrichtungen nicht durch Über- ſtimmung, ſondern allein durch Einſtimmigkeit, das will ſagen, auf dem Wege des Vertrages zu Stande kommen koͤnnen (Wiener Schlußacte Art. 13.) und keine einzige Deutſche Landesverfaſſung einem Proviſorium unterworfen iſt, ſo iſt auch in den Bundesordnungen nichts enthal- ten, was der Gewiſſenhaftigkeit und dem Pflichtgefuͤhle Gewalt thaͤte. Hier aber ſteht auch der unuͤberſchreitbare Graͤnzwall zwiſchen Bundesgewalt und Bundesſtaat; die in anerkann- ter Wirkſamkeit beſtehenden landſtaͤndiſchen Verfaſſungen koͤnnen nur auf verfaſſungsmaͤßigem Wege wieder abgeaͤn- dert werden (Wiener Schlußacte Art. 56). Denn kaͤme es je dahin, (Errorem hostibus illum!) daß die Stimme de- rer obſiegte, welche von Bundeswegen verkuͤndigt wuͤn- ſchen, keine Verantwortlichkeit hindere den Miniſter ſeine Zuſtimmung zu einem Bundes-Beſchluſſe zu geben, wel- cher mit ſeiner verbuͤrgten Landesverfaſſung im Widerſpruche ſteht, wuͤrde die den Feinden des oͤffentlichen Rechts ge- faͤllige, Religion und Vernunft gleichmaͤßig verwirrende Lehre offen aufgeſtellt, das Gewiſſen des Fuͤrſten allein habe uͤber das Daſeyn der Verfaſſungsrechte zu entſcheiden und der Unterthan muͤſſe ſich auf alle Faͤlle beruhigen, ſo

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/183>, abgerufen am 29.04.2024.