Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zwölftes Capitel.
meister, gar nicht mehr. Die Wissenschaft hat zwischen
Staat und Kirche eine entschiedene Stellung eingenommen;
sie zu übersehen ist unmöglich, allein sie darf um ihres
Heiles willen auch nicht übersehen. Diese Zeit trägt eine
schwere Last mit sich, aber der Unbedeutendheit darf nie-
mand sie anklagen. Außerdem muß man den Boden stam-
pfen, auf dem man steht.

268. Fichte hat in seiner Art energisch den Versuch
gemacht diese vom öffentlichen Leben mit stolzer Schwäche
abgewandte Gesinnung auf einen Streich todtzuschlagen.
Wie er früher in seinem Naturrechte einen schwer lösbaren
Knoten mit dem Satze zerhieb, es sey gar nicht möglich,
daß ein Volk rebellire, die höchste Gewalt gegen sich sel-
ber, so nachher, da es galt ein unterjochtes Vaterland zu
retten, aus Verzweiflung an den Eltern, die er vor Au-
gen sah, nahm er den Eltern die Kinder, stellte sie in ein
öffentliches Erziehungsinstitut, hier sollen sie in die Welt
der Anschauung eintreten, der Staat soll selber ihr Erzie-
her seyn. Allein der Staat, der die Älteren, in sofern sie
Eltern sind, vom Erziehungsamte abweist, bedarf der äl-
teren Menschen doch wieder als Erzieher, gründet also auf
einem Umwege doch gerade auf dem verderbten Theile des
Gemeinwesens seinen Rettungsplan. Hier ist also kein Ge-
winn, um so sicherer der Verlust. Wo die wohlthätige
Wärme der Familie waltet, da erzieht der Hausvater, der
dem äußern Leben vielleicht nur die gehäßige Seite zeigte,
uneigennützig den Sohn, der ein besserer seyn soll als er
selber, denn an diesem Bande der Natur scheitert alle selbst-
süchtige Berechnung. Kein Staat hat je, ohne Schaden
am besten Theile seines Volks zu nehmen, sich die Kinder
zugeeignet, um nach seinem Gefallen sie zu bilden, für

Zwoͤlftes Capitel.
meiſter, gar nicht mehr. Die Wiſſenſchaft hat zwiſchen
Staat und Kirche eine entſchiedene Stellung eingenommen;
ſie zu uͤberſehen iſt unmoͤglich, allein ſie darf um ihres
Heiles willen auch nicht uͤberſehen. Dieſe Zeit traͤgt eine
ſchwere Laſt mit ſich, aber der Unbedeutendheit darf nie-
mand ſie anklagen. Außerdem muß man den Boden ſtam-
pfen, auf dem man ſteht.

268. Fichte hat in ſeiner Art energiſch den Verſuch
gemacht dieſe vom oͤffentlichen Leben mit ſtolzer Schwaͤche
abgewandte Geſinnung auf einen Streich todtzuſchlagen.
Wie er fruͤher in ſeinem Naturrechte einen ſchwer loͤsbaren
Knoten mit dem Satze zerhieb, es ſey gar nicht moͤglich,
daß ein Volk rebellire, die hoͤchſte Gewalt gegen ſich ſel-
ber, ſo nachher, da es galt ein unterjochtes Vaterland zu
retten, aus Verzweiflung an den Eltern, die er vor Au-
gen ſah, nahm er den Eltern die Kinder, ſtellte ſie in ein
oͤffentliches Erziehungsinſtitut, hier ſollen ſie in die Welt
der Anſchauung eintreten, der Staat ſoll ſelber ihr Erzie-
her ſeyn. Allein der Staat, der die Älteren, in ſofern ſie
Eltern ſind, vom Erziehungsamte abweiſt, bedarf der aͤl-
teren Menſchen doch wieder als Erzieher, gruͤndet alſo auf
einem Umwege doch gerade auf dem verderbten Theile des
Gemeinweſens ſeinen Rettungsplan. Hier iſt alſo kein Ge-
winn, um ſo ſicherer der Verluſt. Wo die wohlthaͤtige
Waͤrme der Familie waltet, da erzieht der Hausvater, der
dem aͤußern Leben vielleicht nur die gehaͤßige Seite zeigte,
uneigennuͤtzig den Sohn, der ein beſſerer ſeyn ſoll als er
ſelber, denn an dieſem Bande der Natur ſcheitert alle ſelbſt-
ſuͤchtige Berechnung. Kein Staat hat je, ohne Schaden
am beſten Theile ſeines Volks zu nehmen, ſich die Kinder
zugeeignet, um nach ſeinem Gefallen ſie zu bilden, fuͤr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0278" n="266"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zwo&#x0364;lftes Capitel</hi>.</fw><lb/>
mei&#x017F;ter, gar nicht mehr. Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft hat zwi&#x017F;chen<lb/>
Staat und Kirche eine ent&#x017F;chiedene Stellung eingenommen;<lb/>
&#x017F;ie zu u&#x0364;ber&#x017F;ehen i&#x017F;t unmo&#x0364;glich, allein &#x017F;ie darf um ihres<lb/>
Heiles willen auch nicht u&#x0364;ber&#x017F;ehen. Die&#x017F;e Zeit tra&#x0364;gt eine<lb/>
&#x017F;chwere La&#x017F;t mit &#x017F;ich, aber der Unbedeutendheit darf nie-<lb/>
mand &#x017F;ie anklagen. Außerdem muß man den Boden &#x017F;tam-<lb/>
pfen, auf dem man &#x017F;teht.</p><lb/>
                <p>268. <hi rendition="#g">Fichte</hi> hat in &#x017F;einer Art energi&#x017F;ch den Ver&#x017F;uch<lb/>
gemacht die&#x017F;e vom o&#x0364;ffentlichen Leben mit &#x017F;tolzer Schwa&#x0364;che<lb/>
abgewandte Ge&#x017F;innung auf einen Streich todtzu&#x017F;chlagen.<lb/>
Wie er fru&#x0364;her in &#x017F;einem Naturrechte einen &#x017F;chwer lo&#x0364;sbaren<lb/>
Knoten mit dem Satze zerhieb, es &#x017F;ey gar nicht mo&#x0364;glich,<lb/>
daß ein Volk rebellire, die ho&#x0364;ch&#x017F;te Gewalt gegen &#x017F;ich &#x017F;el-<lb/>
ber, &#x017F;o nachher, da es galt ein unterjochtes Vaterland zu<lb/>
retten, aus Verzweiflung an den Eltern, die er vor Au-<lb/>
gen &#x017F;ah, nahm er den Eltern die Kinder, &#x017F;tellte &#x017F;ie in ein<lb/>
o&#x0364;ffentliches Erziehungsin&#x017F;titut, hier &#x017F;ollen &#x017F;ie in die Welt<lb/>
der An&#x017F;chauung eintreten, der Staat &#x017F;oll &#x017F;elber ihr Erzie-<lb/>
her &#x017F;eyn. Allein der Staat, der die Älteren, in &#x017F;ofern &#x017F;ie<lb/>
Eltern &#x017F;ind, vom Erziehungsamte abwei&#x017F;t, bedarf der a&#x0364;l-<lb/>
teren Men&#x017F;chen doch wieder als Erzieher, gru&#x0364;ndet al&#x017F;o auf<lb/>
einem Umwege doch gerade auf dem verderbten Theile des<lb/>
Gemeinwe&#x017F;ens &#x017F;einen Rettungsplan. Hier i&#x017F;t al&#x017F;o kein Ge-<lb/>
winn, um &#x017F;o &#x017F;icherer der Verlu&#x017F;t. Wo die wohltha&#x0364;tige<lb/>
Wa&#x0364;rme der Familie waltet, da erzieht der Hausvater, der<lb/>
dem a&#x0364;ußern Leben vielleicht nur die geha&#x0364;ßige Seite zeigte,<lb/>
uneigennu&#x0364;tzig den Sohn, der ein be&#x017F;&#x017F;erer &#x017F;eyn &#x017F;oll als er<lb/>
&#x017F;elber, denn an die&#x017F;em Bande der Natur &#x017F;cheitert alle &#x017F;elb&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;u&#x0364;chtige Berechnung. Kein Staat hat je, ohne Schaden<lb/>
am be&#x017F;ten Theile &#x017F;eines Volks zu nehmen, &#x017F;ich die Kinder<lb/>
zugeeignet, um nach &#x017F;einem Gefallen &#x017F;ie zu bilden, fu&#x0364;r<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0278] Zwoͤlftes Capitel. meiſter, gar nicht mehr. Die Wiſſenſchaft hat zwiſchen Staat und Kirche eine entſchiedene Stellung eingenommen; ſie zu uͤberſehen iſt unmoͤglich, allein ſie darf um ihres Heiles willen auch nicht uͤberſehen. Dieſe Zeit traͤgt eine ſchwere Laſt mit ſich, aber der Unbedeutendheit darf nie- mand ſie anklagen. Außerdem muß man den Boden ſtam- pfen, auf dem man ſteht. 268. Fichte hat in ſeiner Art energiſch den Verſuch gemacht dieſe vom oͤffentlichen Leben mit ſtolzer Schwaͤche abgewandte Geſinnung auf einen Streich todtzuſchlagen. Wie er fruͤher in ſeinem Naturrechte einen ſchwer loͤsbaren Knoten mit dem Satze zerhieb, es ſey gar nicht moͤglich, daß ein Volk rebellire, die hoͤchſte Gewalt gegen ſich ſel- ber, ſo nachher, da es galt ein unterjochtes Vaterland zu retten, aus Verzweiflung an den Eltern, die er vor Au- gen ſah, nahm er den Eltern die Kinder, ſtellte ſie in ein oͤffentliches Erziehungsinſtitut, hier ſollen ſie in die Welt der Anſchauung eintreten, der Staat ſoll ſelber ihr Erzie- her ſeyn. Allein der Staat, der die Älteren, in ſofern ſie Eltern ſind, vom Erziehungsamte abweiſt, bedarf der aͤl- teren Menſchen doch wieder als Erzieher, gruͤndet alſo auf einem Umwege doch gerade auf dem verderbten Theile des Gemeinweſens ſeinen Rettungsplan. Hier iſt alſo kein Ge- winn, um ſo ſicherer der Verluſt. Wo die wohlthaͤtige Waͤrme der Familie waltet, da erzieht der Hausvater, der dem aͤußern Leben vielleicht nur die gehaͤßige Seite zeigte, uneigennuͤtzig den Sohn, der ein beſſerer ſeyn ſoll als er ſelber, denn an dieſem Bande der Natur ſcheitert alle ſelbſt- ſuͤchtige Berechnung. Kein Staat hat je, ohne Schaden am beſten Theile ſeines Volks zu nehmen, ſich die Kinder zugeeignet, um nach ſeinem Gefallen ſie zu bilden, fuͤr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/278
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/278>, abgerufen am 04.05.2024.