Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
Vierzehntes Capitel.
*) Das nahe Zusammenseyn mit der höchsten Ordnung, welche
keine Verletzung dulden darf, giebt solchen unvermeidlichen Un-
ordnungen eine unverdiente Wichtigkeit, ungefähr in der Art,
wie wenn einer den am 11. April 1589 gefaßten Beschluß des
academischen Senats von Tübingen "3) die Königreich sollen
abgeschafft werden, 4) die verdächtigen Häuser" etc. etc. anders
verstände, als von den Königreichen, die bei Wein und Bier
gestiftet werden. s. Robert Mohl, geschichtl. Nachweisungen über
die Sitten und das Betragen der Tübinger Studirenden wäh-
rend des 16ten Jahrhunderts Tüb. 1832. 4., wo der Verf. ein
bedenkliches Fragezeichen dieser Stelle S. 32. anhängt.

282. Sehr verschiedene Ansichten dagegen können über
akademische Gerichtsbarkeit und Disciplin stattfinden, und
es ist vielleicht sogar wünschenswerth, daß sich hierin die
verschiedenen Universitäten verschiedenartig gestalten mögen,
vorausgesetzt daß die Einrichtung im Sinne des Universi-
tätslebens sey 1). Jedenfalls werden die Lehrer die Fort-
dauer ihrer Gerichtsbarkeit über die Studirenden nicht als
einen persönlichen Gewinn betrachten; es kommt aber sehr
darauf an, ob eine durchgreifende Veränderung den Ver-
hältnissen der Studirenden frommen wird. Wie dem in-
deß sey, gewiß ist es unbillig die täglich mehr in bloße
Lehrer verwandelten Lehrer mit einer Verantwortlichkeit zu
belasten, die man ihnen niemahls aufwälzte als sie noch
die Regierer waren. Was der Lehrer vermag, vermag er
fortan allein als Einzelner. Seine Pflicht ist mit dem
Beispiele der Gesetzmäßigkeit voranzugehen, wo sich ihm
ein Vertrauen öffnet, an Ernst, an Treue, an Rath und
Warnung nicht zu sparen, für die Hörer einzustehen ver-
mag er nicht. Aber der Staatsmann kehre auch zurück
von den alles Maas überschreitenden Anklagen gegen das
Verderben der Deutschen studirenden Jugend, welche von
Unkenntniß zeugen und seinen Blick auf eine wichtige va-

Vierzehntes Capitel.
*) Das nahe Zuſammenſeyn mit der hoͤchſten Ordnung, welche
keine Verletzung dulden darf, giebt ſolchen unvermeidlichen Un-
ordnungen eine unverdiente Wichtigkeit, ungefaͤhr in der Art,
wie wenn einer den am 11. April 1589 gefaßten Beſchluß des
academiſchen Senats von Tuͤbingen “3) die Koͤnigreich ſollen
abgeſchafft werden, 4) die verdaͤchtigen Haͤuſer” ꝛc. ꝛc. anders
verſtaͤnde, als von den Koͤnigreichen, die bei Wein und Bier
geſtiftet werden. ſ. Robert Mohl, geſchichtl. Nachweiſungen uͤber
die Sitten und das Betragen der Tuͤbinger Studirenden waͤh-
rend des 16ten Jahrhunderts Tuͤb. 1832. 4., wo der Verf. ein
bedenkliches Fragezeichen dieſer Stelle S. 32. anhaͤngt.

282. Sehr verſchiedene Anſichten dagegen koͤnnen uͤber
akademiſche Gerichtsbarkeit und Disciplin ſtattfinden, und
es iſt vielleicht ſogar wuͤnſchenswerth, daß ſich hierin die
verſchiedenen Univerſitaͤten verſchiedenartig geſtalten moͤgen,
vorausgeſetzt daß die Einrichtung im Sinne des Univerſi-
taͤtslebens ſey 1). Jedenfalls werden die Lehrer die Fort-
dauer ihrer Gerichtsbarkeit uͤber die Studirenden nicht als
einen perſoͤnlichen Gewinn betrachten; es kommt aber ſehr
darauf an, ob eine durchgreifende Veraͤnderung den Ver-
haͤltniſſen der Studirenden frommen wird. Wie dem in-
deß ſey, gewiß iſt es unbillig die taͤglich mehr in bloße
Lehrer verwandelten Lehrer mit einer Verantwortlichkeit zu
belaſten, die man ihnen niemahls aufwaͤlzte als ſie noch
die Regierer waren. Was der Lehrer vermag, vermag er
fortan allein als Einzelner. Seine Pflicht iſt mit dem
Beiſpiele der Geſetzmaͤßigkeit voranzugehen, wo ſich ihm
ein Vertrauen oͤffnet, an Ernſt, an Treue, an Rath und
Warnung nicht zu ſparen, fuͤr die Hoͤrer einzuſtehen ver-
mag er nicht. Aber der Staatsmann kehre auch zuruͤck
von den alles Maas uͤberſchreitenden Anklagen gegen das
Verderben der Deutſchen ſtudirenden Jugend, welche von
Unkenntniß zeugen und ſeinen Blick auf eine wichtige va-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0308" n="296"/>
                <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vierzehntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
                <note place="end" n="*)">Das nahe Zu&#x017F;ammen&#x017F;eyn mit der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Ordnung, welche<lb/>
keine Verletzung dulden darf, giebt &#x017F;olchen unvermeidlichen Un-<lb/>
ordnungen eine unverdiente Wichtigkeit, ungefa&#x0364;hr in der Art,<lb/>
wie wenn einer den am 11. April 1589 gefaßten Be&#x017F;chluß des<lb/>
academi&#x017F;chen Senats von Tu&#x0364;bingen &#x201C;3) die Ko&#x0364;nigreich &#x017F;ollen<lb/>
abge&#x017F;chafft werden, 4) die verda&#x0364;chtigen Ha&#x0364;u&#x017F;er&#x201D; &#xA75B;c. &#xA75B;c. anders<lb/>
ver&#x017F;ta&#x0364;nde, als von den Ko&#x0364;nigreichen, die bei Wein und Bier<lb/>
ge&#x017F;tiftet werden. &#x017F;. Robert <hi rendition="#g">Mohl</hi>, ge&#x017F;chichtl. Nachwei&#x017F;ungen u&#x0364;ber<lb/>
die Sitten und das Betragen der Tu&#x0364;binger Studirenden wa&#x0364;h-<lb/>
rend des 16ten Jahrhunderts Tu&#x0364;b. 1832. 4., wo der Verf. ein<lb/>
bedenkliches Fragezeichen die&#x017F;er Stelle S. 32. anha&#x0364;ngt.</note><lb/>
                <p>282. Sehr ver&#x017F;chiedene An&#x017F;ichten dagegen ko&#x0364;nnen u&#x0364;ber<lb/>
akademi&#x017F;che Gerichtsbarkeit und Disciplin &#x017F;tattfinden, und<lb/>
es i&#x017F;t vielleicht &#x017F;ogar wu&#x0364;n&#x017F;chenswerth, daß &#x017F;ich hierin die<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Univer&#x017F;ita&#x0364;ten ver&#x017F;chiedenartig ge&#x017F;talten mo&#x0364;gen,<lb/>
vorausge&#x017F;etzt daß die Einrichtung im Sinne des Univer&#x017F;i-<lb/>
ta&#x0364;tslebens &#x017F;ey <hi rendition="#sup">1</hi>). Jedenfalls werden die Lehrer die Fort-<lb/>
dauer ihrer Gerichtsbarkeit u&#x0364;ber die Studirenden nicht als<lb/>
einen per&#x017F;o&#x0364;nlichen Gewinn betrachten; es kommt aber &#x017F;ehr<lb/>
darauf an, ob eine durchgreifende Vera&#x0364;nderung den Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en der Studirenden frommen wird. Wie dem in-<lb/>
deß &#x017F;ey, gewiß i&#x017F;t es unbillig die ta&#x0364;glich mehr in bloße<lb/>
Lehrer verwandelten Lehrer mit einer Verantwortlichkeit zu<lb/>
bela&#x017F;ten, die man ihnen niemahls aufwa&#x0364;lzte als &#x017F;ie noch<lb/>
die Regierer waren. Was der Lehrer vermag, vermag er<lb/>
fortan allein als Einzelner. Seine Pflicht i&#x017F;t mit dem<lb/>
Bei&#x017F;piele der Ge&#x017F;etzma&#x0364;ßigkeit voranzugehen, wo &#x017F;ich ihm<lb/>
ein Vertrauen o&#x0364;ffnet, an Ern&#x017F;t, an Treue, an Rath und<lb/>
Warnung nicht zu &#x017F;paren, fu&#x0364;r die Ho&#x0364;rer einzu&#x017F;tehen ver-<lb/>
mag er nicht. Aber der Staatsmann kehre auch zuru&#x0364;ck<lb/>
von den alles Maas u&#x0364;ber&#x017F;chreitenden Anklagen gegen das<lb/>
Verderben der Deut&#x017F;chen &#x017F;tudirenden Jugend, welche von<lb/>
Unkenntniß zeugen und &#x017F;einen Blick auf eine wichtige va-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0308] Vierzehntes Capitel. *⁾ Das nahe Zuſammenſeyn mit der hoͤchſten Ordnung, welche keine Verletzung dulden darf, giebt ſolchen unvermeidlichen Un- ordnungen eine unverdiente Wichtigkeit, ungefaͤhr in der Art, wie wenn einer den am 11. April 1589 gefaßten Beſchluß des academiſchen Senats von Tuͤbingen “3) die Koͤnigreich ſollen abgeſchafft werden, 4) die verdaͤchtigen Haͤuſer” ꝛc. ꝛc. anders verſtaͤnde, als von den Koͤnigreichen, die bei Wein und Bier geſtiftet werden. ſ. Robert Mohl, geſchichtl. Nachweiſungen uͤber die Sitten und das Betragen der Tuͤbinger Studirenden waͤh- rend des 16ten Jahrhunderts Tuͤb. 1832. 4., wo der Verf. ein bedenkliches Fragezeichen dieſer Stelle S. 32. anhaͤngt. 282. Sehr verſchiedene Anſichten dagegen koͤnnen uͤber akademiſche Gerichtsbarkeit und Disciplin ſtattfinden, und es iſt vielleicht ſogar wuͤnſchenswerth, daß ſich hierin die verſchiedenen Univerſitaͤten verſchiedenartig geſtalten moͤgen, vorausgeſetzt daß die Einrichtung im Sinne des Univerſi- taͤtslebens ſey 1). Jedenfalls werden die Lehrer die Fort- dauer ihrer Gerichtsbarkeit uͤber die Studirenden nicht als einen perſoͤnlichen Gewinn betrachten; es kommt aber ſehr darauf an, ob eine durchgreifende Veraͤnderung den Ver- haͤltniſſen der Studirenden frommen wird. Wie dem in- deß ſey, gewiß iſt es unbillig die taͤglich mehr in bloße Lehrer verwandelten Lehrer mit einer Verantwortlichkeit zu belaſten, die man ihnen niemahls aufwaͤlzte als ſie noch die Regierer waren. Was der Lehrer vermag, vermag er fortan allein als Einzelner. Seine Pflicht iſt mit dem Beiſpiele der Geſetzmaͤßigkeit voranzugehen, wo ſich ihm ein Vertrauen oͤffnet, an Ernſt, an Treue, an Rath und Warnung nicht zu ſparen, fuͤr die Hoͤrer einzuſtehen ver- mag er nicht. Aber der Staatsmann kehre auch zuruͤck von den alles Maas uͤberſchreitenden Anklagen gegen das Verderben der Deutſchen ſtudirenden Jugend, welche von Unkenntniß zeugen und ſeinen Blick auf eine wichtige va-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/308
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/308>, abgerufen am 28.04.2024.