Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Fortbildung der Staatsbürger.
Christlichen Zeit unterwarf die niedere Geistlichkeit ihre
Schriften vor der Bekanntmachung willig der Durchsicht
ihrer kirchlichen Obern; seit aber die Wissenschaften welt-
lich wurden, gab die Druckerkunst dem Staate das erste
sichere Mittel an die Hand, die Veröffentlichung eines
schriftstellerischen Werks von seiner Abfassung zu unterschei-
den. Man konnte von nun an die Bekanntmachung jeder
nicht vorher gebilligten Schrift durch Strafbefehle an die
Drucker verhindern. Die Entfernung solcher Strafbefehle,
durch den Druck öffentlich reden dürfen ohne vorgän-
gige Erlaubniß, hieß seitdem Preßfreiheit.

285. Es ist die Macht der Sprache, welche durch
Unterricht ausgebildet jetzt so stark im Staatsbürger in die
Außenwelt heraustritt, daß sie ganz allein einen Mann,
der nichts bedeutet, übermächtig machen kann. Ich kann
durch mein Wort meinen Gedanken fassen und ihn dem
Mitmenschen überliefern, nicht die rohe Willensäußerung
bloß, die auch wohl aus den Händen spräche, den feinsten
Nerv des Beweises enthülle ich ihm, das leiseste Gefühl.
Bloß durch mein Wort verwandle ich seine Gestalt, Freude,
Zorn, Beifall, Verzweiflung ruf' ich hervor, ein Wort
vermag zu tödten. Ich kann mein ungesprochenes Wort
in Schrift verkörpern und es übt tonlos auf tausend Mei-
len dieselbe Gewalt, unendlich viel weiter als Schießpul-
ver wirkt. Es übt seine Macht ohne alle Beziehung auf
den Vortheil, die Verbesserung der Lage des Angeredeten;
"Was ist ihm Hekuba? was ist er ihr, Daß er um sie soll
weinen?" Aber welch ein Hebel auch zu Thaten, wenn
Ort und Zeit und Interesse mit dem entflammenden Worte
zusammentreffen? Haben Worte so große Macht zum
Guten und zum Bösen, so folgt daraus, daß man durch

Von der Fortbildung der Staatsbuͤrger.
Chriſtlichen Zeit unterwarf die niedere Geiſtlichkeit ihre
Schriften vor der Bekanntmachung willig der Durchſicht
ihrer kirchlichen Obern; ſeit aber die Wiſſenſchaften welt-
lich wurden, gab die Druckerkunſt dem Staate das erſte
ſichere Mittel an die Hand, die Veroͤffentlichung eines
ſchriftſtelleriſchen Werks von ſeiner Abfaſſung zu unterſchei-
den. Man konnte von nun an die Bekanntmachung jeder
nicht vorher gebilligten Schrift durch Strafbefehle an die
Drucker verhindern. Die Entfernung ſolcher Strafbefehle,
durch den Druck oͤffentlich reden duͤrfen ohne vorgaͤn-
gige Erlaubniß, hieß ſeitdem Preßfreiheit.

285. Es iſt die Macht der Sprache, welche durch
Unterricht ausgebildet jetzt ſo ſtark im Staatsbuͤrger in die
Außenwelt heraustritt, daß ſie ganz allein einen Mann,
der nichts bedeutet, uͤbermaͤchtig machen kann. Ich kann
durch mein Wort meinen Gedanken faſſen und ihn dem
Mitmenſchen uͤberliefern, nicht die rohe Willensaͤußerung
bloß, die auch wohl aus den Haͤnden ſpraͤche, den feinſten
Nerv des Beweiſes enthuͤlle ich ihm, das leiſeſte Gefuͤhl.
Bloß durch mein Wort verwandle ich ſeine Geſtalt, Freude,
Zorn, Beifall, Verzweiflung ruf’ ich hervor, ein Wort
vermag zu toͤdten. Ich kann mein ungeſprochenes Wort
in Schrift verkoͤrpern und es uͤbt tonlos auf tauſend Mei-
len dieſelbe Gewalt, unendlich viel weiter als Schießpul-
ver wirkt. Es uͤbt ſeine Macht ohne alle Beziehung auf
den Vortheil, die Verbeſſerung der Lage des Angeredeten;
“Was iſt ihm Hekuba? was iſt er ihr, Daß er um ſie ſoll
weinen?” Aber welch ein Hebel auch zu Thaten, wenn
Ort und Zeit und Intereſſe mit dem entflammenden Worte
zuſammentreffen? Haben Worte ſo große Macht zum
Guten und zum Boͤſen, ſo folgt daraus, daß man durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0311" n="299"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Von der Fortbildung der Staatsbu&#x0364;rger</hi>.</fw><lb/>
Chri&#x017F;tlichen Zeit unterwarf die niedere Gei&#x017F;tlichkeit ihre<lb/>
Schriften vor der Bekanntmachung willig der Durch&#x017F;icht<lb/>
ihrer kirchlichen Obern; &#x017F;eit aber die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften welt-<lb/>
lich wurden, gab die Druckerkun&#x017F;t dem Staate das er&#x017F;te<lb/>
&#x017F;ichere Mittel an die Hand, die Vero&#x0364;ffentlichung eines<lb/>
&#x017F;chrift&#x017F;telleri&#x017F;chen Werks von &#x017F;einer Abfa&#x017F;&#x017F;ung zu unter&#x017F;chei-<lb/>
den. Man konnte von nun an die Bekanntmachung jeder<lb/>
nicht vorher gebilligten Schrift durch Strafbefehle an die<lb/>
Drucker verhindern. Die Entfernung &#x017F;olcher Strafbefehle,<lb/>
durch den Druck o&#x0364;ffentlich reden du&#x0364;rfen ohne vorga&#x0364;n-<lb/>
gige Erlaubniß, hieß &#x017F;eitdem <hi rendition="#g">Preßfreiheit</hi>.</p><lb/>
                <p>285. Es i&#x017F;t die Macht der Sprache, welche durch<lb/>
Unterricht ausgebildet jetzt &#x017F;o &#x017F;tark im Staatsbu&#x0364;rger in die<lb/>
Außenwelt heraustritt, daß &#x017F;ie ganz allein einen Mann,<lb/>
der nichts bedeutet, u&#x0364;berma&#x0364;chtig machen kann. Ich kann<lb/>
durch mein Wort meinen Gedanken fa&#x017F;&#x017F;en und ihn dem<lb/>
Mitmen&#x017F;chen u&#x0364;berliefern, nicht die rohe Willensa&#x0364;ußerung<lb/>
bloß, die auch wohl aus den Ha&#x0364;nden &#x017F;pra&#x0364;che, den fein&#x017F;ten<lb/>
Nerv des Bewei&#x017F;es enthu&#x0364;lle ich ihm, das lei&#x017F;e&#x017F;te Gefu&#x0364;hl.<lb/>
Bloß durch mein Wort verwandle ich &#x017F;eine Ge&#x017F;talt, Freude,<lb/>
Zorn, Beifall, Verzweiflung ruf&#x2019; ich hervor, ein Wort<lb/>
vermag zu to&#x0364;dten. Ich kann mein unge&#x017F;prochenes Wort<lb/>
in Schrift verko&#x0364;rpern und es u&#x0364;bt tonlos auf tau&#x017F;end Mei-<lb/>
len die&#x017F;elbe Gewalt, unendlich viel weiter als Schießpul-<lb/>
ver wirkt. Es u&#x0364;bt &#x017F;eine Macht ohne alle Beziehung auf<lb/>
den Vortheil, die Verbe&#x017F;&#x017F;erung der Lage des Angeredeten;<lb/>
&#x201C;Was i&#x017F;t ihm Hekuba? was i&#x017F;t er ihr, Daß er um &#x017F;ie &#x017F;oll<lb/>
weinen?&#x201D; Aber welch ein Hebel auch zu Thaten, wenn<lb/>
Ort und Zeit und Intere&#x017F;&#x017F;e mit dem entflammenden Worte<lb/>
zu&#x017F;ammentreffen? Haben Worte &#x017F;o große Macht zum<lb/>
Guten und zum Bo&#x0364;&#x017F;en, &#x017F;o folgt daraus, daß man durch<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0311] Von der Fortbildung der Staatsbuͤrger. Chriſtlichen Zeit unterwarf die niedere Geiſtlichkeit ihre Schriften vor der Bekanntmachung willig der Durchſicht ihrer kirchlichen Obern; ſeit aber die Wiſſenſchaften welt- lich wurden, gab die Druckerkunſt dem Staate das erſte ſichere Mittel an die Hand, die Veroͤffentlichung eines ſchriftſtelleriſchen Werks von ſeiner Abfaſſung zu unterſchei- den. Man konnte von nun an die Bekanntmachung jeder nicht vorher gebilligten Schrift durch Strafbefehle an die Drucker verhindern. Die Entfernung ſolcher Strafbefehle, durch den Druck oͤffentlich reden duͤrfen ohne vorgaͤn- gige Erlaubniß, hieß ſeitdem Preßfreiheit. 285. Es iſt die Macht der Sprache, welche durch Unterricht ausgebildet jetzt ſo ſtark im Staatsbuͤrger in die Außenwelt heraustritt, daß ſie ganz allein einen Mann, der nichts bedeutet, uͤbermaͤchtig machen kann. Ich kann durch mein Wort meinen Gedanken faſſen und ihn dem Mitmenſchen uͤberliefern, nicht die rohe Willensaͤußerung bloß, die auch wohl aus den Haͤnden ſpraͤche, den feinſten Nerv des Beweiſes enthuͤlle ich ihm, das leiſeſte Gefuͤhl. Bloß durch mein Wort verwandle ich ſeine Geſtalt, Freude, Zorn, Beifall, Verzweiflung ruf’ ich hervor, ein Wort vermag zu toͤdten. Ich kann mein ungeſprochenes Wort in Schrift verkoͤrpern und es uͤbt tonlos auf tauſend Mei- len dieſelbe Gewalt, unendlich viel weiter als Schießpul- ver wirkt. Es uͤbt ſeine Macht ohne alle Beziehung auf den Vortheil, die Verbeſſerung der Lage des Angeredeten; “Was iſt ihm Hekuba? was iſt er ihr, Daß er um ſie ſoll weinen?” Aber welch ein Hebel auch zu Thaten, wenn Ort und Zeit und Intereſſe mit dem entflammenden Worte zuſammentreffen? Haben Worte ſo große Macht zum Guten und zum Boͤſen, ſo folgt daraus, daß man durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/311
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/311>, abgerufen am 28.03.2024.