Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Capitel.
menhalten, und mit den 18 Centurien patricischer und
plebejischer Ritter, die von Standeswegen außer den Clas-
sen mitstimmen, ebenfalls einig sind, diese 98 Stimmen
ganz allein den Sieg davon tragen; denn die niedrigeren
Classen treten ihnen mit nur 97 Centurien gegenüber.
Aber außer der Centurien-Einrichtung und der Vermögens-
Aristokratie ist der Gewalt der Zahl noch eine dritte Be-
schaffenheits-Schranke gesetzt: ein Vorrecht des Alters,
indem die Hälfte der Centurien jeder Classe den mehr als
fünfundvierzigjährigen Bürgern eingeräumt wird, die doch
der Kopfzahl nach nur etwa halb so stark als die jüngeren
seyn konnten. Und viertens: die Wirksamkeit dieser Ver-
sammlung hält überhaupt eine enggezogene Gränze. Jeder
Antrag kam ihr vom Adels-Senat, auch der Vorschlag
zu den Wahlen, nirgend eine rednerische Bewegung; es
war eine stumme Volksversammlung, die der Centurien
des Marsfelds, nur zur Annahme oder Verwerfung befugt.

52. Dennoch übte sie ein großes politisches Recht,
das Nein, und es schien den Patriciern zu viel damit
gethan. Die Veränderung kostete dem Servius Thron
und Leben. Bald war das Königthum ganz gestürzt. So-
lange der beiden Ständen furchtbare vertriebene Tyrann
lebte, wurden die Servischen Gesetze gehalten; man sah
einen plebejischen Consul, in Centuriat-Comitien erwählt.
Als aber Tarquin todt war, da blieb unerfüllt der wahr-
scheinliche Grundgedanke des Consulats, den schon
Servius hegte, daß einer aus dem populus und einer aus
der plebs fortan die höchste Würde im Staate gepaart
bekleiden sollten. Nicht allein die Wählbarkeit, sondern
auch das Wahlrecht behaupten die Curien für sich allein,
sie entziehen sich dem Zehenten vom ager publicus und

Zweites Capitel.
menhalten, und mit den 18 Centurien patriciſcher und
plebejiſcher Ritter, die von Standeswegen außer den Claſ-
ſen mitſtimmen, ebenfalls einig ſind, dieſe 98 Stimmen
ganz allein den Sieg davon tragen; denn die niedrigeren
Claſſen treten ihnen mit nur 97 Centurien gegenuͤber.
Aber außer der Centurien-Einrichtung und der Vermoͤgens-
Ariſtokratie iſt der Gewalt der Zahl noch eine dritte Be-
ſchaffenheits-Schranke geſetzt: ein Vorrecht des Alters,
indem die Haͤlfte der Centurien jeder Claſſe den mehr als
fuͤnfundvierzigjaͤhrigen Buͤrgern eingeraͤumt wird, die doch
der Kopfzahl nach nur etwa halb ſo ſtark als die juͤngeren
ſeyn konnten. Und viertens: die Wirkſamkeit dieſer Ver-
ſammlung haͤlt uͤberhaupt eine enggezogene Graͤnze. Jeder
Antrag kam ihr vom Adels-Senat, auch der Vorſchlag
zu den Wahlen, nirgend eine redneriſche Bewegung; es
war eine ſtumme Volksverſammlung, die der Centurien
des Marsfelds, nur zur Annahme oder Verwerfung befugt.

52. Dennoch uͤbte ſie ein großes politiſches Recht,
das Nein, und es ſchien den Patriciern zu viel damit
gethan. Die Veraͤnderung koſtete dem Servius Thron
und Leben. Bald war das Koͤnigthum ganz geſtuͤrzt. So-
lange der beiden Staͤnden furchtbare vertriebene Tyrann
lebte, wurden die Serviſchen Geſetze gehalten; man ſah
einen plebejiſchen Conſul, in Centuriat-Comitien erwaͤhlt.
Als aber Tarquin todt war, da blieb unerfuͤllt der wahr-
ſcheinliche Grundgedanke des Conſulats, den ſchon
Servius hegte, daß einer aus dem populus und einer aus
der plebs fortan die hoͤchſte Wuͤrde im Staate gepaart
bekleiden ſollten. Nicht allein die Waͤhlbarkeit, ſondern
auch das Wahlrecht behaupten die Curien fuͤr ſich allein,
ſie entziehen ſich dem Zehenten vom ager publicus und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0048" n="36"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Capitel</hi>.</fw><lb/>
menhalten, und mit den 18 Centurien patrici&#x017F;cher und<lb/>
plebeji&#x017F;cher Ritter, die von Standeswegen außer den Cla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en mit&#x017F;timmen, ebenfalls einig &#x017F;ind, die&#x017F;e 98 Stimmen<lb/>
ganz allein den Sieg davon tragen; denn die niedrigeren<lb/>
Cla&#x017F;&#x017F;en treten ihnen mit nur 97 Centurien gegenu&#x0364;ber.<lb/>
Aber außer der Centurien-Einrichtung und der Vermo&#x0364;gens-<lb/>
Ari&#x017F;tokratie i&#x017F;t der Gewalt der Zahl noch eine dritte Be-<lb/>
&#x017F;chaffenheits-Schranke ge&#x017F;etzt: ein Vorrecht des Alters,<lb/>
indem die Ha&#x0364;lfte der Centurien jeder Cla&#x017F;&#x017F;e den mehr als<lb/>
fu&#x0364;nfundvierzigja&#x0364;hrigen Bu&#x0364;rgern eingera&#x0364;umt wird, die doch<lb/>
der Kopfzahl nach nur etwa halb &#x017F;o &#x017F;tark als die ju&#x0364;ngeren<lb/>
&#x017F;eyn konnten. Und viertens: die Wirk&#x017F;amkeit die&#x017F;er Ver-<lb/>
&#x017F;ammlung ha&#x0364;lt u&#x0364;berhaupt eine enggezogene Gra&#x0364;nze. Jeder<lb/>
Antrag kam ihr vom Adels-Senat, auch der Vor&#x017F;chlag<lb/>
zu den Wahlen, nirgend eine redneri&#x017F;che Bewegung; es<lb/>
war eine &#x017F;tumme Volksver&#x017F;ammlung, die der Centurien<lb/>
des Marsfelds, nur zur Annahme oder Verwerfung befugt.</p><lb/>
              <p>52. Dennoch u&#x0364;bte &#x017F;ie ein großes politi&#x017F;ches Recht,<lb/>
das <hi rendition="#g">Nein</hi>, und es &#x017F;chien den Patriciern zu viel damit<lb/>
gethan. Die Vera&#x0364;nderung ko&#x017F;tete dem Servius Thron<lb/>
und Leben. Bald war das Ko&#x0364;nigthum ganz ge&#x017F;tu&#x0364;rzt. So-<lb/>
lange der beiden Sta&#x0364;nden furchtbare vertriebene Tyrann<lb/>
lebte, wurden die Servi&#x017F;chen Ge&#x017F;etze gehalten; man &#x017F;ah<lb/>
einen plebeji&#x017F;chen Con&#x017F;ul, in Centuriat-Comitien erwa&#x0364;hlt.<lb/>
Als aber Tarquin todt war, da blieb unerfu&#x0364;llt der wahr-<lb/>
&#x017F;cheinliche Grundgedanke des <hi rendition="#g">Con&#x017F;ulats</hi>, den &#x017F;chon<lb/>
Servius hegte, daß einer aus dem <hi rendition="#aq">populus</hi> und einer aus<lb/>
der <hi rendition="#aq">plebs</hi> fortan die ho&#x0364;ch&#x017F;te Wu&#x0364;rde im Staate gepaart<lb/>
bekleiden &#x017F;ollten. Nicht allein die Wa&#x0364;hlbarkeit, &#x017F;ondern<lb/>
auch das Wahlrecht behaupten die Curien fu&#x0364;r &#x017F;ich allein,<lb/>
&#x017F;ie entziehen &#x017F;ich dem Zehenten vom <hi rendition="#aq">ager publicus</hi> und<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0048] Zweites Capitel. menhalten, und mit den 18 Centurien patriciſcher und plebejiſcher Ritter, die von Standeswegen außer den Claſ- ſen mitſtimmen, ebenfalls einig ſind, dieſe 98 Stimmen ganz allein den Sieg davon tragen; denn die niedrigeren Claſſen treten ihnen mit nur 97 Centurien gegenuͤber. Aber außer der Centurien-Einrichtung und der Vermoͤgens- Ariſtokratie iſt der Gewalt der Zahl noch eine dritte Be- ſchaffenheits-Schranke geſetzt: ein Vorrecht des Alters, indem die Haͤlfte der Centurien jeder Claſſe den mehr als fuͤnfundvierzigjaͤhrigen Buͤrgern eingeraͤumt wird, die doch der Kopfzahl nach nur etwa halb ſo ſtark als die juͤngeren ſeyn konnten. Und viertens: die Wirkſamkeit dieſer Ver- ſammlung haͤlt uͤberhaupt eine enggezogene Graͤnze. Jeder Antrag kam ihr vom Adels-Senat, auch der Vorſchlag zu den Wahlen, nirgend eine redneriſche Bewegung; es war eine ſtumme Volksverſammlung, die der Centurien des Marsfelds, nur zur Annahme oder Verwerfung befugt. 52. Dennoch uͤbte ſie ein großes politiſches Recht, das Nein, und es ſchien den Patriciern zu viel damit gethan. Die Veraͤnderung koſtete dem Servius Thron und Leben. Bald war das Koͤnigthum ganz geſtuͤrzt. So- lange der beiden Staͤnden furchtbare vertriebene Tyrann lebte, wurden die Serviſchen Geſetze gehalten; man ſah einen plebejiſchen Conſul, in Centuriat-Comitien erwaͤhlt. Als aber Tarquin todt war, da blieb unerfuͤllt der wahr- ſcheinliche Grundgedanke des Conſulats, den ſchon Servius hegte, daß einer aus dem populus und einer aus der plebs fortan die hoͤchſte Wuͤrde im Staate gepaart bekleiden ſollten. Nicht allein die Waͤhlbarkeit, ſondern auch das Wahlrecht behaupten die Curien fuͤr ſich allein, ſie entziehen ſich dem Zehenten vom ager publicus und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/48
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/48>, abgerufen am 16.10.2024.