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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Neuere Staatsverfassung. Deutschland.
den Wunsch der Franzosen nach Verfassungsrechten befrie-
digen. Um es mit Sicherheit thun zu können, bedurfte die
Krone einer aristokratischen Macht. Der König beschloß,
nach dem Muster Englands eine Kammer von erblichen
Pärs neben der Wahl-Kammer aufzurichten. Aber die für
eine wahre Pärie nothwendigen Bestandtheile waren großen-
theils verschwunden. Die meisten Majorate blieben unge-
stiftet, weil kein großer unzertheilter Grundbesitz vorhan-
den; es ward zum Theil davon dispensirt; einige Pärs
wurden mit Staats-Renten dotirt, fielen mithin der Staats-
Casse zur Last; auch bloß lebenslängliche Pärs wurden
ernannt. Dazu noch außer der Pärie ein zwiefacher Titu-
lar-Adel, ein Alt-Bourbonischer und ein Napoleonischer.

Diese Pärie war nicht auf Realitäten, sondern auf
Fictionen gebaut, die mit Hülfe der Zeit inzwischen zu
Realitäten hätten werden können. Die Julius-Revolution
hat es unwahrscheinlich gemacht, daß das geschehe. Alle
vom entsetzten Könige ernannten Pärs sind auf einen
Schlag entsetzt. Die Erblichkeit der Pärie ist abgeschafft,
und das Recht der Krone, lebenslängliche Pärs zu ernen-
nen, ist auf gewisse Kategorieen beschränkt. Die Zukunft
wird zeigen, ob ein solches Kunstgebilde der Pärie stark
genug ist, einen selbständigen Theil der gesetzgebenden Ge-
walt in einem großen und beweglichen Lande, wie Frank-
reich, auszumachen.

79. In Deutschland hat der Adel weder den
Englischen Weg, noch den Französischen genommen, sondern
eine dritte ganz eigenthümliche Richtung. Dem hohen
Adel von Deutschland ist die Deutsche Königskrone unter-
legen und er hat selber die Regierung an sich genommen;

Neuere Staatsverfaſſung. Deutſchland.
den Wunſch der Franzoſen nach Verfaſſungsrechten befrie-
digen. Um es mit Sicherheit thun zu koͤnnen, bedurfte die
Krone einer ariſtokratiſchen Macht. Der Koͤnig beſchloß,
nach dem Muſter Englands eine Kammer von erblichen
Paͤrs neben der Wahl-Kammer aufzurichten. Aber die fuͤr
eine wahre Paͤrie nothwendigen Beſtandtheile waren großen-
theils verſchwunden. Die meiſten Majorate blieben unge-
ſtiftet, weil kein großer unzertheilter Grundbeſitz vorhan-
den; es ward zum Theil davon dispenſirt; einige Paͤrs
wurden mit Staats-Renten dotirt, fielen mithin der Staats-
Caſſe zur Laſt; auch bloß lebenslaͤngliche Paͤrs wurden
ernannt. Dazu noch außer der Paͤrie ein zwiefacher Titu-
lar-Adel, ein Alt-Bourboniſcher und ein Napoleoniſcher.

Dieſe Paͤrie war nicht auf Realitaͤten, ſondern auf
Fictionen gebaut, die mit Huͤlfe der Zeit inzwiſchen zu
Realitaͤten haͤtten werden koͤnnen. Die Julius-Revolution
hat es unwahrſcheinlich gemacht, daß das geſchehe. Alle
vom entſetzten Koͤnige ernannten Paͤrs ſind auf einen
Schlag entſetzt. Die Erblichkeit der Paͤrie iſt abgeſchafft,
und das Recht der Krone, lebenslaͤngliche Paͤrs zu ernen-
nen, iſt auf gewiſſe Kategorieen beſchraͤnkt. Die Zukunft
wird zeigen, ob ein ſolches Kunſtgebilde der Paͤrie ſtark
genug iſt, einen ſelbſtaͤndigen Theil der geſetzgebenden Ge-
walt in einem großen und beweglichen Lande, wie Frank-
reich, auszumachen.

79. In Deutſchland hat der Adel weder den
Engliſchen Weg, noch den Franzoͤſiſchen genommen, ſondern
eine dritte ganz eigenthuͤmliche Richtung. Dem hohen
Adel von Deutſchland iſt die Deutſche Koͤnigskrone unter-
legen und er hat ſelber die Regierung an ſich genommen;

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[61/0073] Neuere Staatsverfaſſung. Deutſchland. den Wunſch der Franzoſen nach Verfaſſungsrechten befrie- digen. Um es mit Sicherheit thun zu koͤnnen, bedurfte die Krone einer ariſtokratiſchen Macht. Der Koͤnig beſchloß, nach dem Muſter Englands eine Kammer von erblichen Paͤrs neben der Wahl-Kammer aufzurichten. Aber die fuͤr eine wahre Paͤrie nothwendigen Beſtandtheile waren großen- theils verſchwunden. Die meiſten Majorate blieben unge- ſtiftet, weil kein großer unzertheilter Grundbeſitz vorhan- den; es ward zum Theil davon dispenſirt; einige Paͤrs wurden mit Staats-Renten dotirt, fielen mithin der Staats- Caſſe zur Laſt; auch bloß lebenslaͤngliche Paͤrs wurden ernannt. Dazu noch außer der Paͤrie ein zwiefacher Titu- lar-Adel, ein Alt-Bourboniſcher und ein Napoleoniſcher. Dieſe Paͤrie war nicht auf Realitaͤten, ſondern auf Fictionen gebaut, die mit Huͤlfe der Zeit inzwiſchen zu Realitaͤten haͤtten werden koͤnnen. Die Julius-Revolution hat es unwahrſcheinlich gemacht, daß das geſchehe. Alle vom entſetzten Koͤnige ernannten Paͤrs ſind auf einen Schlag entſetzt. Die Erblichkeit der Paͤrie iſt abgeſchafft, und das Recht der Krone, lebenslaͤngliche Paͤrs zu ernen- nen, iſt auf gewiſſe Kategorieen beſchraͤnkt. Die Zukunft wird zeigen, ob ein ſolches Kunſtgebilde der Paͤrie ſtark genug iſt, einen ſelbſtaͤndigen Theil der geſetzgebenden Ge- walt in einem großen und beweglichen Lande, wie Frank- reich, auszumachen. 79. In Deutſchland hat der Adel weder den Engliſchen Weg, noch den Franzoͤſiſchen genommen, ſondern eine dritte ganz eigenthuͤmliche Richtung. Dem hohen Adel von Deutſchland iſt die Deutſche Koͤnigskrone unter- legen und er hat ſelber die Regierung an ſich genommen;

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/73>, abgerufen am 27.04.2024.