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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Viertes Capitel.
in den Händen der Regierung befindet. Denn verschiedene
Träger der Staatsgewalt sind hiemit vorausgesetzt.

95. Dieser sogenannten Staatsgewalten sind zwei, die
ausübende und die gesetzgebende Gewalt. Denn
die richterliche darf sich ihnen nicht als dritte gleichstellen
wollen, da sie als Anwenderin bereits vorhandener Gesetze,
bloß über deren concreten Inhalt entscheidend, jenen bei-
den Staatsgewalten untergeordnet ist.

96. Fragt es sich nun um die Ausstattung jener höch-
sten Staatsgewalt, deren Inhaberin die Regierung seyn
muß, so kann einmahl Regierung gar nicht anders gedacht
werden als im unmittelbaren und ungetheilten Besitze der
ausübenden oder That-Gewalt. Denn jede andere
Staats-Gewalt neben ihr wäre sonst die beziehungsweise
regierende oder mitregierende, also auch-regierende. Da
aber die Regierung auch nicht regierte wenn sie einen
fremden Willen bloß auszuführen hätte, vielmehr dann re-
giert würde von einem mächtigeren Willen, der vielleicht
mit dem ihrigen streitet, so muß sie, um in ununterbroche-
ner Kraft zu leben, auch Inhaberin der gesetzgeben-
den
Gewalt in soweit seyn, daß sie ihren Willen zu allen
Gesetzen giebt.

97. Darum darf überall wo der Staat, die Aggre-
gate des Mittelalters überwindend, selbstbewust zur ein-
heitlichen Vollendung strebt, keiner der Unterthanen einen
Antheil an der ausübenden Gewalt haben, der, einerlei
von wo er ausgegangen, nicht unter Oberaufsicht der Re-
gierung stände. Aber das Recht der Unterthanen, als Mit-
Inhaber der gesetzgebenden Gewalt ebenfalls ihre freie Zu-
stimmung zu den Gesetzen zu geben, verletzt das Wesen
der Regierung nicht, stellt vielmehr ihre praktischen Erfolge

Viertes Capitel.
in den Haͤnden der Regierung befindet. Denn verſchiedene
Traͤger der Staatsgewalt ſind hiemit vorausgeſetzt.

95. Dieſer ſogenannten Staatsgewalten ſind zwei, die
ausuͤbende und die geſetzgebende Gewalt. Denn
die richterliche darf ſich ihnen nicht als dritte gleichſtellen
wollen, da ſie als Anwenderin bereits vorhandener Geſetze,
bloß uͤber deren concreten Inhalt entſcheidend, jenen bei-
den Staatsgewalten untergeordnet iſt.

96. Fragt es ſich nun um die Ausſtattung jener hoͤch-
ſten Staatsgewalt, deren Inhaberin die Regierung ſeyn
muß, ſo kann einmahl Regierung gar nicht anders gedacht
werden als im unmittelbaren und ungetheilten Beſitze der
ausuͤbenden oder That-Gewalt. Denn jede andere
Staats-Gewalt neben ihr waͤre ſonſt die beziehungsweiſe
regierende oder mitregierende, alſo auch-regierende. Da
aber die Regierung auch nicht regierte wenn ſie einen
fremden Willen bloß auszufuͤhren haͤtte, vielmehr dann re-
giert wuͤrde von einem maͤchtigeren Willen, der vielleicht
mit dem ihrigen ſtreitet, ſo muß ſie, um in ununterbroche-
ner Kraft zu leben, auch Inhaberin der geſetzgeben-
den
Gewalt in ſoweit ſeyn, daß ſie ihren Willen zu allen
Geſetzen giebt.

97. Darum darf uͤberall wo der Staat, die Aggre-
gate des Mittelalters uͤberwindend, ſelbſtbewust zur ein-
heitlichen Vollendung ſtrebt, keiner der Unterthanen einen
Antheil an der ausuͤbenden Gewalt haben, der, einerlei
von wo er ausgegangen, nicht unter Oberaufſicht der Re-
gierung ſtaͤnde. Aber das Recht der Unterthanen, als Mit-
Inhaber der geſetzgebenden Gewalt ebenfalls ihre freie Zu-
ſtimmung zu den Geſetzen zu geben, verletzt das Weſen
der Regierung nicht, ſtellt vielmehr ihre praktiſchen Erfolge

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[79/0091] Viertes Capitel. in den Haͤnden der Regierung befindet. Denn verſchiedene Traͤger der Staatsgewalt ſind hiemit vorausgeſetzt. 95. Dieſer ſogenannten Staatsgewalten ſind zwei, die ausuͤbende und die geſetzgebende Gewalt. Denn die richterliche darf ſich ihnen nicht als dritte gleichſtellen wollen, da ſie als Anwenderin bereits vorhandener Geſetze, bloß uͤber deren concreten Inhalt entſcheidend, jenen bei- den Staatsgewalten untergeordnet iſt. 96. Fragt es ſich nun um die Ausſtattung jener hoͤch- ſten Staatsgewalt, deren Inhaberin die Regierung ſeyn muß, ſo kann einmahl Regierung gar nicht anders gedacht werden als im unmittelbaren und ungetheilten Beſitze der ausuͤbenden oder That-Gewalt. Denn jede andere Staats-Gewalt neben ihr waͤre ſonſt die beziehungsweiſe regierende oder mitregierende, alſo auch-regierende. Da aber die Regierung auch nicht regierte wenn ſie einen fremden Willen bloß auszufuͤhren haͤtte, vielmehr dann re- giert wuͤrde von einem maͤchtigeren Willen, der vielleicht mit dem ihrigen ſtreitet, ſo muß ſie, um in ununterbroche- ner Kraft zu leben, auch Inhaberin der geſetzgeben- den Gewalt in ſoweit ſeyn, daß ſie ihren Willen zu allen Geſetzen giebt. 97. Darum darf uͤberall wo der Staat, die Aggre- gate des Mittelalters uͤberwindend, ſelbſtbewust zur ein- heitlichen Vollendung ſtrebt, keiner der Unterthanen einen Antheil an der ausuͤbenden Gewalt haben, der, einerlei von wo er ausgegangen, nicht unter Oberaufſicht der Re- gierung ſtaͤnde. Aber das Recht der Unterthanen, als Mit- Inhaber der geſetzgebenden Gewalt ebenfalls ihre freie Zu- ſtimmung zu den Geſetzen zu geben, verletzt das Weſen der Regierung nicht, ſtellt vielmehr ihre praktiſchen Erfolge

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/91>, abgerufen am 25.04.2024.