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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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seine Stelle treten sollte, einen irdischen und weltlichen
Grund und Boden zu bereiten, worüber auch ein von uns
nachgewiesenes mystisches Bewußtsein in ihm selbst existirte.
Das Griechenthum hatte keine so unmittelbare und prak-
tische Beziehung zum Christenthum; desto näher aber stand
es ihm in ideeller Beziehung; es erzeugte aus sich auf
mythologischem und poetischem Wege ein Christenthum der
Idee, wie namentlich in seinem bewundernswürdigen He-
raklesmythus, enthielt auch schon eine Art von Trinität,
die, insbesondere was die Darstellung des Geistes betrifft,
der augenscheinlichsten Analogien und merkwürdigsten Züge
voll. Aber es fehlte das Christenthum der thatsächlichen
Wahrheit und Wirklichkeit, wie es erst in und durch Chri-
stus, als dem nicht bloß mythologisch und poetisch vorge-
stellten, sondern wahrhaften Gottmenschen und Heiland, er-
schienen ist. Auf dieses reale Christenthum als solches,
weist und führt direkt und ausdrücklich der messianische
Prophetismus des alten Testaments hin; und das ist der
charakteristische Unterschied desselben von dem sinnreichen Phan-
tasiespiele des Griechenthums, das hiebei stehen bleibt und
nicht, wie das prophetische Judenthum, über sich hinaus auf
das Zukünftige geht.

Die Sache stellt sich also in der Kürze so. Das Hei-
denthum producirt die mythologisch ausgeprägte und poe-
tisch gehandhabte Idee und begnügt sich damit; der alt-
testamentliche Prophetismus will und verkündet die Wirk-
lichkeit, die kommen soll, deren die Welt bedarf und deren
Mangel von ihm so schmerzlich empfunden wird, und Chri-
stus endlich ist diese Wirklichkeit. Auf diese Weise wird
man sich die Sache wohl immer gefallen lassen dürfen.

Daß aber die Heiden in der That nicht so ganz ohne
Licht und Gott gewesen, wie eine Ansicht will, die billig
als veraltet gilt, läßt sich auch aus biblischen Schriftstel-

ſeine Stelle treten ſollte, einen irdiſchen und weltlichen
Grund und Boden zu bereiten, worüber auch ein von uns
nachgewieſenes myſtiſches Bewußtſein in ihm ſelbſt exiſtirte.
Das Griechenthum hatte keine ſo unmittelbare und prak-
tiſche Beziehung zum Chriſtenthum; deſto näher aber ſtand
es ihm in ideeller Beziehung; es erzeugte aus ſich auf
mythologiſchem und poetiſchem Wege ein Chriſtenthum der
Idee, wie namentlich in ſeinem bewundernswürdigen He-
raklesmythus, enthielt auch ſchon eine Art von Trinität,
die, insbeſondere was die Darſtellung des Geiſtes betrifft,
der augenſcheinlichſten Analogien und merkwürdigſten Züge
voll. Aber es fehlte das Chriſtenthum der thatſächlichen
Wahrheit und Wirklichkeit, wie es erſt in und durch Chri-
ſtus, als dem nicht bloß mythologiſch und poetiſch vorge-
ſtellten, ſondern wahrhaften Gottmenſchen und Heiland, er-
ſchienen iſt. Auf dieſes reale Chriſtenthum als ſolches,
weiſt und führt direkt und ausdrücklich der meſſianiſche
Prophetismus des alten Teſtaments hin; und das iſt der
charakteriſtiſche Unterſchied deſſelben von dem ſinnreichen Phan-
taſieſpiele des Griechenthums, das hiebei ſtehen bleibt und
nicht, wie das prophetiſche Judenthum, über ſich hinaus auf
das Zukünftige geht.

Die Sache ſtellt ſich alſo in der Kürze ſo. Das Hei-
denthum producirt die mythologiſch ausgeprägte und poe-
tiſch gehandhabte Idee und begnügt ſich damit; der alt-
teſtamentliche Prophetismus will und verkündet die Wirk-
lichkeit, die kommen ſoll, deren die Welt bedarf und deren
Mangel von ihm ſo ſchmerzlich empfunden wird, und Chri-
ſtus endlich iſt dieſe Wirklichkeit. Auf dieſe Weiſe wird
man ſich die Sache wohl immer gefallen laſſen dürfen.

Daß aber die Heiden in der That nicht ſo ganz ohne
Licht und Gott geweſen, wie eine Anſicht will, die billig
als veraltet gilt, läßt ſich auch aus bibliſchen Schriftſtel-

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[106/0128] ſeine Stelle treten ſollte, einen irdiſchen und weltlichen Grund und Boden zu bereiten, worüber auch ein von uns nachgewieſenes myſtiſches Bewußtſein in ihm ſelbſt exiſtirte. Das Griechenthum hatte keine ſo unmittelbare und prak- tiſche Beziehung zum Chriſtenthum; deſto näher aber ſtand es ihm in ideeller Beziehung; es erzeugte aus ſich auf mythologiſchem und poetiſchem Wege ein Chriſtenthum der Idee, wie namentlich in ſeinem bewundernswürdigen He- raklesmythus, enthielt auch ſchon eine Art von Trinität, die, insbeſondere was die Darſtellung des Geiſtes betrifft, der augenſcheinlichſten Analogien und merkwürdigſten Züge voll. Aber es fehlte das Chriſtenthum der thatſächlichen Wahrheit und Wirklichkeit, wie es erſt in und durch Chri- ſtus, als dem nicht bloß mythologiſch und poetiſch vorge- ſtellten, ſondern wahrhaften Gottmenſchen und Heiland, er- ſchienen iſt. Auf dieſes reale Chriſtenthum als ſolches, weiſt und führt direkt und ausdrücklich der meſſianiſche Prophetismus des alten Teſtaments hin; und das iſt der charakteriſtiſche Unterſchied deſſelben von dem ſinnreichen Phan- taſieſpiele des Griechenthums, das hiebei ſtehen bleibt und nicht, wie das prophetiſche Judenthum, über ſich hinaus auf das Zukünftige geht. Die Sache ſtellt ſich alſo in der Kürze ſo. Das Hei- denthum producirt die mythologiſch ausgeprägte und poe- tiſch gehandhabte Idee und begnügt ſich damit; der alt- teſtamentliche Prophetismus will und verkündet die Wirk- lichkeit, die kommen ſoll, deren die Welt bedarf und deren Mangel von ihm ſo ſchmerzlich empfunden wird, und Chri- ſtus endlich iſt dieſe Wirklichkeit. Auf dieſe Weiſe wird man ſich die Sache wohl immer gefallen laſſen dürfen. Daß aber die Heiden in der That nicht ſo ganz ohne Licht und Gott geweſen, wie eine Anſicht will, die billig als veraltet gilt, läßt ſich auch aus bibliſchen Schriftſtel-

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/128>, abgerufen am 16.04.2024.