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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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Ich fühle mich um so mehr bewogen, noch einmal auf diesen Punkt
zurückzukommen, da ich neuestens wieder den alten Vorwurf zu hören
hatte, daß der Katholicismus ja doch ein offenbarer Götzendienst sei,
der sich für Heiden, nicht aber für Christen schicke. Man hat es hier
mit jener altprotestantischen Ansicht und Kritik zu thun, welche es über-
nommen hat, die große, christliche Entwicklung so gewaltsam und un-
natürlich auf die jüdische Abstraktion zurückzuschrauben, -- eine Ab-
straktion, über welche der Gang der Cultur, wie schon im klassischen
Alterthume, so auch im katholischen Christenthum und dann selbst auch
im Protestantismus durch die daselbst Statt gefundene Zurückwendung
zur antiken Geschmacksbildung und Kunstanschauung längst vielfach hin-
ausgeschritten, welche daher durchaus keine zeitgemäße Geltung und
Anwendung mehr hat und nur noch in den Köpfen derjenigen spukt,
welche sich auf die Höhe der Zeitbildung niemals erhoben haben. Was
die Juden betrifft, so war bei diesen das Gebot, sich von der Gottheit
kein Bild und Gleichniß zu machen, der barbarischen Idololatrie der
umgebenden Nationen und Culte gegenüber, in seinem vollen Rechte,
indem es einer unwürdigen und gräulichen Darstellung des Göttlichen
vorbeugen sollte. Diese Prophylaxis hat jetzt keinen Sinn mehr; es
ist, wie wenn die Aerzte in Cholerazeiten gewisse Genüsse verbieten;
wenn die Seuche vorüber ist, wäre es lächerlich, sich daran zu kehren.
Schon Goethe hat hier das Richtige gesehen und kurz und scharf
ausgesprochen, indem er den Satz aufstellte, das Göttliche sei entweder
ganz form- und bildlos, oder in der schönsten und würdigsten Gestalt
zu verehren. Die erstere, rein negative, verhütende Norm wird von
der Bildung der Barbarei, nicht aber sich selbst entgegengestellt, wenn
sie das Göttliche in ästhetischer Form zur Anschauung zu bringen ver-
sucht; und diese zweite Methode, als die positive, ist die offenbar vor-
züglichere und zweckmäßigere, ist diejenige, die auf die Dauer allein zu
genügen vermag. Jene moderne Richtung, welche sich auf ihrer wohl-
begründeten und tiefberechtigten Flucht vor dem Abstrakten und Nega-
tiven so leidenschaftlich auf das ästhetisch-reizende und lebensvolle Hei-
denthum zurückgeworfen, hat über den bezeichneten altprotestantischen
Standpunkt das thatsächliche historische Gericht gehalten; sie hat das
anachronistisch Unangemessene und Unhaltbare dieses Judaismus ge-
offenbart und, da jenes Heidenthum, als eine überschrittene Stufe
menschlicher Entwicklung, doch auch nicht bleibend erneuert werden kann,
einen zum Katholicismus bewußtlos zurückführenden Weg eingeschlagen.

Ich fühle mich um ſo mehr bewogen, noch einmal auf dieſen Punkt
zurückzukommen, da ich neueſtens wieder den alten Vorwurf zu hören
hatte, daß der Katholicismus ja doch ein offenbarer Götzendienſt ſei,
der ſich für Heiden, nicht aber für Chriſten ſchicke. Man hat es hier
mit jener altproteſtantiſchen Anſicht und Kritik zu thun, welche es über-
nommen hat, die große, chriſtliche Entwicklung ſo gewaltſam und un-
natürlich auf die jüdiſche Abſtraktion zurückzuſchrauben, — eine Ab-
ſtraktion, über welche der Gang der Cultur, wie ſchon im klaſſiſchen
Alterthume, ſo auch im katholiſchen Chriſtenthum und dann ſelbſt auch
im Proteſtantismus durch die daſelbſt Statt gefundene Zurückwendung
zur antiken Geſchmacksbildung und Kunſtanſchauung längſt vielfach hin-
ausgeſchritten, welche daher durchaus keine zeitgemäße Geltung und
Anwendung mehr hat und nur noch in den Köpfen derjenigen ſpukt,
welche ſich auf die Höhe der Zeitbildung niemals erhoben haben. Was
die Juden betrifft, ſo war bei dieſen das Gebot, ſich von der Gottheit
kein Bild und Gleichniß zu machen, der barbariſchen Idololatrie der
umgebenden Nationen und Culte gegenüber, in ſeinem vollen Rechte,
indem es einer unwürdigen und gräulichen Darſtellung des Göttlichen
vorbeugen ſollte. Dieſe Prophylaxis hat jetzt keinen Sinn mehr; es
iſt, wie wenn die Aerzte in Cholerazeiten gewiſſe Genüſſe verbieten;
wenn die Seuche vorüber iſt, wäre es lächerlich, ſich daran zu kehren.
Schon Goethe hat hier das Richtige geſehen und kurz und ſcharf
ausgeſprochen, indem er den Satz aufſtellte, das Göttliche ſei entweder
ganz form- und bildlos, oder in der ſchönſten und würdigſten Geſtalt
zu verehren. Die erſtere, rein negative, verhütende Norm wird von
der Bildung der Barbarei, nicht aber ſich ſelbſt entgegengeſtellt, wenn
ſie das Göttliche in äſthetiſcher Form zur Anſchauung zu bringen ver-
ſucht; und dieſe zweite Methode, als die poſitive, iſt die offenbar vor-
züglichere und zweckmäßigere, iſt diejenige, die auf die Dauer allein zu
genügen vermag. Jene moderne Richtung, welche ſich auf ihrer wohl-
begründeten und tiefberechtigten Flucht vor dem Abſtrakten und Nega-
tiven ſo leidenſchaftlich auf das äſthetiſch-reizende und lebensvolle Hei-
denthum zurückgeworfen, hat über den bezeichneten altproteſtantiſchen
Standpunkt das thatſächliche hiſtoriſche Gericht gehalten; ſie hat das
anachroniſtiſch Unangemeſſene und Unhaltbare dieſes Judaismus ge-
offenbart und, da jenes Heidenthum, als eine überſchrittene Stufe
menſchlicher Entwicklung, doch auch nicht bleibend erneuert werden kann,
einen zum Katholicismus bewußtlos zurückführenden Weg eingeſchlagen.

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[122/0144] Ich fühle mich um ſo mehr bewogen, noch einmal auf dieſen Punkt zurückzukommen, da ich neueſtens wieder den alten Vorwurf zu hören hatte, daß der Katholicismus ja doch ein offenbarer Götzendienſt ſei, der ſich für Heiden, nicht aber für Chriſten ſchicke. Man hat es hier mit jener altproteſtantiſchen Anſicht und Kritik zu thun, welche es über- nommen hat, die große, chriſtliche Entwicklung ſo gewaltſam und un- natürlich auf die jüdiſche Abſtraktion zurückzuſchrauben, — eine Ab- ſtraktion, über welche der Gang der Cultur, wie ſchon im klaſſiſchen Alterthume, ſo auch im katholiſchen Chriſtenthum und dann ſelbſt auch im Proteſtantismus durch die daſelbſt Statt gefundene Zurückwendung zur antiken Geſchmacksbildung und Kunſtanſchauung längſt vielfach hin- ausgeſchritten, welche daher durchaus keine zeitgemäße Geltung und Anwendung mehr hat und nur noch in den Köpfen derjenigen ſpukt, welche ſich auf die Höhe der Zeitbildung niemals erhoben haben. Was die Juden betrifft, ſo war bei dieſen das Gebot, ſich von der Gottheit kein Bild und Gleichniß zu machen, der barbariſchen Idololatrie der umgebenden Nationen und Culte gegenüber, in ſeinem vollen Rechte, indem es einer unwürdigen und gräulichen Darſtellung des Göttlichen vorbeugen ſollte. Dieſe Prophylaxis hat jetzt keinen Sinn mehr; es iſt, wie wenn die Aerzte in Cholerazeiten gewiſſe Genüſſe verbieten; wenn die Seuche vorüber iſt, wäre es lächerlich, ſich daran zu kehren. Schon Goethe hat hier das Richtige geſehen und kurz und ſcharf ausgeſprochen, indem er den Satz aufſtellte, das Göttliche ſei entweder ganz form- und bildlos, oder in der ſchönſten und würdigſten Geſtalt zu verehren. Die erſtere, rein negative, verhütende Norm wird von der Bildung der Barbarei, nicht aber ſich ſelbſt entgegengeſtellt, wenn ſie das Göttliche in äſthetiſcher Form zur Anſchauung zu bringen ver- ſucht; und dieſe zweite Methode, als die poſitive, iſt die offenbar vor- züglichere und zweckmäßigere, iſt diejenige, die auf die Dauer allein zu genügen vermag. Jene moderne Richtung, welche ſich auf ihrer wohl- begründeten und tiefberechtigten Flucht vor dem Abſtrakten und Nega- tiven ſo leidenſchaftlich auf das äſthetiſch-reizende und lebensvolle Hei- denthum zurückgeworfen, hat über den bezeichneten altproteſtantiſchen Standpunkt das thatſächliche hiſtoriſche Gericht gehalten; ſie hat das anachroniſtiſch Unangemeſſene und Unhaltbare dieſes Judaismus ge- offenbart und, da jenes Heidenthum, als eine überſchrittene Stufe menſchlicher Entwicklung, doch auch nicht bleibend erneuert werden kann, einen zum Katholicismus bewußtlos zurückführenden Weg eingeſchlagen.

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/144>, abgerufen am 19.04.2024.