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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte
hunderts haben das Wesen der Renaissance niemals begriffen,
nur das Äußerlichste ihrer Schale sich angeeignet und willkürlich
aufgebraucht. Vielleicht wäre ihnen die durch das neue Problem
geforderte Gedankenarbeit zu einem besseren Ende gediehen,
wenn nicht zur unglücklichsten Stunde die Reformation die Geister
auf ganz andere Zielpunkte abgelenkt hätte. Was die Kunst aus
dem Kampfe gegen Veräußerlichung des Religionswesens gewinnen
konnte, das hatte sie schon in den letzten vorreformatorischen
Jahrzehnten gezeigt, und wir dürfen ohne Klügelei sagen: schon
damals war sie reformatorischen Geistes voll. In den Jahren des
Streites verschob sich alles zu ihren Ungunsten. Auch ihre zweite
Lebensader, die volkstümliche, zeigt sich alsbald nach Nieder-
werfung der Bauernbewegung unterbunden. Sie weicht in die
Häuser der Reichen und an die Höfe der Fürsten zurück und
wird hier zu dem, was für das deutsche Gefühl das wenigst ange-
messene ist, zu einer Luxuskunst, einer Verzierung des täglichen
Lebens. Die große Schulung und Geschicklichkeit des Hand-
werks läßt ihr noch einen gewissen äußeren Glanz -- mit den
tiefsten Interessen der Nation hat sie keinen Zusammenhang
mehr. Dem Dreißigjährigen Kriege blieb nur übrig zu vollenden.
-- Als der Friede wiederkehrte, waren von volkstümlicher Kunst
noch einige verkümmerte Reste übrig, die aber weiterhin aus
Nahrungsmangel vollends zugrunde gingen mit einziger Ausnahme
des katholischen Südens, wo die Verwüstung nicht so tief ein-
gedrungen war, und wo die Kirche mit Aufbietung großer Mittel
die Wiederherstellung eines Kunstlebens durchsetzte. Daß die
Barockkunst in Bayern, Oberschwaben und den geistlichen Staaten
am Main und Rhein eines der glänzendsten Kapitel der deutschen
Kunstgeschichte ist, daß in der fremden Formensprache viel
deutsche Gedanken zum Ausdruck kommen, ja daß selbst volks-
tümliche Anpassung nicht fehlte, dieses wird heute nicht mehr
verkannt. Wir haben eher Anlaß vor Überschätzung -- nicht
ästhetischer, aber historischer -- zu warnen. Die Kunst des
18. Jahrhunderts gehört nicht zu den Mächten, welche die Er-
hebung unseres nationalen Lebens vorbereiteten. Je mehr dieses
sich in seiner eigentümlichen Kraft entfaltete, um so schwächer

Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte
hunderts haben das Wesen der Renaissance niemals begriffen,
nur das Äußerlichste ihrer Schale sich angeeignet und willkürlich
aufgebraucht. Vielleicht wäre ihnen die durch das neue Problem
geforderte Gedankenarbeit zu einem besseren Ende gediehen,
wenn nicht zur unglücklichsten Stunde die Reformation die Geister
auf ganz andere Zielpunkte abgelenkt hätte. Was die Kunst aus
dem Kampfe gegen Veräußerlichung des Religionswesens gewinnen
konnte, das hatte sie schon in den letzten vorreformatorischen
Jahrzehnten gezeigt, und wir dürfen ohne Klügelei sagen: schon
damals war sie reformatorischen Geistes voll. In den Jahren des
Streites verschob sich alles zu ihren Ungunsten. Auch ihre zweite
Lebensader, die volkstümliche, zeigt sich alsbald nach Nieder-
werfung der Bauernbewegung unterbunden. Sie weicht in die
Häuser der Reichen und an die Höfe der Fürsten zurück und
wird hier zu dem, was für das deutsche Gefühl das wenigst ange-
messene ist, zu einer Luxuskunst, einer Verzierung des täglichen
Lebens. Die große Schulung und Geschicklichkeit des Hand-
werks läßt ihr noch einen gewissen äußeren Glanz — mit den
tiefsten Interessen der Nation hat sie keinen Zusammenhang
mehr. Dem Dreißigjährigen Kriege blieb nur übrig zu vollenden.
— Als der Friede wiederkehrte, waren von volkstümlicher Kunst
noch einige verkümmerte Reste übrig, die aber weiterhin aus
Nahrungsmangel vollends zugrunde gingen mit einziger Ausnahme
des katholischen Südens, wo die Verwüstung nicht so tief ein-
gedrungen war, und wo die Kirche mit Aufbietung großer Mittel
die Wiederherstellung eines Kunstlebens durchsetzte. Daß die
Barockkunst in Bayern, Oberschwaben und den geistlichen Staaten
am Main und Rhein eines der glänzendsten Kapitel der deutschen
Kunstgeschichte ist, daß in der fremden Formensprache viel
deutsche Gedanken zum Ausdruck kommen, ja daß selbst volks-
tümliche Anpassung nicht fehlte, dieses wird heute nicht mehr
verkannt. Wir haben eher Anlaß vor Überschätzung — nicht
ästhetischer, aber historischer — zu warnen. Die Kunst des
18. Jahrhunderts gehört nicht zu den Mächten, welche die Er-
hebung unseres nationalen Lebens vorbereiteten. Je mehr dieses
sich in seiner eigentümlichen Kraft entfaltete, um so schwächer

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[73/0087] Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte hunderts haben das Wesen der Renaissance niemals begriffen, nur das Äußerlichste ihrer Schale sich angeeignet und willkürlich aufgebraucht. Vielleicht wäre ihnen die durch das neue Problem geforderte Gedankenarbeit zu einem besseren Ende gediehen, wenn nicht zur unglücklichsten Stunde die Reformation die Geister auf ganz andere Zielpunkte abgelenkt hätte. Was die Kunst aus dem Kampfe gegen Veräußerlichung des Religionswesens gewinnen konnte, das hatte sie schon in den letzten vorreformatorischen Jahrzehnten gezeigt, und wir dürfen ohne Klügelei sagen: schon damals war sie reformatorischen Geistes voll. In den Jahren des Streites verschob sich alles zu ihren Ungunsten. Auch ihre zweite Lebensader, die volkstümliche, zeigt sich alsbald nach Nieder- werfung der Bauernbewegung unterbunden. Sie weicht in die Häuser der Reichen und an die Höfe der Fürsten zurück und wird hier zu dem, was für das deutsche Gefühl das wenigst ange- messene ist, zu einer Luxuskunst, einer Verzierung des täglichen Lebens. Die große Schulung und Geschicklichkeit des Hand- werks läßt ihr noch einen gewissen äußeren Glanz — mit den tiefsten Interessen der Nation hat sie keinen Zusammenhang mehr. Dem Dreißigjährigen Kriege blieb nur übrig zu vollenden. — Als der Friede wiederkehrte, waren von volkstümlicher Kunst noch einige verkümmerte Reste übrig, die aber weiterhin aus Nahrungsmangel vollends zugrunde gingen mit einziger Ausnahme des katholischen Südens, wo die Verwüstung nicht so tief ein- gedrungen war, und wo die Kirche mit Aufbietung großer Mittel die Wiederherstellung eines Kunstlebens durchsetzte. Daß die Barockkunst in Bayern, Oberschwaben und den geistlichen Staaten am Main und Rhein eines der glänzendsten Kapitel der deutschen Kunstgeschichte ist, daß in der fremden Formensprache viel deutsche Gedanken zum Ausdruck kommen, ja daß selbst volks- tümliche Anpassung nicht fehlte, dieses wird heute nicht mehr verkannt. Wir haben eher Anlaß vor Überschätzung — nicht ästhetischer, aber historischer — zu warnen. Die Kunst des 18. Jahrhunderts gehört nicht zu den Mächten, welche die Er- hebung unseres nationalen Lebens vorbereiteten. Je mehr dieses sich in seiner eigentümlichen Kraft entfaltete, um so schwächer

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/87>, abgerufen am 24.04.2024.