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Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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jedoch lagen zwei von einander unabhängige Lautüber-
gänge vor, nämlich e wird zu a, und o wird zu a. Die beiden
Vorgänge tragen ihre Wellen in denselben Strom, sind aber
jeder für sich als selbständige Erscheinung zu betrachten.
Hat es nun an und für sich etwas Unglaubliches, dass e
zu a, oder dass o zu a wird? Gewiss nicht. Geht doch
z. B. im Mittelenglischen ae in a, im Neugriechischen o in
gewissen Fällen in a über, wie Curtius S. 106 anführt.
Auch daran darf man nicht Anstoss nehmen, dass e zu a
ward, obgleich schon ein a vorhanden war, und dass es
mit o ebenso ging. Der genau entsprechende Vorgang voll-
zog sich (und zwar auch nach Curtius' Meinung) im Goti-
schen. Das Gotische hat ein indogermanisches i, z. B. in vi-
tum
wir wissen, und verwandelte trotzdem, obgleich da-
durch frühere Unterschiede verwüstet werden, das europäi-
sche e in i (z. B. in ik ego). Ein Gleiches wäre für das o
anzunehmen, welches im Gotischen zu a wurde und mit dem
alten a zusammenfiel. Curtius steht allerdings auf einem
anderen Standpunkt. Ich weiss aber nicht, ob ihm die Be-
merkungen von Möller in Paul und Braune's Beiträgen 7, 482
und Osthoff 8, 281 gegenwärtig gewesen sind. Niemand wird
ferner leugnen, dass das Lateinische massenhafte alte o (wir
wissen noch nicht in welchen Grenzen) zu u verwandelt hat,
so die o der zweiten Declination, obwohl diese nun mit den
alten u zusammenfielen und damit einstens vorhandene rein-
liche Unterschiede aufgehoben wurden. Auch auf dem Ge-
biete der Consonanten hat sich Aehnliches ereignet. Im
Indogermanischen waren nach allgemeiner Annahme tönende
Aspiraten (gh, dh, bh) und tönende Mediae (g, d, b) vor-
handen. Die Kelten haben kein Bedenken getragen, gh,
dh, bh
in Mediae zu verwandeln, so dass diese neuen Mediae
mit den alten zusammenfallen. Das scheinen mir genügende
Analoga für den Uebergang von e in a und o in a. Dabei

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jedoch lagen zwei von einander unabhängige Lautüber-
gänge vor, nämlich e wird zu a, und ο wird zu a. Die beiden
Vorgänge tragen ihre Wellen in denselben Strom, sind aber
jeder für sich als selbständige Erscheinung zu betrachten.
Hat es nun an und für sich etwas Unglaubliches, dass e
zu a, oder dass ο zu a wird? Gewiss nicht. Geht doch
z. B. im Mittelenglischen ae in a, im Neugriechischen ο in
gewissen Fällen in α über, wie Curtius S. 106 anführt.
Auch daran darf man nicht Anstoss nehmen, dass e zu a
ward, obgleich schon ein a vorhanden war, und dass es
mit ο ebenso ging. Der genau entsprechende Vorgang voll-
zog sich (und zwar auch nach Curtius' Meinung) im Goti-
schen. Das Gotische hat ein indogermanisches i, z. B. in vi-
tum
wir wissen, und verwandelte trotzdem, obgleich da-
durch frühere Unterschiede verwüstet werden, das europäi-
sche e in i (z. B. in ik ego). Ein Gleiches wäre für das ο
anzunehmen, welches im Gotischen zu a wurde und mit dem
alten a zusammenfiel. Curtius steht allerdings auf einem
anderen Standpunkt. Ich weiss aber nicht, ob ihm die Be-
merkungen von Möller in Paul und Braune's Beiträgen 7, 482
und Osthoff 8, 281 gegenwärtig gewesen sind. Niemand wird
ferner leugnen, dass das Lateinische massenhafte alte ο (wir
wissen noch nicht in welchen Grenzen) zu u verwandelt hat,
so die ο der zweiten Declination, obwohl diese nun mit den
alten u zusammenfielen und damit einstens vorhandene rein-
liche Unterschiede aufgehoben wurden. Auch auf dem Ge-
biete der Consonanten hat sich Aehnliches ereignet. Im
Indogermanischen waren nach allgemeiner Annahme tönende
Aspiraten (gh, dh, bh) und tönende Mediae (g, d, b) vor-
handen. Die Kelten haben kein Bedenken getragen, gh,
dh, bh
in Mediae zu verwandeln, so dass diese neuen Mediae
mit den alten zusammenfallen. Das scheinen mir genügende
Analoga für den Uebergang von e in a und ο in a. Dabei

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[35/0040] jedoch lagen zwei von einander unabhängige Lautüber- gänge vor, nämlich e wird zu a, und ο wird zu a. Die beiden Vorgänge tragen ihre Wellen in denselben Strom, sind aber jeder für sich als selbständige Erscheinung zu betrachten. Hat es nun an und für sich etwas Unglaubliches, dass e zu a, oder dass ο zu a wird? Gewiss nicht. Geht doch z. B. im Mittelenglischen ae in a, im Neugriechischen ο in gewissen Fällen in α über, wie Curtius S. 106 anführt. Auch daran darf man nicht Anstoss nehmen, dass e zu a ward, obgleich schon ein a vorhanden war, und dass es mit ο ebenso ging. Der genau entsprechende Vorgang voll- zog sich (und zwar auch nach Curtius' Meinung) im Goti- schen. Das Gotische hat ein indogermanisches i, z. B. in vi- tum wir wissen, und verwandelte trotzdem, obgleich da- durch frühere Unterschiede verwüstet werden, das europäi- sche e in i (z. B. in ik ego). Ein Gleiches wäre für das ο anzunehmen, welches im Gotischen zu a wurde und mit dem alten a zusammenfiel. Curtius steht allerdings auf einem anderen Standpunkt. Ich weiss aber nicht, ob ihm die Be- merkungen von Möller in Paul und Braune's Beiträgen 7, 482 und Osthoff 8, 281 gegenwärtig gewesen sind. Niemand wird ferner leugnen, dass das Lateinische massenhafte alte ο (wir wissen noch nicht in welchen Grenzen) zu u verwandelt hat, so die ο der zweiten Declination, obwohl diese nun mit den alten u zusammenfielen und damit einstens vorhandene rein- liche Unterschiede aufgehoben wurden. Auch auf dem Ge- biete der Consonanten hat sich Aehnliches ereignet. Im Indogermanischen waren nach allgemeiner Annahme tönende Aspiraten (gh, dh, bh) und tönende Mediae (g, d, b) vor- handen. Die Kelten haben kein Bedenken getragen, gh, dh, bh in Mediae zu verwandeln, so dass diese neuen Mediae mit den alten zusammenfallen. Das scheinen mir genügende Analoga für den Uebergang von e in a und ο in a. Dabei 3*

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Zitationshilfe: Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/delbrueck_sprachforschung_1885/40>, abgerufen am 19.04.2024.