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Déry, Juliane: Selige Liebe. In: Neue Deutsche Rundschau, VII. Jahrgang, S. 352-359. Berlin, 1896.

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Lustig waten wir im Schnee, uns trägt der weisse Plan. Die Telegraphenstangen surren und singen, bis in den Kern vibrirt das arme Holz. Dichte Flocken wirbeln. Wir sind die reinen Schneemänner. Und hei, wie der Wind uns ins Gesicht schlägt, der Raufbold! Unmöglich, ihn bei Seite zu drängen, so haut er zu, der grobe Strick! Wir schreien vor Lachen und können nicht weiter, vom Schneegestöber eingezwängt. Wie herauskommen?

Und du öffnest die Brust und schlägst den Arm um mich, dass ich im Pelzfutter deines Mantels ganz versinke und um den Wind im Rücken zu haben, schreitest du gen hinten mit leisen, mächtigen Pfoten. Dein Bart bedeckt mein Gesicht wie ein elektrisches Fell, dass ich dich gar nicht sehe und nichts um mich her, nur deine Wärme fühle, deine Urkraft. Deine Brust ist wie ein süsser Herd. Ich höre dein zärtliches Gebrumme an meinen lachenden Ohren. Gieb acht, du erdrückst mich ja mit deinen Tatzen! Bär du, und ich deine Bärin!

* * *

Und unsere kleinen Abendmahle in der altdeutschen Stube, wahre Symposien, so gemütlich amüsant und so lustig feierlich!

Der Wirt macht Katzenbuckel, der Piccolo starrt uns freudig an, er will, glaube ich, Beobachtungen machen. Der Prinzipal winkt ihn ab, das will er schon selbst besorgen. Er ist ganz Ehrfurcht, der arme Mann. Er weiss, wir sind nicht gewöhnliche Menschen, nein Auserwählte, Glückliche. Seine besten Weine empfiehlt er uns und das Teuerste auf der Karte. Nichts dünkt ihm für uns gut genug. Wenn er nur nicht gar so besorgt wäre! Jeden Moment kommt er herbeigeeilt, ob alles in Ordnung? Ja, Herr Wirt, alles ist in Ordnung!

Und du bringst Trinksprüche aus auf dein süsses Lieb und ich lasse meinen Schatz hoch leben. "Sag, warst du je so glücklich?" ragt mein Schatzinko mit strahlendem Gesicht. "Ich noch nie!" tausendmal betheuert ers seiner Schatzinka. So schmausen die verliebten Schlemmer, trinken aus einem Glas, reichen sich die schönsten Bissen, stecken diese sich in den Schnabel und blicken zu tief ins Glas und sich zu tief in die Augen, so dass sie auf dem Heimweg sich ganz beispiellos aufführen und berauscht von Freude und Asti spumante um den Friedhof lachend, tollend herumgehn. Sie wissen ja nicht, wo sie sind, nur dass sie bei einander sind. Dreimal umkreisen sie die Kirchhofsmauer.

"Die Toten kriegen noch den Schwindel!" sagst du, dich besinnend, und machst dumme Witze.

Sieh die starren Gräber in grauer, fahler Nacht! Vom alten Turm hat die Mitternachtsstunde geschlagen. Aber ich fürchte mich nicht. Nicht einmal vor den Toten, so mutig bin ich. So stolz habe ich dich lieb, so heldenmütig, so närrisch! Mit dir lege ich mich auch ins Grab. Doch nicht jetzt. Wenn einmal die Liebe stirbt, dann lassen wir uns begraben. Du denkst nicht dran. "Dazu kommts nie! Das giebts nicht!" und mit der Riesenkraft des Glücklichen, reisst du mich an dich, froh, dass so viel Leben dein und hebst mich in die Höhe mit einem lauten Juchzer -

Du Freudenbringer mit dem Glorienschein, mein süsser heiliger Buhle!

* * *

Lasst euch bekehren, werdet wie wir: Glückanbeter. Es ist wahrste Religion.

Unser Symbol ist die Sonne, unser Beten ein Jubelschrei und unser Rosenkranz ein Kranz aus blühenden Rosen.

Und wir kennen keine Sünde.

* * *

Lustig waten wir im Schnee, uns trägt der weisse Plan. Die Telegraphenstangen surren und singen, bis in den Kern vibrirt das arme Holz. Dichte Flocken wirbeln. Wir sind die reinen Schneemänner. Und hei, wie der Wind uns ins Gesicht schlägt, der Raufbold! Unmöglich, ihn bei Seite zu drängen, so haut er zu, der grobe Strick! Wir schreien vor Lachen und können nicht weiter, vom Schneegestöber eingezwängt. Wie herauskommen?

Und du öffnest die Brust und schlägst den Arm um mich, dass ich im Pelzfutter deines Mantels ganz versinke und um den Wind im Rücken zu haben, schreitest du gen hinten mit leisen, mächtigen Pfoten. Dein Bart bedeckt mein Gesicht wie ein elektrisches Fell, dass ich dich gar nicht sehe und nichts um mich her, nur deine Wärme fühle, deine Urkraft. Deine Brust ist wie ein süsser Herd. Ich höre dein zärtliches Gebrumme an meinen lachenden Ohren. Gieb acht, du erdrückst mich ja mit deinen Tatzen! Bär du, und ich deine Bärin!

* * *

Und unsere kleinen Abendmahle in der altdeutschen Stube, wahre Symposien, so gemütlich amüsant und so lustig feierlich!

Der Wirt macht Katzenbuckel, der Piccolo starrt uns freudig an, er will, glaube ich, Beobachtungen machen. Der Prinzipal winkt ihn ab, das will er schon selbst besorgen. Er ist ganz Ehrfurcht, der arme Mann. Er weiss, wir sind nicht gewöhnliche Menschen, nein Auserwählte, Glückliche. Seine besten Weine empfiehlt er uns und das Teuerste auf der Karte. Nichts dünkt ihm für uns gut genug. Wenn er nur nicht gar so besorgt wäre! Jeden Moment kommt er herbeigeeilt, ob alles in Ordnung? Ja, Herr Wirt, alles ist in Ordnung!

Und du bringst Trinksprüche aus auf dein süsses Lieb und ich lasse meinen Schatz hoch leben. „Sag, warst du je so glücklich?“ ragt mein Schatzinko mit strahlendem Gesicht. „Ich noch nie!“ tausendmal betheuert ers seiner Schatzinka. So schmausen die verliebten Schlemmer, trinken aus einem Glas, reichen sich die schönsten Bissen, stecken diese sich in den Schnabel und blicken zu tief ins Glas und sich zu tief in die Augen, so dass sie auf dem Heimweg sich ganz beispiellos aufführen und berauscht von Freude und Asti spumante um den Friedhof lachend, tollend herumgehn. Sie wissen ja nicht, wo sie sind, nur dass sie bei einander sind. Dreimal umkreisen sie die Kirchhofsmauer.

„Die Toten kriegen noch den Schwindel!“ sagst du, dich besinnend, und machst dumme Witze.

Sieh die starren Gräber in grauer, fahler Nacht! Vom alten Turm hat die Mitternachtsstunde geschlagen. Aber ich fürchte mich nicht. Nicht einmal vor den Toten, so mutig bin ich. So stolz habe ich dich lieb, so heldenmütig, so närrisch! Mit dir lege ich mich auch ins Grab. Doch nicht jetzt. Wenn einmal die Liebe stirbt, dann lassen wir uns begraben. Du denkst nicht dran. „Dazu kommts nie! Das giebts nicht!“ und mit der Riesenkraft des Glücklichen, reisst du mich an dich, froh, dass so viel Leben dein und hebst mich in die Höhe mit einem lauten Juchzer –

Du Freudenbringer mit dem Glorienschein, mein süsser heiliger Buhle!

* * *

Lasst euch bekehren, werdet wie wir: Glückanbeter. Es ist wahrste Religion.

Unser Symbol ist die Sonne, unser Beten ein Jubelschrei und unser Rosenkranz ein Kranz aus blühenden Rosen.

Und wir kennen keine Sünde.

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        <p>Und du öffnest die Brust und schlägst den Arm um mich, dass ich im Pelzfutter deines Mantels ganz versinke und um den Wind im Rücken zu haben, schreitest du gen hinten mit leisen, mächtigen Pfoten. Dein Bart bedeckt mein Gesicht wie ein elektrisches Fell, dass ich dich gar nicht sehe und nichts um mich her, nur deine Wärme fühle, deine Urkraft. Deine Brust ist wie ein süsser Herd. Ich höre dein zärtliches Gebrumme an meinen lachenden Ohren. Gieb acht, du erdrückst mich ja mit deinen Tatzen! Bär du, und ich deine Bärin!</p>
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[357/0006] Lustig waten wir im Schnee, uns trägt der weisse Plan. Die Telegraphenstangen surren und singen, bis in den Kern vibrirt das arme Holz. Dichte Flocken wirbeln. Wir sind die reinen Schneemänner. Und hei, wie der Wind uns ins Gesicht schlägt, der Raufbold! Unmöglich, ihn bei Seite zu drängen, so haut er zu, der grobe Strick! Wir schreien vor Lachen und können nicht weiter, vom Schneegestöber eingezwängt. Wie herauskommen? Und du öffnest die Brust und schlägst den Arm um mich, dass ich im Pelzfutter deines Mantels ganz versinke und um den Wind im Rücken zu haben, schreitest du gen hinten mit leisen, mächtigen Pfoten. Dein Bart bedeckt mein Gesicht wie ein elektrisches Fell, dass ich dich gar nicht sehe und nichts um mich her, nur deine Wärme fühle, deine Urkraft. Deine Brust ist wie ein süsser Herd. Ich höre dein zärtliches Gebrumme an meinen lachenden Ohren. Gieb acht, du erdrückst mich ja mit deinen Tatzen! Bär du, und ich deine Bärin! * * * Und unsere kleinen Abendmahle in der altdeutschen Stube, wahre Symposien, so gemütlich amüsant und so lustig feierlich! Der Wirt macht Katzenbuckel, der Piccolo starrt uns freudig an, er will, glaube ich, Beobachtungen machen. Der Prinzipal winkt ihn ab, das will er schon selbst besorgen. Er ist ganz Ehrfurcht, der arme Mann. Er weiss, wir sind nicht gewöhnliche Menschen, nein Auserwählte, Glückliche. Seine besten Weine empfiehlt er uns und das Teuerste auf der Karte. Nichts dünkt ihm für uns gut genug. Wenn er nur nicht gar so besorgt wäre! Jeden Moment kommt er herbeigeeilt, ob alles in Ordnung? Ja, Herr Wirt, alles ist in Ordnung! Und du bringst Trinksprüche aus auf dein süsses Lieb und ich lasse meinen Schatz hoch leben. „Sag, warst du je so glücklich?“ ragt mein Schatzinko mit strahlendem Gesicht. „Ich noch nie!“ tausendmal betheuert ers seiner Schatzinka. So schmausen die verliebten Schlemmer, trinken aus einem Glas, reichen sich die schönsten Bissen, stecken diese sich in den Schnabel und blicken zu tief ins Glas und sich zu tief in die Augen, so dass sie auf dem Heimweg sich ganz beispiellos aufführen und berauscht von Freude und Asti spumante um den Friedhof lachend, tollend herumgehn. Sie wissen ja nicht, wo sie sind, nur dass sie bei einander sind. Dreimal umkreisen sie die Kirchhofsmauer. „Die Toten kriegen noch den Schwindel!“ sagst du, dich besinnend, und machst dumme Witze. Sieh die starren Gräber in grauer, fahler Nacht! Vom alten Turm hat die Mitternachtsstunde geschlagen. Aber ich fürchte mich nicht. Nicht einmal vor den Toten, so mutig bin ich. So stolz habe ich dich lieb, so heldenmütig, so närrisch! Mit dir lege ich mich auch ins Grab. Doch nicht jetzt. Wenn einmal die Liebe stirbt, dann lassen wir uns begraben. Du denkst nicht dran. „Dazu kommts nie! Das giebts nicht!“ und mit der Riesenkraft des Glücklichen, reisst du mich an dich, froh, dass so viel Leben dein und hebst mich in die Höhe mit einem lauten Juchzer – Du Freudenbringer mit dem Glorienschein, mein süsser heiliger Buhle! * * * Lasst euch bekehren, werdet wie wir: Glückanbeter. Es ist wahrste Religion. Unser Symbol ist die Sonne, unser Beten ein Jubelschrei und unser Rosenkranz ein Kranz aus blühenden Rosen. Und wir kennen keine Sünde. * * *

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Zitationshilfe: Déry, Juliane: Selige Liebe. In: Neue Deutsche Rundschau, VII. Jahrgang, S. 352-359. Berlin, 1896, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dery_liebe_1896/6>, abgerufen am 28.03.2024.