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Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

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Mattigkeit, bald mußte ich wieder aufstehen, schrie immer: "Ach GOtt, ach wie hastu mich wieder in so groß Elend kommen lassen' ich muß vor Durst sterben!" - Meine Zunge war an meinen Gaumen geklebet. Und ich konnte nicht mehr gehen. Nacht war es. Und die wilden Thiere, sonderlich Wölfe, die es in dieser Wildnis viel gab, hörete ich laufen und bellen. Summa: ich war in großer Not. Betete zu GOtt und bereuete meine Thorheit, sonderlich die oft geschehene Trunk-Verschwendung.

Ich zog meinen Rock aus, legte das Bündel unter den Kopf und deckte mich mit dem Rock zu, weil es nachts kalt wurde. Aber umbsonst; ich konnte vor Angst nicht liegen, gedachte alle Augenblick: itzt fällt dich ein Wolf oder Bär an. Doch schien es, als wann GOtt mich stärkete, weil ich wieder gehen konnte.

Und fand einen hohen Zaun. Deß war ich froh. Gedachte, es müsse nun ein Dorf nicht weit sein. Allein es war ein Wildzaun, der durch den Wald ginge, und eine Grenzscheidung. Denn weil ich über den Zaun, und es wieder morgen und dämmrig wurde, sahe, war drüben eine entsetzliche Tiefe, daß (wenn ich wär übergestiegen, wie ich wollte) ich Hals und Bein gebrochen hätte.

Ich ging lange, aber der Zaun wollte kein Ende nehmen, bis es etwas Tag wurde. Und sahe durch den Zaun, weit hinein, einen Bornschwengel und zugleich einen Schlag durch den Zaun gehen.

Ich ward für Freuden ganz stark und eilete, dazu zu kommen, meinen unsäglichen Durst mit Wasser zu stillen. Aber, da ich dahinkam, war kein Eimer dran; viel weniger Wasser im Trog! Das gar Wenige schöpfte ich mit der Hand, und leckete es fast aus den Händen. Doch ward ich des größten Durstes los.

Weil ich nun sehr müde und diese ganze Nacht nicht geschlafen hatte, stund nicht weit davon eine offene Scheune; ich gedachte in derselbigen sicher zu sein und

Mattigkeit, bald mußte ich wieder aufstehen, schrie immer: „Ach GOtt, ach wie hastu mich wieder in so groß Elend kommen lassen’ ich muß vor Durst sterben!“ – Meine Zunge war an meinen Gaumen geklebet. Und ich konnte nicht mehr gehen. Nacht war es. Und die wilden Thiere, sonderlich Wölfe, die es in dieser Wildnis viel gab, hörete ich laufen und bellen. Summa: ich war in großer Not. Betete zu GOtt und bereuete meine Thorheit, sonderlich die oft geschehene Trunk-Verschwendung.

Ich zog meinen Rock aus, legte das Bündel unter den Kopf und deckte mich mit dem Rock zu, weil es nachts kalt wurde. Aber umbsonst; ich konnte vor Angst nicht liegen, gedachte alle Augenblick: itzt fällt dich ein Wolf oder Bär an. Doch schien es, als wann GOtt mich stärkete, weil ich wieder gehen konnte.

Und fand einen hohen Zaun. Deß war ich froh. Gedachte, es müsse nun ein Dorf nicht weit sein. Allein es war ein Wildzaun, der durch den Wald ginge, und eine Grenzscheidung. Denn weil ich über den Zaun, und es wieder morgen und dämmrig wurde, sahe, war drüben eine entsetzliche Tiefe, daß (wenn ich wär übergestiegen, wie ich wollte) ich Hals und Bein gebrochen hätte.

Ich ging lange, aber der Zaun wollte kein Ende nehmen, bis es etwas Tag wurde. Und sahe durch den Zaun, weit hinein, einen Bornschwengel und zugleich einen Schlag durch den Zaun gehen.

Ich ward für Freuden ganz stark und eilete, dazu zu kommen, meinen unsäglichen Durst mit Wasser zu stillen. Aber, da ich dahinkam, war kein Eimer dran; viel weniger Wasser im Trog! Das gar Wenige schöpfte ich mit der Hand, und leckete es fast aus den Händen. Doch ward ich des größten Durstes los.

Weil ich nun sehr müde und diese ganze Nacht nicht geschlafen hatte, stund nicht weit davon eine offene Scheune; ich gedachte in derselbigen sicher zu sein und

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[0116] Mattigkeit, bald mußte ich wieder aufstehen, schrie immer: „Ach GOtt, ach wie hastu mich wieder in so groß Elend kommen lassen’ ich muß vor Durst sterben!“ – Meine Zunge war an meinen Gaumen geklebet. Und ich konnte nicht mehr gehen. Nacht war es. Und die wilden Thiere, sonderlich Wölfe, die es in dieser Wildnis viel gab, hörete ich laufen und bellen. Summa: ich war in großer Not. Betete zu GOtt und bereuete meine Thorheit, sonderlich die oft geschehene Trunk-Verschwendung. Ich zog meinen Rock aus, legte das Bündel unter den Kopf und deckte mich mit dem Rock zu, weil es nachts kalt wurde. Aber umbsonst; ich konnte vor Angst nicht liegen, gedachte alle Augenblick: itzt fällt dich ein Wolf oder Bär an. Doch schien es, als wann GOtt mich stärkete, weil ich wieder gehen konnte. Und fand einen hohen Zaun. Deß war ich froh. Gedachte, es müsse nun ein Dorf nicht weit sein. Allein es war ein Wildzaun, der durch den Wald ginge, und eine Grenzscheidung. Denn weil ich über den Zaun, und es wieder morgen und dämmrig wurde, sahe, war drüben eine entsetzliche Tiefe, daß (wenn ich wär übergestiegen, wie ich wollte) ich Hals und Bein gebrochen hätte. Ich ging lange, aber der Zaun wollte kein Ende nehmen, bis es etwas Tag wurde. Und sahe durch den Zaun, weit hinein, einen Bornschwengel und zugleich einen Schlag durch den Zaun gehen. Ich ward für Freuden ganz stark und eilete, dazu zu kommen, meinen unsäglichen Durst mit Wasser zu stillen. Aber, da ich dahinkam, war kein Eimer dran; viel weniger Wasser im Trog! Das gar Wenige schöpfte ich mit der Hand, und leckete es fast aus den Händen. Doch ward ich des größten Durstes los. Weil ich nun sehr müde und diese ganze Nacht nicht geschlafen hatte, stund nicht weit davon eine offene Scheune; ich gedachte in derselbigen sicher zu sein und

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Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/116>, abgerufen am 23.04.2024.