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Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

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oben aufs Schiff, band ihn auf ein Brett und faßten ihrer vier oder mehr an, sangen dazu: "Hory fond, hory fond, hory fee" - damit schoben sie ihn über Bord ins Meer. Damit schwamm er hin. Ob ihn die Bär'n oder Seehunde gefressen, weiß ich nicht. Aber sein Gespenst ist vielmals aufm Schiff gesehen worden. Davon ich itzo nicht philosophieren will.

Wir gerieten unvermutet mit dem Schiff und Eis, woran wir lagen, in einen Seezug, welcher uns je tiefer und tiefer an den Nordpol, zu äußerst, hineinbrachte: Wie der Steuermann berichtet, in neunzig Grad. Ehe wir es uns versahen, war die Luft ganz dick und dämmrig, daß man sie greifen möchte, waren umb und umb befroren, daß auf viel Meiln nicht eine Handvoll aus der See geschöpfet werden kunnte. Wir sahen keine Sonne, noch Mond noch Stern. Und regete sich kein Wind noch Luft.

Das währete ganzer vier Wochen. Wir sahen einander traurig an. Der Kommandeur, welcher an diesem Unglück schuld war, ließ sich nicht mehr sehen; befürchtet': sie möchten ihn über Bord werfen. - Einer bedaurete sein Weib, der andere seine Kinder und ich meinen Geiz und Vorwitz, daß ich das andere Mal nicht davongeblieben. Da war Not! In summa: jeder sahe hier keine Rettung, und glaubte: wir müßten alle verfrieren, verhungern und umbkommen!

Ich glaube, daß wohl sein Tage kein Schiff soweit hinein an'n Nordpol gekommen. Die Leute sahen schon aus als halbtot, waren ganz verdutzt und brachten die ganze Zeit zu mit Schlafen. Daher sie vom Scharbock sehr erkrankten. Es wurde Rechnung von unserm Vorrat und Proviant gemacht und die Portionen ausgeteilet, so lange es währen konnte. Die Zeit zur Heimreise verlief

oben aufs Schiff, band ihn auf ein Brett und faßten ihrer vier oder mehr an, sangen dazu: „Hory fond, hory fond, hory fee“ – damit schoben sie ihn über Bord ins Meer. Damit schwamm er hin. Ob ihn die Bär’n oder Seehunde gefressen, weiß ich nicht. Aber sein Gespenst ist vielmals aufm Schiff gesehen worden. Davon ich itzo nicht philosophieren will.

Wir gerieten unvermutet mit dem Schiff und Eis, woran wir lagen, in einen Seezug, welcher uns je tiefer und tiefer an den Nordpol, zu äußerst, hineinbrachte: Wie der Steuermann berichtet, in neunzig Grad. Ehe wir es uns versahen, war die Luft ganz dick und dämmrig, daß man sie greifen möchte, waren umb und umb befroren, daß auf viel Meiln nicht eine Handvoll aus der See geschöpfet werden kunnte. Wir sahen keine Sonne, noch Mond noch Stern. Und regete sich kein Wind noch Luft.

Das währete ganzer vier Wochen. Wir sahen einander traurig an. Der Kommandeur, welcher an diesem Unglück schuld war, ließ sich nicht mehr sehen; befürchtet’: sie möchten ihn über Bord werfen. – Einer bedaurete sein Weib, der andere seine Kinder und ich meinen Geiz und Vorwitz, daß ich das andere Mal nicht davongeblieben. Da war Not! In summa: jeder sahe hier keine Rettung, und glaubte: wir müßten alle verfrieren, verhungern und umbkommen!

Ich glaube, daß wohl sein Tage kein Schiff soweit hinein an’n Nordpol gekommen. Die Leute sahen schon aus als halbtot, waren ganz verdutzt und brachten die ganze Zeit zu mit Schlafen. Daher sie vom Scharbock sehr erkrankten. Es wurde Rechnung von unserm Vorrat und Proviant gemacht und die Portionen ausgeteilet, so lange es währen konnte. Die Zeit zur Heimreise verlief

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[0161] oben aufs Schiff, band ihn auf ein Brett und faßten ihrer vier oder mehr an, sangen dazu: „Hory fond, hory fond, hory fee“ – damit schoben sie ihn über Bord ins Meer. Damit schwamm er hin. Ob ihn die Bär’n oder Seehunde gefressen, weiß ich nicht. Aber sein Gespenst ist vielmals aufm Schiff gesehen worden. Davon ich itzo nicht philosophieren will. Wir gerieten unvermutet mit dem Schiff und Eis, woran wir lagen, in einen Seezug, welcher uns je tiefer und tiefer an den Nordpol, zu äußerst, hineinbrachte: Wie der Steuermann berichtet, in neunzig Grad. Ehe wir es uns versahen, war die Luft ganz dick und dämmrig, daß man sie greifen möchte, waren umb und umb befroren, daß auf viel Meiln nicht eine Handvoll aus der See geschöpfet werden kunnte. Wir sahen keine Sonne, noch Mond noch Stern. Und regete sich kein Wind noch Luft. Das währete ganzer vier Wochen. Wir sahen einander traurig an. Der Kommandeur, welcher an diesem Unglück schuld war, ließ sich nicht mehr sehen; befürchtet’: sie möchten ihn über Bord werfen. – Einer bedaurete sein Weib, der andere seine Kinder und ich meinen Geiz und Vorwitz, daß ich das andere Mal nicht davongeblieben. Da war Not! In summa: jeder sahe hier keine Rettung, und glaubte: wir müßten alle verfrieren, verhungern und umbkommen! Ich glaube, daß wohl sein Tage kein Schiff soweit hinein an’n Nordpol gekommen. Die Leute sahen schon aus als halbtot, waren ganz verdutzt und brachten die ganze Zeit zu mit Schlafen. Daher sie vom Scharbock sehr erkrankten. Es wurde Rechnung von unserm Vorrat und Proviant gemacht und die Portionen ausgeteilet, so lange es währen konnte. Die Zeit zur Heimreise verlief

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Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/161>, abgerufen am 19.04.2024.