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Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

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Ich bin einsmals, um dieser Beern und Vögels willen, auf die Gebürge an der See ganz allein gestiegen, da ich mich kaum der großen Vögel, als ich Beeren pflückte, mit dem Stecken erwehren kunnte; denn sie mir immer nach den Kopf fuhren und heftig schrieen,' ohne Zweifel hatten sie Junge, oder Eier, und wollten mich nicht herzulassen.

Als ich mich satt gessen hatte, stieg ich noch höher auf den Felsen an der See, so mich däuchte, daß die Felsen über die untern Wolken gingen. Denn ich wurde bei hellem, klaren Wetter ganz naß, und war wie ein Nebel umb mich und unter mir; bald aber wieder klar. Ich sahe sehr weit ins Meer. Und kam mir vor: daß vom Strand das Meer, gleich einem Berg, immer höher und höher war, und in der Ferne eine kleine Rundung hatte.

Ich satzte mich auf den Absatz der Klippe nieder und betrachtete tief die göttliche Allmacht, Weisheit, Gütigkeit, daß dieses große Wundergebäude alles umb der Menschen willen zum Preis seines heiligen Namens erschaffen. Insonderheit betrachtet' ich die unaussprechliche Liebe GOttes, wie er den armen, gefallenen Menschen durch sich selbst in Jesu Christo (der selbst von dem Vater ist, wie Johannes schreibt, in der Menschwerdung und in der Jungfrau Maria durch seinen Geist in einer heiligen Empfindlichkeit im Blut und Leibe der Jungfrau Maria als wahrer Mensch geboren) wiedrum von des Teufels Tyrannei erlöset. Denn als GOtt konnte die GOttheit nicht leiden, es mutzte ein Mensch sein, und zwar ein vollkommener Mensch, der in Gerechtigkeit und Heiligkeit dargestellet und der Gerechtigkeit GOttes könnte ein Gnüge thun.

Denn da GOtt, der Herr, statt der abgefallenen Engel, sich ein ander Geschöpf, nämlich den Menschen, ihme gleich, erschaffen hatte, und seine Lust, wie ein künstlicher Meister, an seinem gemachten Meisterstücke, wann es ihm wohl

Ich bin einsmals, um dieser Beern und Vögels willen, auf die Gebürge an der See ganz allein gestiegen, da ich mich kaum der großen Vögel, als ich Beeren pflückte, mit dem Stecken erwehren kunnte; denn sie mir immer nach den Kopf fuhren und heftig schrieen,’ ohne Zweifel hatten sie Junge, oder Eier, und wollten mich nicht herzulassen.

Als ich mich satt gessen hatte, stieg ich noch höher auf den Felsen an der See, so mich däuchte, daß die Felsen über die untern Wolken gingen. Denn ich wurde bei hellem, klaren Wetter ganz naß, und war wie ein Nebel umb mich und unter mir; bald aber wieder klar. Ich sahe sehr weit ins Meer. Und kam mir vor: daß vom Strand das Meer, gleich einem Berg, immer höher und höher war, und in der Ferne eine kleine Rundung hatte.

Ich satzte mich auf den Absatz der Klippe nieder und betrachtete tief die göttliche Allmacht, Weisheit, Gütigkeit, daß dieses große Wundergebäude alles umb der Menschen willen zum Preis seines heiligen Namens erschaffen. Insonderheit betrachtet’ ich die unaussprechliche Liebe GOttes, wie er den armen, gefallenen Menschen durch sich selbst in Jesu Christo (der selbst von dem Vater ist, wie Johannes schreibt, in der Menschwerdung und in der Jungfrau Maria durch seinen Geist in einer heiligen Empfindlichkeit im Blut und Leibe der Jungfrau Maria als wahrer Mensch geboren) wiedrum von des Teufels Tyrannei erlöset. Denn als GOtt konnte die GOttheit nicht leiden, es mutzte ein Mensch sein, und zwar ein vollkommener Mensch, der in Gerechtigkeit und Heiligkeit dargestellet und der Gerechtigkeit GOttes könnte ein Gnüge thun.

Denn da GOtt, der Herr, statt der abgefallenen Engel, sich ein ander Geschöpf, nämlich den Menschen, ihme gleich, erschaffen hatte, und seine Lust, wie ein künstlicher Meister, an seinem gemachten Meisterstücke, wann es ihm wohl

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[0169] Ich bin einsmals, um dieser Beern und Vögels willen, auf die Gebürge an der See ganz allein gestiegen, da ich mich kaum der großen Vögel, als ich Beeren pflückte, mit dem Stecken erwehren kunnte; denn sie mir immer nach den Kopf fuhren und heftig schrieen,’ ohne Zweifel hatten sie Junge, oder Eier, und wollten mich nicht herzulassen. Als ich mich satt gessen hatte, stieg ich noch höher auf den Felsen an der See, so mich däuchte, daß die Felsen über die untern Wolken gingen. Denn ich wurde bei hellem, klaren Wetter ganz naß, und war wie ein Nebel umb mich und unter mir; bald aber wieder klar. Ich sahe sehr weit ins Meer. Und kam mir vor: daß vom Strand das Meer, gleich einem Berg, immer höher und höher war, und in der Ferne eine kleine Rundung hatte. Ich satzte mich auf den Absatz der Klippe nieder und betrachtete tief die göttliche Allmacht, Weisheit, Gütigkeit, daß dieses große Wundergebäude alles umb der Menschen willen zum Preis seines heiligen Namens erschaffen. Insonderheit betrachtet’ ich die unaussprechliche Liebe GOttes, wie er den armen, gefallenen Menschen durch sich selbst in Jesu Christo (der selbst von dem Vater ist, wie Johannes schreibt, in der Menschwerdung und in der Jungfrau Maria durch seinen Geist in einer heiligen Empfindlichkeit im Blut und Leibe der Jungfrau Maria als wahrer Mensch geboren) wiedrum von des Teufels Tyrannei erlöset. Denn als GOtt konnte die GOttheit nicht leiden, es mutzte ein Mensch sein, und zwar ein vollkommener Mensch, der in Gerechtigkeit und Heiligkeit dargestellet und der Gerechtigkeit GOttes könnte ein Gnüge thun. Denn da GOtt, der Herr, statt der abgefallenen Engel, sich ein ander Geschöpf, nämlich den Menschen, ihme gleich, erschaffen hatte, und seine Lust, wie ein künstlicher Meister, an seinem gemachten Meisterstücke, wann es ihm wohl

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Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/169>, abgerufen am 23.04.2024.