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Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

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Von Pinneberg mußte ich wieder nach Ütersen. Und da hatte ich immer des Nachtes gefährliche Reisen zu den Patienten auf den Dämmen (womit das ganze Land daherum umbgeben, und die sehr hoch sind; wann der Wind nord-west stürmet, treibt's so hoch, daß oft die Dämme brechen; und das Wasser wohl fünf bis sechs Elln höher als das Land,' und die Leute in großer Gefahr sind; Nacht und Tag ist deswegen Wachte), daß ich nicht Lust hatte, länger zu bleiben.

Indeß trug sich zu, daß der General-Leutenant Demini nach Ütersen kam, dem Herrn Geheimbten Rath von Buchwald, oder vielmehr dessen Liebste - weil der Herr nicht zu Haus und ein alter Herr war, und sie sehr schön - eine Visite zu geben. Als aber ohngefähr der Geheimbte Rath zu Hause kombt und diesen vornehmen Gast findet, waren sie beiderseits darüber erschrocken. Jedoch mußte ihm alle Ehre mit köstlichem Wein und Gastieren erwiesen werden.

Als nun der General Abschied nehmen will, und der Wein und Alteration ihm möchte irr gemacht haben, und will vor der Thür, da ein hoher Tritt, hinten ohne Lehne (wie da gebräuchlich vor den größten und schönsten Häusern ist), Komplimenten mit Scharren und Bücken machen, fällt er hinterrücks herunter und stürzt sich eine große Wunde ins Haupt. Rühret ihn auch zugleich der Schlag, daß er sprachlos, ohne Verstand, wieder ins Haus getragen worden.

Da war das Geschrei nach dem Feldscher! Und wurde ich gleich geholet und mir von allen Zeiten zugeschrieen: ich sollte Hülfe thun.

Erstlich öffnete ich ihm eine Ader auf dem rechten Arm; ließ das Blut wohl laufen. Hernach schor ich ihm

Von Pinneberg mußte ich wieder nach Ütersen. Und da hatte ich immer des Nachtes gefährliche Reisen zu den Patienten auf den Dämmen (womit das ganze Land daherum umbgeben, und die sehr hoch sind; wann der Wind nord-west stürmet, treibt’s so hoch, daß oft die Dämme brechen; und das Wasser wohl fünf bis sechs Elln höher als das Land,’ und die Leute in großer Gefahr sind; Nacht und Tag ist deswegen Wachte), daß ich nicht Lust hatte, länger zu bleiben.

Indeß trug sich zu, daß der General-Leutenant Demini nach Ütersen kam, dem Herrn Geheimbten Rath von Buchwald, oder vielmehr dessen Liebste – weil der Herr nicht zu Haus und ein alter Herr war, und sie sehr schön – eine Visite zu geben. Als aber ohngefähr der Geheimbte Rath zu Hause kombt und diesen vornehmen Gast findet, waren sie beiderseits darüber erschrocken. Jedoch mußte ihm alle Ehre mit köstlichem Wein und Gastieren erwiesen werden.

Als nun der General Abschied nehmen will, und der Wein und Alteration ihm möchte irr gemacht haben, und will vor der Thür, da ein hoher Tritt, hinten ohne Lehne (wie da gebräuchlich vor den größten und schönsten Häusern ist), Komplimenten mit Scharren und Bücken machen, fällt er hinterrücks herunter und stürzt sich eine große Wunde ins Haupt. Rühret ihn auch zugleich der Schlag, daß er sprachlos, ohne Verstand, wieder ins Haus getragen worden.

Da war das Geschrei nach dem Feldscher! Und wurde ich gleich geholet und mir von allen Zeiten zugeschrieen: ich sollte Hülfe thun.

Erstlich öffnete ich ihm eine Ader auf dem rechten Arm; ließ das Blut wohl laufen. Hernach schor ich ihm

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[0189] Von Pinneberg mußte ich wieder nach Ütersen. Und da hatte ich immer des Nachtes gefährliche Reisen zu den Patienten auf den Dämmen (womit das ganze Land daherum umbgeben, und die sehr hoch sind; wann der Wind nord-west stürmet, treibt’s so hoch, daß oft die Dämme brechen; und das Wasser wohl fünf bis sechs Elln höher als das Land,’ und die Leute in großer Gefahr sind; Nacht und Tag ist deswegen Wachte), daß ich nicht Lust hatte, länger zu bleiben. Indeß trug sich zu, daß der General-Leutenant Demini nach Ütersen kam, dem Herrn Geheimbten Rath von Buchwald, oder vielmehr dessen Liebste – weil der Herr nicht zu Haus und ein alter Herr war, und sie sehr schön – eine Visite zu geben. Als aber ohngefähr der Geheimbte Rath zu Hause kombt und diesen vornehmen Gast findet, waren sie beiderseits darüber erschrocken. Jedoch mußte ihm alle Ehre mit köstlichem Wein und Gastieren erwiesen werden. Als nun der General Abschied nehmen will, und der Wein und Alteration ihm möchte irr gemacht haben, und will vor der Thür, da ein hoher Tritt, hinten ohne Lehne (wie da gebräuchlich vor den größten und schönsten Häusern ist), Komplimenten mit Scharren und Bücken machen, fällt er hinterrücks herunter und stürzt sich eine große Wunde ins Haupt. Rühret ihn auch zugleich der Schlag, daß er sprachlos, ohne Verstand, wieder ins Haus getragen worden. Da war das Geschrei nach dem Feldscher! Und wurde ich gleich geholet und mir von allen Zeiten zugeschrieen: ich sollte Hülfe thun. Erstlich öffnete ich ihm eine Ader auf dem rechten Arm; ließ das Blut wohl laufen. Hernach schor ich ihm

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Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/189>, abgerufen am 29.03.2024.