Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

Bild:
<< vorherige Seite

Bisher ist keine Lebensbeschreibung bekannt geworden, die nur annähernd mit solcher Ausführlichkeit wie die folgende Biographie des Meister Johann Dietz von dem bürgerlichen Leben in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts bis hin zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen Kunde brächte. Der Abdruck der alten Handschrift stellt deshalb ein kulturgeschichtliches Denkmal dar.

Meister Johann Dietz gehört als Barbier zur Innung. Mag er noch so weit in der Welt herumgekommen sein: ihm teilte sich sein Leben - ganz nach Handwerksbrauch - in seine Lehrjahre, in die Zeit des Reisens und endlich in seine Meisterschaft, die zeitlich mit seiner Ehe zusammenfiel. Der rechte Barbier, der zugleich ein rechter Chirurg war, blieb, so lange er lebte, ein Meister.

Damals nahm der gelehrte Medikus noch keine chirurgischen Operationen vor. Das war Sache eben des Barbiers. Zwischen dem studierten Doktor, der die Kranken innerlich kurierte, und dem Barbier, der das Amt des Chirurgen versah, war die ärztliche Wissenschaft geteilt. Freilich mußte der Barbier im Notfall auch seinen gelehrten Kollegen, wohl oder übel, vertreten; denn ein Barbier war meistens schneller zu erreichen als die Herren Doktoren.

Der Chirurg hatte an Universitäten noch nichts zu studieren. Er ging in die Barbierstube zum Meister in die Lehre. Er lernte die Kunden bedienen und den Bader verachten, der's nicht wagen sollte, irgendwem den Bart zu putzen oder gar einen Schröpfkopf zu setzen. Kam der Lehrling zu einem Meister, der seine Sache verstand, so war's sein Glück. Der Geselle suchte dann bei einem neuen Herrn Stellung, bediente wieder die Kunden, zog vom zweiten Meister zum dritten, um endlich die rechte Ausbildung als Wundarzt im Kriege und im Felde zu suchen. Denn der Krieg, der täglich neue Aufgaben dem Feldscher stellte, war die beste Schule des Chirurgen.

Diesen regelrechten Weg, die große Kunst zu lernen, ist Dietz gegangen. Er hat als Feldscher den Zug der Brandenburger nach Ungarn mitgemacht, als die Festung Ofen erobert wurde,

Bisher ist keine Lebensbeschreibung bekannt geworden, die nur annähernd mit solcher Ausführlichkeit wie die folgende Biographie des Meister Johann Dietz von dem bürgerlichen Leben in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts bis hin zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen Kunde brächte. Der Abdruck der alten Handschrift stellt deshalb ein kulturgeschichtliches Denkmal dar.

Meister Johann Dietz gehört als Barbier zur Innung. Mag er noch so weit in der Welt herumgekommen sein: ihm teilte sich sein Leben – ganz nach Handwerksbrauch – in seine Lehrjahre, in die Zeit des Reisens und endlich in seine Meisterschaft, die zeitlich mit seiner Ehe zusammenfiel. Der rechte Barbier, der zugleich ein rechter Chirurg war, blieb, so lange er lebte, ein Meister.

Damals nahm der gelehrte Medikus noch keine chirurgischen Operationen vor. Das war Sache eben des Barbiers. Zwischen dem studierten Doktor, der die Kranken innerlich kurierte, und dem Barbier, der das Amt des Chirurgen versah, war die ärztliche Wissenschaft geteilt. Freilich mußte der Barbier im Notfall auch seinen gelehrten Kollegen, wohl oder übel, vertreten; denn ein Barbier war meistens schneller zu erreichen als die Herren Doktoren.

Der Chirurg hatte an Universitäten noch nichts zu studieren. Er ging in die Barbierstube zum Meister in die Lehre. Er lernte die Kunden bedienen und den Bader verachten, der’s nicht wagen sollte, irgendwem den Bart zu putzen oder gar einen Schröpfkopf zu setzen. Kam der Lehrling zu einem Meister, der seine Sache verstand, so war’s sein Glück. Der Geselle suchte dann bei einem neuen Herrn Stellung, bediente wieder die Kunden, zog vom zweiten Meister zum dritten, um endlich die rechte Ausbildung als Wundarzt im Kriege und im Felde zu suchen. Denn der Krieg, der täglich neue Aufgaben dem Feldscher stellte, war die beste Schule des Chirurgen.

Diesen regelrechten Weg, die große Kunst zu lernen, ist Dietz gegangen. Er hat als Feldscher den Zug der Brandenburger nach Ungarn mitgemacht, als die Festung Ofen erobert wurde,

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0007"/>
        <p><hi rendition="#in">B</hi>isher ist keine Lebensbeschreibung bekannt geworden, die nur annähernd mit solcher Ausführlichkeit wie die folgende Biographie des Meister Johann Dietz von dem bürgerlichen Leben in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts bis hin zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen Kunde brächte. Der Abdruck der alten Handschrift stellt deshalb ein kulturgeschichtliches Denkmal dar.</p>
        <p>Meister Johann Dietz gehört als Barbier zur Innung. Mag er noch so weit in der Welt herumgekommen sein: ihm teilte sich sein Leben &#x2013; ganz nach Handwerksbrauch &#x2013; in seine Lehrjahre, in die Zeit des Reisens und endlich in seine Meisterschaft, die zeitlich mit seiner Ehe zusammenfiel. Der rechte Barbier, der zugleich ein rechter Chirurg war, blieb, so lange er lebte, ein Meister.</p>
        <p>Damals nahm der gelehrte Medikus noch keine chirurgischen Operationen vor. Das war Sache eben des Barbiers. Zwischen dem studierten Doktor, der die Kranken innerlich kurierte, und dem Barbier, der das Amt des Chirurgen versah, war die ärztliche Wissenschaft geteilt. Freilich mußte der Barbier im Notfall auch seinen gelehrten Kollegen, wohl oder übel, vertreten; denn ein Barbier war meistens schneller zu erreichen als die Herren Doktoren.</p>
        <p>Der Chirurg hatte an Universitäten noch nichts zu studieren. Er ging in die Barbierstube zum Meister in die Lehre. Er lernte die Kunden bedienen und den Bader verachten, der&#x2019;s nicht wagen sollte, irgendwem den Bart zu putzen oder gar einen Schröpfkopf zu setzen. Kam der Lehrling zu einem Meister, der seine Sache verstand, so war&#x2019;s sein Glück. Der Geselle suchte dann bei einem neuen Herrn Stellung, bediente wieder die Kunden, zog vom zweiten Meister zum dritten, um endlich die rechte Ausbildung als Wundarzt im Kriege und im Felde zu suchen. Denn der Krieg, der täglich neue Aufgaben dem Feldscher stellte, war die beste Schule des Chirurgen.</p>
        <p>Diesen regelrechten Weg, die große Kunst zu lernen, ist Dietz gegangen. Er hat als Feldscher den Zug der Brandenburger nach Ungarn mitgemacht, als die Festung Ofen erobert wurde,
</p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0007] Bisher ist keine Lebensbeschreibung bekannt geworden, die nur annähernd mit solcher Ausführlichkeit wie die folgende Biographie des Meister Johann Dietz von dem bürgerlichen Leben in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts bis hin zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen Kunde brächte. Der Abdruck der alten Handschrift stellt deshalb ein kulturgeschichtliches Denkmal dar. Meister Johann Dietz gehört als Barbier zur Innung. Mag er noch so weit in der Welt herumgekommen sein: ihm teilte sich sein Leben – ganz nach Handwerksbrauch – in seine Lehrjahre, in die Zeit des Reisens und endlich in seine Meisterschaft, die zeitlich mit seiner Ehe zusammenfiel. Der rechte Barbier, der zugleich ein rechter Chirurg war, blieb, so lange er lebte, ein Meister. Damals nahm der gelehrte Medikus noch keine chirurgischen Operationen vor. Das war Sache eben des Barbiers. Zwischen dem studierten Doktor, der die Kranken innerlich kurierte, und dem Barbier, der das Amt des Chirurgen versah, war die ärztliche Wissenschaft geteilt. Freilich mußte der Barbier im Notfall auch seinen gelehrten Kollegen, wohl oder übel, vertreten; denn ein Barbier war meistens schneller zu erreichen als die Herren Doktoren. Der Chirurg hatte an Universitäten noch nichts zu studieren. Er ging in die Barbierstube zum Meister in die Lehre. Er lernte die Kunden bedienen und den Bader verachten, der’s nicht wagen sollte, irgendwem den Bart zu putzen oder gar einen Schröpfkopf zu setzen. Kam der Lehrling zu einem Meister, der seine Sache verstand, so war’s sein Glück. Der Geselle suchte dann bei einem neuen Herrn Stellung, bediente wieder die Kunden, zog vom zweiten Meister zum dritten, um endlich die rechte Ausbildung als Wundarzt im Kriege und im Felde zu suchen. Denn der Krieg, der täglich neue Aufgaben dem Feldscher stellte, war die beste Schule des Chirurgen. Diesen regelrechten Weg, die große Kunst zu lernen, ist Dietz gegangen. Er hat als Feldscher den Zug der Brandenburger nach Ungarn mitgemacht, als die Festung Ofen erobert wurde,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Projekt Gutenberg-DE: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-28T07:11:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frank Wiegand: Bearbeitung der digitalen Edition (2012-09-04T07:11:29Z)
Frederike Neuber: Überarbeitung der digitalen Edition (2014-01-10T14:11:29Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-28T07:11:29Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Rundes r (ꝛ) wird als normales r (r) wiedergegeben bzw. in der Kombination ꝛc. als et (etc.) aufgelöst.
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/7
Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/7>, abgerufen am 28.03.2024.