Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Unerweisbarkeit einer inhaltlichen Vorstellung d. Weltzusammenhangs. keine Aehnlichkeit zwischen solchen Atomen und den psychischenEinheiten, welche als unvergleichbare Individuen in den Weltlauf eintreten, in ihm lebendig innere Veränderungen erfahren und wieder aus ihm verschwinden, stattfindet. Sonach enthalten die letzten Begriffe, zu denen die Wissenschaften des Wirklichen gelangen, nicht die Einheit des Weltlaufs. -- Sind doch auch weder Atome noch Gesetze reale Subjekte des Naturvorgangs. Denn die Sub- jekte, welche die Gesellschaft bilden, sind uns gegeben, dagegen das Subjekt der Natur oder die Mehrheit von Subjekten der- selben nicht, sondern wir besitzen nur das Bild des Naturlaufs und die Erkenntniß seines äußeren Zusammenhangs. Nun ist aber dieser Naturlauf selber sammt seinem Zusammenhang nur Phänomen für unser Bewußtsein. Die Subjekte, die wir ihm als Massentheilchen unterlegen, gehören also ebenfalls der Phänomena- lität an. Sie sind nur Hilfsbegriffe für die Vorstellung des Zusammenhangs in einem System der prädikativen Bestimmungen, welche die Natur ausmachen: der Eigenschaften, Beziehungen, Veränderungen, Bewegungen. Sie sind daher nur ein Theil des Systems prädikativer Bestimmungen, deren reales Subjekt unbe- kannt bleibt. Eine Metaphysik, welche zu verzichten weiß und nur die Die Metaphysik überwindet nicht die Relativität des Dilthey, Einleitung. 33
Unerweisbarkeit einer inhaltlichen Vorſtellung d. Weltzuſammenhangs. keine Aehnlichkeit zwiſchen ſolchen Atomen und den pſychiſchenEinheiten, welche als unvergleichbare Individuen in den Weltlauf eintreten, in ihm lebendig innere Veränderungen erfahren und wieder aus ihm verſchwinden, ſtattfindet. Sonach enthalten die letzten Begriffe, zu denen die Wiſſenſchaften des Wirklichen gelangen, nicht die Einheit des Weltlaufs. — Sind doch auch weder Atome noch Geſetze reale Subjekte des Naturvorgangs. Denn die Sub- jekte, welche die Geſellſchaft bilden, ſind uns gegeben, dagegen das Subjekt der Natur oder die Mehrheit von Subjekten der- ſelben nicht, ſondern wir beſitzen nur das Bild des Naturlaufs und die Erkenntniß ſeines äußeren Zuſammenhangs. Nun iſt aber dieſer Naturlauf ſelber ſammt ſeinem Zuſammenhang nur Phänomen für unſer Bewußtſein. Die Subjekte, die wir ihm als Maſſentheilchen unterlegen, gehören alſo ebenfalls der Phänomena- lität an. Sie ſind nur Hilfsbegriffe für die Vorſtellung des Zuſammenhangs in einem Syſtem der prädikativen Beſtimmungen, welche die Natur ausmachen: der Eigenſchaften, Beziehungen, Veränderungen, Bewegungen. Sie ſind daher nur ein Theil des Syſtems prädikativer Beſtimmungen, deren reales Subjekt unbe- kannt bleibt. Eine Metaphyſik, welche zu verzichten weiß und nur die Die Metaphyſik überwindet nicht die Relativität des Dilthey, Einleitung. 33
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Unerweisbarkeit einer inhaltlichen Vorſtellung d. Weltzuſammenhangs.
keine Aehnlichkeit zwiſchen ſolchen Atomen und den pſychiſchen
Einheiten, welche als unvergleichbare Individuen in den Weltlauf
eintreten, in ihm lebendig innere Veränderungen erfahren und
wieder aus ihm verſchwinden, ſtattfindet. Sonach enthalten die
letzten Begriffe, zu denen die Wiſſenſchaften des Wirklichen gelangen,
nicht die Einheit des Weltlaufs. — Sind doch auch weder Atome
noch Geſetze reale Subjekte des Naturvorgangs. Denn die Sub-
jekte, welche die Geſellſchaft bilden, ſind uns gegeben, dagegen
das Subjekt der Natur oder die Mehrheit von Subjekten der-
ſelben nicht, ſondern wir beſitzen nur das Bild des Naturlaufs
und die Erkenntniß ſeines äußeren Zuſammenhangs. Nun iſt
aber dieſer Naturlauf ſelber ſammt ſeinem Zuſammenhang nur
Phänomen für unſer Bewußtſein. Die Subjekte, die wir ihm als
Maſſentheilchen unterlegen, gehören alſo ebenfalls der Phänomena-
lität an. Sie ſind nur Hilfsbegriffe für die Vorſtellung des
Zuſammenhangs in einem Syſtem der prädikativen Beſtimmungen,
welche die Natur ausmachen: der Eigenſchaften, Beziehungen,
Veränderungen, Bewegungen. Sie ſind daher nur ein Theil des
Syſtems prädikativer Beſtimmungen, deren reales Subjekt unbe-
kannt bleibt.
Eine Metaphyſik, welche zu verzichten weiß und nur die
letzten Begriffe, zu welchen die Erfahrungswiſſen-
ſchaften gelangen, zu einem vorſtellbaren Ganzen ver-
knüpfen will, kann weder die Relativität des Erfahrungskreiſes,
den dieſe Begriffe darſtellen, noch die des Standorts und der Ver-
faſſung der Intelligenz, welche die Erfahrungen zu einem Ganzen
vereinigt, jemals überwinden. Indem wir dies erweiſen, zeigt ſich
von zwei neuen Seiten: Metaphyſik als Wiſſenſchaft iſt unmöglich.
Die Metaphyſik überwindet nicht die Relativität des
Erfahrungskreiſes, aus dem ihre Begriffe gewonnen ſind.
In den letzten Begriffen der Wiſſenſchaften werden für die be-
ſtimmte Zahl gegebener phänomenaler Thatbeſtände, welche das
Syſtem unſerer Erfahrung bilden, Bedingungen ihrer Denkbarkeit
aufgeſtellt. Nun hat die Vorſtellung von dieſen Bedingungen ſich
mit der Zunahme unſerer Erfahrungen geändert. So war ein
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