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Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.

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höchst zusammengesetzt, die Momente der inneren Form, nach pdi_466.002
welchen ihre Zusammenfügung stattfindet, sind sehr mannigfach; pdi_466.003
Reinheit und Grösse des Eindrucks sind von diesem Allen bedingt: pdi_466.004
aber schliesslich ist derselbe abhängig von dem inneren pdi_466.005
Zusammenhang, welcher zwischen einem geschichtlich pdi_466.006
erwachsenen Gehalt
und der ihm zugehörigen pdi_466.007
Form
besteht. Die Principien des Eindrucks und ihre regelrechte pdi_466.008
Verknüpfung zur inneren Form durchwirken das ganze pdi_466.009
Werk: aber den Charakter der grossen Kunst giebt ihm der pdi_466.010
Zusammenhang, in welchem diese Form sich als untrennbar pdi_466.011
zugehörig zu einem geschichtlich erwachsenen, mächtigen Gehalt pdi_466.012
erweist.

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So ergiebt sich der erste Satz, welcher die Geschichtlichkeit pdi_466.014
der Technik entwickelt. Er drückt unseren Gegensatz pdi_466.015
gegen jede formalistische, aber auch gegen jede im Sinne pdi_466.016
Fechner's aus Wirkungselementen summirende Aesthetik aus.

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Aus den Principien des poetischen Eindrucks und pdi_466.018
aus den wirksamen Möglichkeiten der Verknüpfung pdi_466.019
eindrucksvoller Bestandtheile zu einer inneren Form pdi_466.020
entsteht der technische Zusammenhang des dichterischen pdi_466.021
Werkes, indem ein geschichtlich erwachsener Gehalt mit pdi_466.022
diesen Mitteln die ihm zugehörige Form ausbildet.

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2. Wir möchten in das Wesen dieser Geschichtlichkeit der pdi_466.024
poetischen Technik eindringen und die Beziehung zwischen dem pdi_466.025
historisch erwachsenen Gehalt und seiner Form genauer erfassen.

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Dieser Gehalt stellt sich als eine Einheit dar. Daher pdi_466.027
konnte der Gedanke entstehen, der Zusammenhang der Geschichte pdi_466.028
könne in logischen Beziehungen zwischen einheitlichen pdi_466.029
Standpunkten entwickelt werden. So haben die Hegelianer das pdi_466.030
Verständniss der neueren Philosophie durch die Fiction der logischen pdi_466.031
Entfaltung eines Standpunktes aus dem andern verdorben. pdi_466.032
In Wirklichkeit enthält eine geschichtliche Lage pdi_466.033
zunächst ein Mannigfaches von particularen Thatsachen. pdi_466.034
Sie stehen spröde nebeneinander und lassen sich pdi_466.035
nicht aufeinander zurückführen. Sind sie doch die Folgen von pdi_466.036
Gegebenheiten in der ursprünglichen Vertheilung von Wasser

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höchst zusammengesetzt, die Momente der inneren Form, nach pdi_466.002
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entsteht der technische Zusammenhang des dichterischen pdi_466.021
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diesen Mitteln die ihm zugehörige Form ausbildet.

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  2. Wir möchten in das Wesen dieser Geschichtlichkeit der pdi_466.024
poetischen Technik eindringen und die Beziehung zwischen dem pdi_466.025
historisch erwachsenen Gehalt und seiner Form genauer erfassen.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482, hier S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887/168>, abgerufen am 28.03.2024.