pdi_321.001 oder virtuelle Untersuchung suchte auch hier, wie auf dem Gebiete pdi_321.002 der Religion, des Rechts, des Wissens, die Kraft oder pdi_321.003 Function zu bestimmen, aus welcher Kunst und Dichtung entspringen. pdi_321.004 Schon Baco und Hobbes, darin ächte Zeitgenossen pdi_321.005 Shakespeares und seiner Schule, erblickten diese Kraft in der pdi_321.006 Phantasie. Addison erkannte in der Einbildungskraft das Vermögen, pdi_321.007 welches den besonderen Grund dichterischer Gebilde pdi_321.008 enthält: eine Art von erweitertem Gesichtssinn, der Ungegenwärtiges pdi_321.009 vergegenwärtigt. David Young, Shaftesbury, Dubos, der pdi_321.010 lange nicht genug Gewürdigte, haben aus diesem schaffenden pdi_321.011 Vermögen die Grundzüge einer neuen Aesthetik abgeleitet. In pdi_321.012 Deutschland wurde diese Aesthetik dann ein systematisches pdi_321.013 Ganzes. Sie ging aus vom schaffenden Vermögen im Menschen, pdi_321.014 ja in der ganzen Natur, dessen Hervorbringung die Schönheit pdi_321.015 ist. Was die deutsche Aesthetik, als die höchste Leistung auf pdi_321.016 diesem Standort, für den Fortschritt der Poetik gewesen ist, wiefern pdi_321.017 sie aber doch auch der Ergänzung bedarf, ist nun kurz zu beschreiben.
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Die Leistungen dieser deutschen Aesthetik können aber nur pdi_321.020 richtig geschätzt werden, wenn sie nicht allein in den abstracten pdi_321.021 Systemen, sondern auch in der lebendigen Beobachtung und Discussion, pdi_321.022 in Herders früheren Schriften, in Goethes und Schillers pdi_321.023 ganzer Lebensarbeit, in den literarischen und kritischen Leistungen pdi_321.024 der Schlegel u. s. w. aufgesucht werden. Die historisch-kritischen pdi_321.025 Arbeiten von Zimmermann und Lotze suchen die Förderung des pdi_321.026 ästhetischen Wissens auf diesem Höhepunkte unsrer Dichtung pdi_321.027 in den Theorien, die am meisten abstract und am meisten pdi_321.028 streitig sind. Die wirkliche Bedeutung dieser Aesthetik für die pdi_321.029 Interessen der Dichtung bestand doch darin, dass hier auf der pdi_321.030 Höhe unserer Poesie die Dichter und die Philosophen sich pdi_321.031 über die hervorbringende Kraft, das Ziel und die Mittel der pdi_321.032 Dichtung besannen. Die deutsche Poetik dieser Zeit muss als pdi_321.033 ein Zusammenhang erkannt werden, der von den allgemeinsten pdi_321.034 ästhetischen Principien bis in die technischen Feststellungen pdi_321.035 zwischen Goethe und Schiller sowie in die Analysen von Form pdi_321.036 und Composition bei den Schlegel und Schleiermacher reichte,
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Die Leistungen dieser deutschen Aesthetik können aber nur pdi_321.020 richtig geschätzt werden, wenn sie nicht allein in den abstracten pdi_321.021 Systemen, sondern auch in der lebendigen Beobachtung und Discussion, pdi_321.022 in Herders früheren Schriften, in Goethes und Schillers pdi_321.023 ganzer Lebensarbeit, in den literarischen und kritischen Leistungen pdi_321.024 der Schlegel u. s. w. aufgesucht werden. Die historisch-kritischen pdi_321.025 Arbeiten von Zimmermann und Lotze suchen die Förderung des pdi_321.026 ästhetischen Wissens auf diesem Höhepunkte unsrer Dichtung pdi_321.027 in den Theorien, die am meisten abstract und am meisten pdi_321.028 streitig sind. Die wirkliche Bedeutung dieser Aesthetik für die pdi_321.029 Interessen der Dichtung bestand doch darin, dass hier auf der pdi_321.030 Höhe unserer Poesie die Dichter und die Philosophen sich pdi_321.031 über die hervorbringende Kraft, das Ziel und die Mittel der pdi_321.032 Dichtung besannen. Die deutsche Poetik dieser Zeit muss als pdi_321.033 ein Zusammenhang erkannt werden, der von den allgemeinsten pdi_321.034 ästhetischen Principien bis in die technischen Feststellungen pdi_321.035 zwischen Goethe und Schiller sowie in die Analysen von Form pdi_321.036 und Composition bei den Schlegel und Schleiermacher reichte,
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Shakespeares und seiner Schule, erblickten diese Kraft in der pdi_321.006
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welches den besonderen Grund dichterischer Gebilde pdi_321.008
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Die Leistungen dieser deutschen Aesthetik können aber nur pdi_321.020
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Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482, hier S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887/23>, abgerufen am 16.05.2022.
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