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Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Sieh -- sieh, da hast du Recht, was die Kinder heute klug sind! Na, na, zieh dein Sonntagsgut aus und wecke das Volk.

III.
Amandus Twistbrink, geborner Slootmann.

Eine Bauernerbin wie Anntrin durfte keine intime Freundinnen oder vertraute Bekannte haben, denen sie sagte, unter welchem Drucke sie und ihre Leute lebten; die alte aristokratische Devise "Ich hoffe Neid" war die Richtschnur, welche die Bevorzugten um jeden Preis inne zu halten hatten, und wie viel Glanz hätte das Geständniß verwischt: Sanne Möhe giebt uns ihr Geld, aber sie nimmt uns jede Freude, jede Freiheit! -- Nein, Anntrin hätte sie nicht über die Lippen gebracht, diese schreckliche Wahrheit, auch wenn nicht die Wahrscheinlichkeit nahe läge, irgend ein liebedienernder Zuträger würde der Alten Alles brühwarm überbringen. Dennoch besaß Anntrin hinter dem Rücken der Muhme, ja mit ihr unter demselben Dache, einen Vertrauten und Verbündeten. Dieser eben so vorsichtige als treue Parteigänger war ihr Vater. Wenn der stille, willenlose Mann auch keine Macht hatte, sein Kind zu beschützen, so hatte er doch ein redliches Herz, sie zu lieben! Die Beiden, Vater und Tochter, hatten seit den fünfundzwanzig Jahren, die Anntrin lebte, über-

Sieh — sieh, da hast du Recht, was die Kinder heute klug sind! Na, na, zieh dein Sonntagsgut aus und wecke das Volk.

III.
Amandus Twistbrink, geborner Slootmann.

Eine Bauernerbin wie Anntrin durfte keine intime Freundinnen oder vertraute Bekannte haben, denen sie sagte, unter welchem Drucke sie und ihre Leute lebten; die alte aristokratische Devise „Ich hoffe Neid“ war die Richtschnur, welche die Bevorzugten um jeden Preis inne zu halten hatten, und wie viel Glanz hätte das Geständniß verwischt: Sanne Möhe giebt uns ihr Geld, aber sie nimmt uns jede Freude, jede Freiheit! — Nein, Anntrin hätte sie nicht über die Lippen gebracht, diese schreckliche Wahrheit, auch wenn nicht die Wahrscheinlichkeit nahe läge, irgend ein liebedienernder Zuträger würde der Alten Alles brühwarm überbringen. Dennoch besaß Anntrin hinter dem Rücken der Muhme, ja mit ihr unter demselben Dache, einen Vertrauten und Verbündeten. Dieser eben so vorsichtige als treue Parteigänger war ihr Vater. Wenn der stille, willenlose Mann auch keine Macht hatte, sein Kind zu beschützen, so hatte er doch ein redliches Herz, sie zu lieben! Die Beiden, Vater und Tochter, hatten seit den fünfundzwanzig Jahren, die Anntrin lebte, über-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:59:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:59:48Z)

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Zitationshilfe: Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dincklage_striethast_1910/20>, abgerufen am 19.04.2024.