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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783.

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bürgerlichen Gesellschaft Anspruch machen
können. Die Juden sind nur aufgenommene
fremde Flüchtlinge, die Schutz, aber nicht
Rechte verlangen können. Wolte man sie den
ältern, einheimischen Gliedern der Gesellschaft
gleich machen, so würden sie sich zu sehr ver-
mehren und diese verdrängen. Unsere meisten
gegenwärtigen Staaten sind von erobernden
Völkern gestiftet worden, die alten Einwoh-
ner derselben, unter denen auch die Juden wa-
ren, können also nicht mehr Rechte verlangen,
als sie bey der Eroberung besaßen.

Wenn ich nicht sehr irre, beruhet dieser Ein-
wurf auf nicht genug entwickelten Begriffen von der
Natur und dem Wesen einer bürgerlichen Gesell-
schaft, von ihrem Zweck und Interesse und dem
wahren Wohl ihrer Glieder. Auch ich halte es für
eine ausgemachte Wahrheit, daß der Staat nur aus
denen bestehe, welche das Eigenthum des Landes,
in dem er errichtet ist, besitzen oder Rechte an dassel-
be erworben haben. Land ist das sicherste und dau-
erudste Eigenthum, daher erscheinen dessen Besitzer
vorzüglich als die wichtigsten, ersten und bleibendsten
Bürger. Sonst müssen freylich auch die, welche
überhaupt Vermögen im Staate besitzen, seine Lasten

tragen

buͤrgerlichen Geſellſchaft Anſpruch machen
koͤnnen. Die Juden ſind nur aufgenommene
fremde Fluͤchtlinge, die Schutz, aber nicht
Rechte verlangen koͤnnen. Wolte man ſie den
aͤltern, einheimiſchen Gliedern der Geſellſchaft
gleich machen, ſo wuͤrden ſie ſich zu ſehr ver-
mehren und dieſe verdraͤngen. Unſere meiſten
gegenwaͤrtigen Staaten ſind von erobernden
Voͤlkern geſtiftet worden, die alten Einwoh-
ner derſelben, unter denen auch die Juden wa-
ren, koͤnnen alſo nicht mehr Rechte verlangen,
als ſie bey der Eroberung beſaßen.

Wenn ich nicht ſehr irre, beruhet dieſer Ein-
wurf auf nicht genug entwickelten Begriffen von der
Natur und dem Weſen einer buͤrgerlichen Geſell-
ſchaft, von ihrem Zweck und Intereſſe und dem
wahren Wohl ihrer Glieder. Auch ich halte es fuͤr
eine ausgemachte Wahrheit, daß der Staat nur aus
denen beſtehe, welche das Eigenthum des Landes,
in dem er errichtet iſt, beſitzen oder Rechte an daſſel-
be erworben haben. Land iſt das ſicherſte und dau-
erudſte Eigenthum, daher erſcheinen deſſen Beſitzer
vorzuͤglich als die wichtigſten, erſten und bleibendſten
Buͤrger. Sonſt muͤſſen freylich auch die, welche
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[155/0163] buͤrgerlichen Geſellſchaft Anſpruch machen koͤnnen. Die Juden ſind nur aufgenommene fremde Fluͤchtlinge, die Schutz, aber nicht Rechte verlangen koͤnnen. Wolte man ſie den aͤltern, einheimiſchen Gliedern der Geſellſchaft gleich machen, ſo wuͤrden ſie ſich zu ſehr ver- mehren und dieſe verdraͤngen. Unſere meiſten gegenwaͤrtigen Staaten ſind von erobernden Voͤlkern geſtiftet worden, die alten Einwoh- ner derſelben, unter denen auch die Juden wa- ren, koͤnnen alſo nicht mehr Rechte verlangen, als ſie bey der Eroberung beſaßen. Wenn ich nicht ſehr irre, beruhet dieſer Ein- wurf auf nicht genug entwickelten Begriffen von der Natur und dem Weſen einer buͤrgerlichen Geſell- ſchaft, von ihrem Zweck und Intereſſe und dem wahren Wohl ihrer Glieder. Auch ich halte es fuͤr eine ausgemachte Wahrheit, daß der Staat nur aus denen beſtehe, welche das Eigenthum des Landes, in dem er errichtet iſt, beſitzen oder Rechte an daſſel- be erworben haben. Land iſt das ſicherſte und dau- erudſte Eigenthum, daher erſcheinen deſſen Beſitzer vorzuͤglich als die wichtigſten, erſten und bleibendſten Buͤrger. Sonſt muͤſſen freylich auch die, welche uͤberhaupt Vermoͤgen im Staate beſitzen, ſeine Laſten tragen

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Zitationshilfe: Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/163>, abgerufen am 19.04.2024.