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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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Wüßt' ich die tausend Punkte nur zu nennen,
Die drüben lauschen aus dem Waldrevier,
Mich dünkt, mit freiem Auge müßt' ich kennen
Den Sennen, tretend aus der Hüttenthür;
Ob meilenweit, nicht seltsam würd' ich's finden,
Säh' in die Schluchten ich den Jäger schwinden,
Und auf der Klippe das verfolgte Thier.
So klar, ein stählern Band, die Thur sich windet,
Und wie ich lauschend späh' von meiner Höh',
Ein einz'ger Blick mir zwölf Kantone bindet;
Wo drüben zitternd ruht der Bodensee,
Wo längs dem Strand die Wimpel lässig gleiten,
Vier Königreiche seh' ich dort sich breiten,
Erfüllt ist Alles, ohne Traum und Fee.
Mein stolzer edler Grund, dich möcht' ich nennen:
Mein königlich, mein kaiserliches Land!
Wer mag dein Bild von deinen Gletschern trennen,
Doch Lieb'res ich in deinen Thälern fand; --
Was klinkt an meiner Thür nach Geisterweise?
Horch: "Guten Morgen, Nette," flüstert's leise
Und meine Emma bietet mir die Hand! --

Wüßt’ ich die tauſend Punkte nur zu nennen,
Die drüben lauſchen aus dem Waldrevier,
Mich dünkt, mit freiem Auge müßt’ ich kennen
Den Sennen, tretend aus der Hüttenthür;
Ob meilenweit, nicht ſeltſam würd’ ich’s finden,
Säh’ in die Schluchten ich den Jäger ſchwinden,
Und auf der Klippe das verfolgte Thier.
So klar, ein ſtählern Band, die Thur ſich windet,
Und wie ich lauſchend ſpäh’ von meiner Höh’,
Ein einz’ger Blick mir zwölf Kantone bindet;
Wo drüben zitternd ruht der Bodenſee,
Wo längs dem Strand die Wimpel läſſig gleiten,
Vier Königreiche ſeh’ ich dort ſich breiten,
Erfüllt iſt Alles, ohne Traum und Fee.
Mein ſtolzer edler Grund, dich möcht’ ich nennen:
Mein königlich, mein kaiſerliches Land!
Wer mag dein Bild von deinen Gletſchern trennen,
Doch Lieb’res ich in deinen Thälern fand; —
Was klinkt an meiner Thür nach Geiſterweiſe?
Horch: „Guten Morgen, Nette,“ flüſtert’s leiſe
Und meine Emma bietet mir die Hand! —

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[114/0130] Wüßt’ ich die tauſend Punkte nur zu nennen, Die drüben lauſchen aus dem Waldrevier, Mich dünkt, mit freiem Auge müßt’ ich kennen Den Sennen, tretend aus der Hüttenthür; Ob meilenweit, nicht ſeltſam würd’ ich’s finden, Säh’ in die Schluchten ich den Jäger ſchwinden, Und auf der Klippe das verfolgte Thier. So klar, ein ſtählern Band, die Thur ſich windet, Und wie ich lauſchend ſpäh’ von meiner Höh’, Ein einz’ger Blick mir zwölf Kantone bindet; Wo drüben zitternd ruht der Bodenſee, Wo längs dem Strand die Wimpel läſſig gleiten, Vier Königreiche ſeh’ ich dort ſich breiten, Erfüllt iſt Alles, ohne Traum und Fee. Mein ſtolzer edler Grund, dich möcht’ ich nennen: Mein königlich, mein kaiſerliches Land! Wer mag dein Bild von deinen Gletſchern trennen, Doch Lieb’res ich in deinen Thälern fand; — Was klinkt an meiner Thür nach Geiſterweiſe? Horch: „Guten Morgen, Nette,“ flüſtert’s leiſe Und meine Emma bietet mir die Hand! —

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/130>, abgerufen am 25.04.2024.