Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Die Schatten stiegen, drängten finster ein;
Wo weilst du, weilst du denn mein milder Schein?
Sie drangen ein wie sündige Gedanken,
Des Firmamentes Woge schien zu schwanken;
Verzitternd losch der Feuerfliege Funken,
Längst die Phaläne war zum Grund gesunken;
Nur Bergeshäupter stiegen hart empor,
Ein düstrer Richterkreis im Düster vor.
Es visperten die Wipfel mir am Fuß,
Wie Warnungsflüstern oder Todesgruß;
Ein Summen aus des Seees weitem Thale,
Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;
Mir war, als müsse etwas Rechnung geben
Von todten Pfunden, von verträumtem Leben,
Als stehe ein verkümmert Herz allein,
Einsam mit seiner Schuld und seiner Pein.
Da auf die Wasser sank ein Silberflor,
Und langsam stieg die Mondesscheib' empor,
Der Alpen finstre Stirnen strich sie leise,
Und aus den Richtern wurden sanfte Greise;
Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,
An jedem Blatte sah ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimathlampe Schein.
Die Schatten ſtiegen, drängten finſter ein;
Wo weilſt du, weilſt du denn mein milder Schein?
Sie drangen ein wie ſündige Gedanken,
Des Firmamentes Woge ſchien zu ſchwanken;
Verzitternd loſch der Feuerfliege Funken,
Längſt die Phaläne war zum Grund geſunken;
Nur Bergeshäupter ſtiegen hart empor,
Ein düſtrer Richterkreis im Düſter vor.
Es visperten die Wipfel mir am Fuß,
Wie Warnungsflüſtern oder Todesgruß;
Ein Summen aus des Seees weitem Thale,
Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;
Mir war, als müſſe etwas Rechnung geben
Von todten Pfunden, von verträumtem Leben,
Als ſtehe ein verkümmert Herz allein,
Einſam mit ſeiner Schuld und ſeiner Pein.
Da auf die Waſſer ſank ein Silberflor,
Und langſam ſtieg die Mondesſcheib’ empor,
Der Alpen finſtre Stirnen ſtrich ſie leiſe,
Und aus den Richtern wurden ſanfte Greiſe;
Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,
An jedem Blatte ſah ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen ſchien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimathlampe Schein.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0027" n="11"/>
            <lg n="3">
              <l>Die Schatten &#x017F;tiegen, drängten fin&#x017F;ter ein;</l><lb/>
              <l>Wo weil&#x017F;t du, weil&#x017F;t du denn mein milder Schein?</l><lb/>
              <l>Sie drangen ein wie &#x017F;ündige Gedanken,</l><lb/>
              <l>Des Firmamentes Woge &#x017F;chien zu &#x017F;chwanken;</l><lb/>
              <l>Verzitternd lo&#x017F;ch der Feuerfliege Funken,</l><lb/>
              <l>Läng&#x017F;t die Phaläne war zum Grund ge&#x017F;unken;</l><lb/>
              <l>Nur Bergeshäupter &#x017F;tiegen hart empor,</l><lb/>
              <l>Ein dü&#x017F;trer Richterkreis im Dü&#x017F;ter vor.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Es visperten die Wipfel mir am Fuß,</l><lb/>
              <l>Wie Warnungsflü&#x017F;tern oder Todesgruß;</l><lb/>
              <l>Ein Summen aus des Seees weitem Thale,</l><lb/>
              <l>Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;</l><lb/>
              <l>Mir war, als mü&#x017F;&#x017F;e etwas Rechnung geben</l><lb/>
              <l>Von todten Pfunden, von verträumtem Leben,</l><lb/>
              <l>Als &#x017F;tehe ein verkümmert Herz allein,</l><lb/>
              <l>Ein&#x017F;am mit &#x017F;einer Schuld und &#x017F;einer Pein.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Da auf die Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ank ein Silberflor,</l><lb/>
              <l>Und lang&#x017F;am &#x017F;tieg die Mondes&#x017F;cheib&#x2019; empor,</l><lb/>
              <l>Der Alpen fin&#x017F;tre Stirnen &#x017F;trich &#x017F;ie lei&#x017F;e,</l><lb/>
              <l>Und aus den Richtern wurden &#x017F;anfte Grei&#x017F;e;</l><lb/>
              <l>Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,</l><lb/>
              <l>An jedem Blatte &#x017F;ah ich Tropfen blinken,</l><lb/>
              <l>Und jeder Tropfen &#x017F;chien ein Kämmerlein,</l><lb/>
              <l>Drin flimmerte der Heimathlampe Schein.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0027] Die Schatten ſtiegen, drängten finſter ein; Wo weilſt du, weilſt du denn mein milder Schein? Sie drangen ein wie ſündige Gedanken, Des Firmamentes Woge ſchien zu ſchwanken; Verzitternd loſch der Feuerfliege Funken, Längſt die Phaläne war zum Grund geſunken; Nur Bergeshäupter ſtiegen hart empor, Ein düſtrer Richterkreis im Düſter vor. Es visperten die Wipfel mir am Fuß, Wie Warnungsflüſtern oder Todesgruß; Ein Summen aus des Seees weitem Thale, Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale; Mir war, als müſſe etwas Rechnung geben Von todten Pfunden, von verträumtem Leben, Als ſtehe ein verkümmert Herz allein, Einſam mit ſeiner Schuld und ſeiner Pein. Da auf die Waſſer ſank ein Silberflor, Und langſam ſtieg die Mondesſcheib’ empor, Der Alpen finſtre Stirnen ſtrich ſie leiſe, Und aus den Richtern wurden ſanfte Greiſe; Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken, An jedem Blatte ſah ich Tropfen blinken, Und jeder Tropfen ſchien ein Kämmerlein, Drin flimmerte der Heimathlampe Schein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/27
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/27>, abgerufen am 24.04.2024.