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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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Dann seid ihr mehr als der Poet,
Der seines Herzens Blut verkauft,
Mehr als der Künstler, der so spät
Zur Heil'gen die Hetäre tauft;
Was ihr verschweigt, ist lieblicher
Als je des Dichters Stirn gekrönt,
Was ihr begrabt, ist heiliger
Als Farb' und Pinsel je verschönt.
Mir gab Natur ein kühnes Herz,
Ich senke nicht so leicht den Blick;
Mich drückt nicht Größe niederwärts,
Drängt keine fremde Hand zurück;
Nie hat des Ruhmes Strahlenkranz
An fremder Stirne mich gegrämt;
Doch vor so stillen Blickes Glanz
Hab' ich mich hundertmal geschämt.
Weinende Quellen, wo sich rollt
Das Sonnenbild im Wellenbann,
Glühende Stufen, wo das Gold
Nicht aus der Schlacke brechen kann;
Ich klag' um euch, weil ihr betrübt,
Weil euch das Herz von Thränen schwillt,
Unwissend Sel'ge, weil ihr liebt,
Und zweifelt an der Gottheit Bild.
Dann ſeid ihr mehr als der Poet,
Der ſeines Herzens Blut verkauft,
Mehr als der Künſtler, der ſo ſpät
Zur Heil’gen die Hetäre tauft;
Was ihr verſchweigt, iſt lieblicher
Als je des Dichters Stirn gekrönt,
Was ihr begrabt, iſt heiliger
Als Farb’ und Pinſel je verſchönt.
Mir gab Natur ein kühnes Herz,
Ich ſenke nicht ſo leicht den Blick;
Mich drückt nicht Größe niederwärts,
Drängt keine fremde Hand zurück;
Nie hat des Ruhmes Strahlenkranz
An fremder Stirne mich gegrämt;
Doch vor ſo ſtillen Blickes Glanz
Hab’ ich mich hundertmal geſchämt.
Weinende Quellen, wo ſich rollt
Das Sonnenbild im Wellenbann,
Glühende Stufen, wo das Gold
Nicht aus der Schlacke brechen kann;
Ich klag’ um euch, weil ihr betrübt,
Weil euch das Herz von Thränen ſchwillt,
Unwiſſend Sel’ge, weil ihr liebt,
Und zweifelt an der Gottheit Bild.
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[30/0046] Dann ſeid ihr mehr als der Poet, Der ſeines Herzens Blut verkauft, Mehr als der Künſtler, der ſo ſpät Zur Heil’gen die Hetäre tauft; Was ihr verſchweigt, iſt lieblicher Als je des Dichters Stirn gekrönt, Was ihr begrabt, iſt heiliger Als Farb’ und Pinſel je verſchönt. Mir gab Natur ein kühnes Herz, Ich ſenke nicht ſo leicht den Blick; Mich drückt nicht Größe niederwärts, Drängt keine fremde Hand zurück; Nie hat des Ruhmes Strahlenkranz An fremder Stirne mich gegrämt; Doch vor ſo ſtillen Blickes Glanz Hab’ ich mich hundertmal geſchämt. Weinende Quellen, wo ſich rollt Das Sonnenbild im Wellenbann, Glühende Stufen, wo das Gold Nicht aus der Schlacke brechen kann; Ich klag’ um euch, weil ihr betrübt, Weil euch das Herz von Thränen ſchwillt, Unwiſſend Sel’ge, weil ihr liebt, Und zweifelt an der Gottheit Bild.

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/46>, abgerufen am 29.03.2024.