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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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Denn keine Blume wurde noch gepflückt,
Bis leise sich die Wimper niederließ
Und in die Träume schlich das Paradies;
O heilig war das Weib; wer sie geseh'n,
Nicht denken hätt' er können, ob sie schön,
Nur daß sie rein wie Thau, und Gottes Spiegel.

Die Ros' auch lächelt selig, doch wie lange?
Hüte dich vor der Schlange! --
Am grauen Horizonte murrend stand
Der ersten Donnerwolke düstrer Rand,
Am Rosenstrauche fiel die erste Thräne,
Und drüben weint der Nachtigall Gestöhne.
Wär' dies das Bild von gestern, dieser Leib
Verhüllt in Blätterschutz? ein arges Weib!
Das Auge, kündend ein verbotnes Wissen,
Wie scheint so heiß und hart des Mooses Kissen,
Wie dunsterfüllt des Paradieses Prangen,
Und wie so seltsam brennen ihre Wangen.
Fest hielt den vollen Rosenzweig sie, fest
Wie der Versinkende die Binse preßt,
Oder sein Lieb ein glüh Verlangen.
Ob sie entschlief? -- Wohl endlich hat die Nacht
Ihr Ruhe, bleiernschweren Schlaf gebracht;
Denn keine Blume wurde noch gepflückt,
Bis leiſe ſich die Wimper niederließ
Und in die Träume ſchlich das Paradies;
O heilig war das Weib; wer ſie geſeh’n,
Nicht denken hätt’ er können, ob ſie ſchön,
Nur daß ſie rein wie Thau, und Gottes Spiegel.

Die Roſ’ auch lächelt ſelig, doch wie lange?
Hüte dich vor der Schlange! —
Am grauen Horizonte murrend ſtand
Der erſten Donnerwolke düſtrer Rand,
Am Roſenſtrauche fiel die erſte Thräne,
Und drüben weint der Nachtigall Geſtöhne.
Wär’ dies das Bild von geſtern, dieſer Leib
Verhüllt in Blätterſchutz? ein arges Weib!
Das Auge, kündend ein verbotnes Wiſſen,
Wie ſcheint ſo heiß und hart des Mooſes Kiſſen,
Wie dunſterfüllt des Paradieſes Prangen,
Und wie ſo ſeltſam brennen ihre Wangen.
Feſt hielt den vollen Roſenzweig ſie, feſt
Wie der Verſinkende die Binſe preßt,
Oder ſein Lieb ein glüh Verlangen.
Ob ſie entſchlief? — Wohl endlich hat die Nacht
Ihr Ruhe, bleiernſchweren Schlaf gebracht;
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[76/0092] Denn keine Blume wurde noch gepflückt, Bis leiſe ſich die Wimper niederließ Und in die Träume ſchlich das Paradies; O heilig war das Weib; wer ſie geſeh’n, Nicht denken hätt’ er können, ob ſie ſchön, Nur daß ſie rein wie Thau, und Gottes Spiegel. Die Roſ’ auch lächelt ſelig, doch wie lange? Hüte dich vor der Schlange! — Am grauen Horizonte murrend ſtand Der erſten Donnerwolke düſtrer Rand, Am Roſenſtrauche fiel die erſte Thräne, Und drüben weint der Nachtigall Geſtöhne. Wär’ dies das Bild von geſtern, dieſer Leib Verhüllt in Blätterſchutz? ein arges Weib! Das Auge, kündend ein verbotnes Wiſſen, Wie ſcheint ſo heiß und hart des Mooſes Kiſſen, Wie dunſterfüllt des Paradieſes Prangen, Und wie ſo ſeltſam brennen ihre Wangen. Feſt hielt den vollen Roſenzweig ſie, feſt Wie der Verſinkende die Binſe preßt, Oder ſein Lieb ein glüh Verlangen. Ob ſie entſchlief? — Wohl endlich hat die Nacht Ihr Ruhe, bleiernſchweren Schlaf gebracht;

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/92>, abgerufen am 19.04.2024.