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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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König war überzeugt, daß sich nun auch der glücklichere Theil
jenes Zeichens erfüllen werde. Eben jetzt waren die Maschinen,
mit denen er Tyrus erobert hatte, im nahen Hafen Majumas an-
gekommen; um sie anwenden zu können, befahl er sosort, einen mäch-
tigen Damm von zwölfhundert Fuß Breite und zweihundertfunfzig
Fuß Höhe concentrisch mit den Mauern der Stadt aufzuschüt-
ten 46); zu gleicher Zeit wurde das Erdreich unter der Mauer
unterminirt, so daß sie bald durch ihre eigene Schwere und durch
die Gewalt der Sturmblöcke an mehreren Stellen zusammenstürzte.
Man hatte Bresche genug und begann zu stürmen; zurückgeschla-
gen wiederholte man den Angriff zum zweiten, zum dritten Mal;
endlich beim vierten Sturm, als die Phalangen von allen Seiten
heranrückten, als immer neue Stücke der Mauer zusammenstürzten,
und die Maschinen immer furchtbarer wirkten, als die tapferen
Araber schon zu viele Todte und Verwundete zählten, um noch an
allen Orten den gehörigen Widerstand zu leisten, gelang es den
Hypaspisten, Sturmleitern in die Breschen zu werfen und über
den Schutt der eingestürzten Mauern einzudringen, die Thore auf-
zureißen, und dem gesammten Heere den Eingang in die Stadt zu
öffnen. Ein noch wilderer Kampf begann in den Straßen der
Stadt; die tapferen Gazäer vertheidigten ihre Posten bis auf den
Tod, ein gräßliches Blutbad endete den heißen Tag; an zehntau-
send Barbaren sollen gefallen sein; ihre Weiber und Kinder wur-

46) Diese Angaben Arrians sind auf eine sonderbare Weise mis-
verstanden worden; man hat gemeint, sein khoma khonnunai en
kuklo pantokhen tes poleos bezeichne eine völlige Circumvallation
der Stadt; ein ungeheueres Werk; wäre der Umfang der Stadtmauer
nur viertausend Schritte gewesen und hätten zwanzigtausend Men-
schen täglich gearbeitet, so würden sie, nach einer sehr einfachen Be-
rechnung, über drei Jahre gebraucht haben, um einen Wall bis zu
dieser Höhe aufzuschütten; überdieß wäre dann zum Unterminiren der
Mauer kein Platz übrig geblieben. Arrian ist nur darin undeutlich,
ob dieser zweite Damm an der Stelle des ersten gebauet ist oder
nicht; letzteres scheint wahrscheinlicher. Die zwölfhundert Fuß Breite
(zwei Stadien) sind natürlich von der Stirn des Dammes zu verste-
hen, da sich die Länge desselben (diametrale Richtung) nach dem
Winkel, den man bei Arbeiten dieser Art braucht, bestimmen mußte.

König war überzeugt, daß ſich nun auch der glücklichere Theil
jenes Zeichens erfüllen werde. Eben jetzt waren die Maſchinen,
mit denen er Tyrus erobert hatte, im nahen Hafen Majumas an-
gekommen; um ſie anwenden zu können, befahl er ſoſort, einen mäch-
tigen Damm von zwölfhundert Fuß Breite und zweihundertfunfzig
Fuß Höhe concentriſch mit den Mauern der Stadt aufzuſchüt-
ten 46); zu gleicher Zeit wurde das Erdreich unter der Mauer
unterminirt, ſo daß ſie bald durch ihre eigene Schwere und durch
die Gewalt der Sturmblöcke an mehreren Stellen zuſammenſtürzte.
Man hatte Breſche genug und begann zu ſtürmen; zurückgeſchla-
gen wiederholte man den Angriff zum zweiten, zum dritten Mal;
endlich beim vierten Sturm, als die Phalangen von allen Seiten
heranrückten, als immer neue Stücke der Mauer zuſammenſtürzten,
und die Maſchinen immer furchtbarer wirkten, als die tapferen
Araber ſchon zu viele Todte und Verwundete zählten, um noch an
allen Orten den gehörigen Widerſtand zu leiſten, gelang es den
Hypaspiſten, Sturmleitern in die Breſchen zu werfen und über
den Schutt der eingeſtürzten Mauern einzudringen, die Thore auf-
zureißen, und dem geſammten Heere den Eingang in die Stadt zu
öffnen. Ein noch wilderer Kampf begann in den Straßen der
Stadt; die tapferen Gazäer vertheidigten ihre Poſten bis auf den
Tod, ein gräßliches Blutbad endete den heißen Tag; an zehntau-
ſend Barbaren ſollen gefallen ſein; ihre Weiber und Kinder wur-

46) Dieſe Angaben Arrians ſind auf eine ſonderbare Weiſe mis-
verſtanden worden; man hat gemeint, ſein χῶμα χωννύναι ἐν
κύκλῳ πάντοϧεν τῆς πόλεως bezeichne eine völlige Circumvallation
der Stadt; ein ungeheueres Werk; wäre der Umfang der Stadtmauer
nur viertauſend Schritte geweſen und hätten zwanzigtauſend Men-
ſchen täglich gearbeitet, ſo würden ſie, nach einer ſehr einfachen Be-
rechnung, über drei Jahre gebraucht haben, um einen Wall bis zu
dieſer Höhe aufzuſchütten; überdieß wäre dann zum Unterminiren der
Mauer kein Platz übrig geblieben. Arrian iſt nur darin undeutlich,
ob dieſer zweite Damm an der Stelle des erſten gebauet iſt oder
nicht; letzteres ſcheint wahrſcheinlicher. Die zwölfhundert Fuß Breite
(zwei Stadien) ſind natürlich von der Stirn des Dammes zu verſte-
hen, da ſich die Länge deſſelben (diametrale Richtung) nach dem
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[199/0213] König war überzeugt, daß ſich nun auch der glücklichere Theil jenes Zeichens erfüllen werde. Eben jetzt waren die Maſchinen, mit denen er Tyrus erobert hatte, im nahen Hafen Majumas an- gekommen; um ſie anwenden zu können, befahl er ſoſort, einen mäch- tigen Damm von zwölfhundert Fuß Breite und zweihundertfunfzig Fuß Höhe concentriſch mit den Mauern der Stadt aufzuſchüt- ten 46); zu gleicher Zeit wurde das Erdreich unter der Mauer unterminirt, ſo daß ſie bald durch ihre eigene Schwere und durch die Gewalt der Sturmblöcke an mehreren Stellen zuſammenſtürzte. Man hatte Breſche genug und begann zu ſtürmen; zurückgeſchla- gen wiederholte man den Angriff zum zweiten, zum dritten Mal; endlich beim vierten Sturm, als die Phalangen von allen Seiten heranrückten, als immer neue Stücke der Mauer zuſammenſtürzten, und die Maſchinen immer furchtbarer wirkten, als die tapferen Araber ſchon zu viele Todte und Verwundete zählten, um noch an allen Orten den gehörigen Widerſtand zu leiſten, gelang es den Hypaspiſten, Sturmleitern in die Breſchen zu werfen und über den Schutt der eingeſtürzten Mauern einzudringen, die Thore auf- zureißen, und dem geſammten Heere den Eingang in die Stadt zu öffnen. Ein noch wilderer Kampf begann in den Straßen der Stadt; die tapferen Gazäer vertheidigten ihre Poſten bis auf den Tod, ein gräßliches Blutbad endete den heißen Tag; an zehntau- ſend Barbaren ſollen gefallen ſein; ihre Weiber und Kinder wur- 46) Dieſe Angaben Arrians ſind auf eine ſonderbare Weiſe mis- verſtanden worden; man hat gemeint, ſein χῶμα χωννύναι ἐν κύκλῳ πάντοϧεν τῆς πόλεως bezeichne eine völlige Circumvallation der Stadt; ein ungeheueres Werk; wäre der Umfang der Stadtmauer nur viertauſend Schritte geweſen und hätten zwanzigtauſend Men- ſchen täglich gearbeitet, ſo würden ſie, nach einer ſehr einfachen Be- rechnung, über drei Jahre gebraucht haben, um einen Wall bis zu dieſer Höhe aufzuſchütten; überdieß wäre dann zum Unterminiren der Mauer kein Platz übrig geblieben. Arrian iſt nur darin undeutlich, ob dieſer zweite Damm an der Stelle des erſten gebauet iſt oder nicht; letzteres ſcheint wahrſcheinlicher. Die zwölfhundert Fuß Breite (zwei Stadien) ſind natürlich von der Stirn des Dammes zu verſte- hen, da ſich die Länge deſſelben (diametrale Richtung) nach dem Winkel, den man bei Arbeiten dieſer Art braucht, beſtimmen mußte.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/213>, abgerufen am 28.03.2024.