Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

4. Atlantische Flora, Mittelmeerländer und Orient.
über 2000 m hoch. Ebenso ist auch hier ein Stück der
Heimat von Ficus carica, oder nach Solms-Laubach die
Heimat der Urform der ganzen mediterran-orientalen
Feigengruppe. Die Myrte scheint im Orient verhältnis-
mäßig recht selten zu sein. Ueberall wird in Südpersien
der weisse Maulbeerbaum in Dörfern und Städten (bis
über 2000 m hoch) gezogen. (Ueber Obstbäume vergl.
Stapf in Verh. d. zool.-botan. Ges. Wien, 9. Febr. 1887.)
Gerste und Weizen, wahrscheinlich auch der Lein als
wichtigster Kulturträger des Altertums für Südeuropa,
sind hier als Inquilinen zu betrachten.

Die Heimat der altweltlichen Cerealien, welche nicht
mehr genau zu ermitteln ist, liegt aller Wahrscheinlichkeit nach
in den soeben zusammengefassten Vegetationsregionen des Orients,
und für einige der kälteren Arten in den verwandten Gebieten
des südöstlichsten Europas. Eine Schwierigkeit der Untersuchung
liegt in der Unkenntnis der Phylogenie der Getreidearten, zumal
für Weizen und Gerste. Wahrscheinlich muss man den drei Spelz-
Arten: dem Dinkel (Triticum Spelta), dem Emmer (T. dicoccum)
und dem Einkorn (T. monococcum) nur eine Stammart des eigent-
lichen Weizens entgegenstellen, welche als Triticum sativum Lmk.
bezeichnet wird und in die 4 Unterart-Gruppen: vulgare, turgidum,
durum, polonicum zerfällt. Zudem können linguistische Studien
trügen, und es ist als ein Hauptverdienst A. de Candolles in dieser
Hinsicht anzusehen, dass er, wiewohl selbst höchst thätig in dem
Quellenstudium der alten Litteratur, doch in seinem Werke Ori-
gine des plantes cultivees
die naturwissenschaftliche Methode über
die von Hehn u. a. viel zu hoch zu Rückschlüssen aufgebauschte
philologische Darlegung weit erhoben hat. Die Angaben alter
Klassiker sind zu wenig genau, wenn z. B. Diodorus die Heimat
des "wilden Weizens" nach Sizilien verlegt, wo aber noch jetzt die
Eingeborenen Aegilops ovata so bezeichnen, welche Art dort that-
sächlich die unbebauten Landesstrecken überzieht. Als einzige
Ueberlieferungen des Altertums von einigem Wert erscheinen die
Aussagen von Berosus und Strabo, wonach in Mesopotamien und
im westlichsten Ostindien wilder Weizen wuchs. In unserer Zeit
hat Balansa das Einkorn in Kleinasien auf dem Berge Sipylus
wild gefunden, ebenso Olivier am rechten Ufer des Euphrats in
einem kulturlosen Lande, und daneben in einer Gebirgsschlucht
Gerste und Triticum vulgare, welches letztere auch aus anderen
Gründen als die ursprüngliche und wilde Stammart der Weizen-
sorten erscheint, ohne Unterschied von Sommer- und Winterweizen.
Vielleicht ist ebenso das Einkorn die Ursprungspflanze aller Spelze,
da man dieses im Bereich von Griechenland bis Kleinasien allein
wild gefunden hat. Alle diese Kulturen sind prähistorisch, wie
man denn auch in den Pfahlbauten der westlichen Schweiz eine

4. Atlantische Flora, Mittelmeerländer und Orient.
über 2000 m hoch. Ebenso ist auch hier ein Stück der
Heimat von Ficus carica, oder nach Solms-Laubach die
Heimat der Urform der ganzen mediterran-orientalen
Feigengruppe. Die Myrte scheint im Orient verhältnis-
mäßig recht selten zu sein. Ueberall wird in Südpersien
der weisse Maulbeerbaum in Dörfern und Städten (bis
über 2000 m hoch) gezogen. (Ueber Obstbäume vergl.
Stapf in Verh. d. zool.-botan. Ges. Wien, 9. Febr. 1887.)
Gerste und Weizen, wahrscheinlich auch der Lein als
wichtigster Kulturträger des Altertums für Südeuropa,
sind hier als Inquilinen zu betrachten.

Die Heimat der altweltlichen Cerealien, welche nicht
mehr genau zu ermitteln ist, liegt aller Wahrscheinlichkeit nach
in den soeben zusammengefassten Vegetationsregionen des Orients,
und für einige der kälteren Arten in den verwandten Gebieten
des südöstlichsten Europas. Eine Schwierigkeit der Untersuchung
liegt in der Unkenntnis der Phylogenie der Getreidearten, zumal
für Weizen und Gerste. Wahrscheinlich muss man den drei Spelz-
Arten: dem Dinkel (Triticum Spelta), dem Emmer (T. dicoccum)
und dem Einkorn (T. monococcum) nur eine Stammart des eigent-
lichen Weizens entgegenstellen, welche als Triticum sativum Lmk.
bezeichnet wird und in die 4 Unterart-Gruppen: vulgare, turgidum,
durum, polonicum zerfällt. Zudem können linguistische Studien
trügen, und es ist als ein Hauptverdienst A. de Candolles in dieser
Hinsicht anzusehen, dass er, wiewohl selbst höchst thätig in dem
Quellenstudium der alten Litteratur, doch in seinem Werke Ori-
gine des plantes cultivées
die naturwissenschaftliche Methode über
die von Hehn u. a. viel zu hoch zu Rückschlüssen aufgebauschte
philologische Darlegung weit erhoben hat. Die Angaben alter
Klassiker sind zu wenig genau, wenn z. B. Diodorus die Heimat
des „wilden Weizens“ nach Sizilien verlegt, wo aber noch jetzt die
Eingeborenen Aegilops ovata so bezeichnen, welche Art dort that-
sächlich die unbebauten Landesstrecken überzieht. Als einzige
Ueberlieferungen des Altertums von einigem Wert erscheinen die
Aussagen von Berosus und Strabo, wonach in Mesopotamien und
im westlichsten Ostindien wilder Weizen wuchs. In unserer Zeit
hat Balansa das Einkorn in Kleinasien auf dem Berge Sipylus
wild gefunden, ebenso Olivier am rechten Ufer des Euphrats in
einem kulturlosen Lande, und daneben in einer Gebirgsschlucht
Gerste und Triticum vulgare, welches letztere auch aus anderen
Gründen als die ursprüngliche und wilde Stammart der Weizen-
sorten erscheint, ohne Unterschied von Sommer- und Winterweizen.
Vielleicht ist ebenso das Einkorn die Ursprungspflanze aller Spelze,
da man dieses im Bereich von Griechenland bis Kleinasien allein
wild gefunden hat. Alle diese Kulturen sind prähistorisch, wie
man denn auch in den Pfahlbauten der westlichen Schweiz eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0436" n="404"/><fw place="top" type="header">4. Atlantische Flora, Mittelmeerländer und Orient.</fw><lb/>
über 2000 m hoch. Ebenso ist auch hier ein Stück der<lb/>
Heimat von <hi rendition="#i">Ficus carica</hi>, oder nach Solms-Laubach die<lb/>
Heimat der Urform der ganzen mediterran-orientalen<lb/>
Feigengruppe. Die Myrte scheint im Orient verhältnis-<lb/>
mäßig recht selten zu sein. Ueberall wird in Südpersien<lb/>
der weisse Maulbeerbaum in Dörfern und Städten (bis<lb/>
über 2000 m hoch) gezogen. (Ueber Obstbäume vergl.<lb/>
Stapf in Verh. d. zool.-botan. Ges. Wien, 9. Febr. 1887.)<lb/>
Gerste und Weizen, wahrscheinlich auch der Lein als<lb/>
wichtigster Kulturträger des Altertums für Südeuropa,<lb/>
sind hier als Inquilinen zu betrachten.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Die Heimat der altweltlichen Cerealien</hi>, welche nicht<lb/>
mehr genau zu ermitteln ist, liegt aller Wahrscheinlichkeit nach<lb/>
in den soeben zusammengefassten Vegetationsregionen des Orients,<lb/>
und für einige der kälteren Arten in den verwandten Gebieten<lb/>
des südöstlichsten Europas. Eine Schwierigkeit der Untersuchung<lb/>
liegt in der Unkenntnis der Phylogenie der Getreidearten, zumal<lb/>
für Weizen und Gerste. Wahrscheinlich muss man den drei Spelz-<lb/>
Arten: dem Dinkel (Triticum Spelta), dem Emmer (T. dicoccum)<lb/>
und dem Einkorn (T. monococcum) nur eine Stammart des eigent-<lb/>
lichen Weizens entgegenstellen, welche als Triticum sativum Lmk.<lb/>
bezeichnet wird und in die 4 Unterart-Gruppen: vulgare, turgidum,<lb/>
durum, polonicum zerfällt. Zudem können linguistische Studien<lb/>
trügen, und es ist als ein Hauptverdienst A. de Candolles in dieser<lb/>
Hinsicht anzusehen, dass er, wiewohl selbst höchst thätig in dem<lb/>
Quellenstudium der alten Litteratur, doch in seinem Werke <hi rendition="#i">Ori-<lb/>
gine des plantes cultivées</hi> die naturwissenschaftliche Methode über<lb/>
die von Hehn u. a. viel zu hoch zu Rückschlüssen aufgebauschte<lb/>
philologische Darlegung weit erhoben hat. Die Angaben alter<lb/>
Klassiker sind zu wenig genau, wenn z. B. Diodorus die Heimat<lb/>
des &#x201E;wilden Weizens&#x201C; nach Sizilien verlegt, wo aber noch jetzt die<lb/>
Eingeborenen Aegilops ovata so bezeichnen, welche Art dort that-<lb/>
sächlich die unbebauten Landesstrecken überzieht. Als einzige<lb/>
Ueberlieferungen des Altertums von einigem Wert erscheinen die<lb/>
Aussagen von Berosus und Strabo, wonach in Mesopotamien und<lb/>
im westlichsten Ostindien wilder Weizen wuchs. In unserer Zeit<lb/>
hat Balansa das Einkorn in Kleinasien auf dem Berge Sipylus<lb/>
wild gefunden, ebenso Olivier am rechten Ufer des Euphrats in<lb/>
einem kulturlosen Lande, und daneben in einer Gebirgsschlucht<lb/>
Gerste und Triticum vulgare, welches letztere auch aus anderen<lb/>
Gründen als die ursprüngliche und wilde Stammart der Weizen-<lb/>
sorten erscheint, ohne Unterschied von Sommer- und Winterweizen.<lb/>
Vielleicht ist ebenso das Einkorn die Ursprungspflanze aller Spelze,<lb/>
da man dieses im Bereich von Griechenland bis Kleinasien allein<lb/>
wild gefunden hat. Alle diese Kulturen sind prähistorisch, wie<lb/>
man denn auch in den Pfahlbauten der westlichen Schweiz eine<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0436] 4. Atlantische Flora, Mittelmeerländer und Orient. über 2000 m hoch. Ebenso ist auch hier ein Stück der Heimat von Ficus carica, oder nach Solms-Laubach die Heimat der Urform der ganzen mediterran-orientalen Feigengruppe. Die Myrte scheint im Orient verhältnis- mäßig recht selten zu sein. Ueberall wird in Südpersien der weisse Maulbeerbaum in Dörfern und Städten (bis über 2000 m hoch) gezogen. (Ueber Obstbäume vergl. Stapf in Verh. d. zool.-botan. Ges. Wien, 9. Febr. 1887.) Gerste und Weizen, wahrscheinlich auch der Lein als wichtigster Kulturträger des Altertums für Südeuropa, sind hier als Inquilinen zu betrachten. Die Heimat der altweltlichen Cerealien, welche nicht mehr genau zu ermitteln ist, liegt aller Wahrscheinlichkeit nach in den soeben zusammengefassten Vegetationsregionen des Orients, und für einige der kälteren Arten in den verwandten Gebieten des südöstlichsten Europas. Eine Schwierigkeit der Untersuchung liegt in der Unkenntnis der Phylogenie der Getreidearten, zumal für Weizen und Gerste. Wahrscheinlich muss man den drei Spelz- Arten: dem Dinkel (Triticum Spelta), dem Emmer (T. dicoccum) und dem Einkorn (T. monococcum) nur eine Stammart des eigent- lichen Weizens entgegenstellen, welche als Triticum sativum Lmk. bezeichnet wird und in die 4 Unterart-Gruppen: vulgare, turgidum, durum, polonicum zerfällt. Zudem können linguistische Studien trügen, und es ist als ein Hauptverdienst A. de Candolles in dieser Hinsicht anzusehen, dass er, wiewohl selbst höchst thätig in dem Quellenstudium der alten Litteratur, doch in seinem Werke Ori- gine des plantes cultivées die naturwissenschaftliche Methode über die von Hehn u. a. viel zu hoch zu Rückschlüssen aufgebauschte philologische Darlegung weit erhoben hat. Die Angaben alter Klassiker sind zu wenig genau, wenn z. B. Diodorus die Heimat des „wilden Weizens“ nach Sizilien verlegt, wo aber noch jetzt die Eingeborenen Aegilops ovata so bezeichnen, welche Art dort that- sächlich die unbebauten Landesstrecken überzieht. Als einzige Ueberlieferungen des Altertums von einigem Wert erscheinen die Aussagen von Berosus und Strabo, wonach in Mesopotamien und im westlichsten Ostindien wilder Weizen wuchs. In unserer Zeit hat Balansa das Einkorn in Kleinasien auf dem Berge Sipylus wild gefunden, ebenso Olivier am rechten Ufer des Euphrats in einem kulturlosen Lande, und daneben in einer Gebirgsschlucht Gerste und Triticum vulgare, welches letztere auch aus anderen Gründen als die ursprüngliche und wilde Stammart der Weizen- sorten erscheint, ohne Unterschied von Sommer- und Winterweizen. Vielleicht ist ebenso das Einkorn die Ursprungspflanze aller Spelze, da man dieses im Bereich von Griechenland bis Kleinasien allein wild gefunden hat. Alle diese Kulturen sind prähistorisch, wie man denn auch in den Pfahlbauten der westlichen Schweiz eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/436
Zitationshilfe: Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/436>, abgerufen am 25.04.2024.