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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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Comte auch Feuerbach das Gesetz der drei Geistesphasen, für
das Jndividuum wenigstens, betont in dem Ausspruche:
"Gott war mein erster Gedanke, die Vernunft mein zweiter,
der Mensch mein dritter und letzter Gedanke." Ebenso wie
Comte will daher der deutsche Denker alle Dinge auf den
Menschen bezogen wissen, gibt es auch für ihn nichts Höheres
als die Menschheit, ist auch für ihn nur der sociale Mensch
ein Mensch. So lesen wir in den "Grundsätzen der Philo-
sophie der Zukunft": "Der einzelne Mensch für sich hat das
Wesen des Menschen nicht in sich, weder in sich als mora-
lischem, noch in sich als denkendem Wesen, das Wesen des
Menschen ist nur in der Gemeinschaft, in der Einheit des
Menschen mit dem Menschen enthalten -- eine Einheit, die
sich nur auf die Realität des Unterschiedes von Jch und Du
stützt." "Einsamkeit ist Endlichkeit und Beschränktheit, Ge-
meinschaftlichkeit ist Freiheit und Unendlichkeit. Der Mensch
für sich ist Mensch (im gewöhnlichen Sinne), der Mensch mit
Mensch d. h. die Einheit von Jch und Du ist Gott."

Es ist bei den zahlreichen Berührungen, die zwischen
Feuerbach und Comte bestehen, zu verwundern, daß C. N.
Starcke, Feuerbachs berufener Darsteller und Jnterpret,
in seinem jüngst erschienenen Werke nicht nur unterlassen hat,
eine eingehende Parallele zwischen beiden Denkern zu ziehen,
sondern den Namen Comte in seinem Werke auch nicht ein-
mal erwähnt.

Jndem Feuerbach das Wesen der Religion in der Liebe sieht,
gelangt er dazu, alle Moral auf das Jdentitätsgefühl, auf die
natürliche Liebe des Menschen zum Menschen zu begründen.
Nicht in der Unterwerfung unter das Sittengesetz, unter die Mah-
nung jener Stimme, welche dem Menschen "du sollst" zuruft,
sondern in der Achtung vor dem Mitmenschen bestehe das
Wesen der Moral. Feuerbachs Liebe ist im Grunde nichts
Anderes, als Schopenhauer's Mitleid, und unterscheidet sich

Druskowitz, Religionsersatz. 3

Comte auch Feuerbach das Geſetz der drei Geiſtesphaſen, für
das Jndividuum wenigſtens, betont in dem Ausſpruche:
„Gott war mein erſter Gedanke, die Vernunft mein zweiter,
der Menſch mein dritter und letzter Gedanke.“ Ebenſo wie
Comte will daher der deutſche Denker alle Dinge auf den
Menſchen bezogen wiſſen, gibt es auch für ihn nichts Höheres
als die Menſchheit, iſt auch für ihn nur der ſociale Menſch
ein Menſch. So leſen wir in den „Grundſätzen der Philo-
ſophie der Zukunft“: „Der einzelne Menſch für ſich hat das
Weſen des Menſchen nicht in ſich, weder in ſich als mora-
liſchem, noch in ſich als denkendem Weſen, das Weſen des
Menſchen iſt nur in der Gemeinſchaft, in der Einheit des
Menſchen mit dem Menſchen enthalten — eine Einheit, die
ſich nur auf die Realität des Unterſchiedes von Jch und Du
ſtützt.“ „Einſamkeit iſt Endlichkeit und Beſchränktheit, Ge-
meinſchaftlichkeit iſt Freiheit und Unendlichkeit. Der Menſch
für ſich iſt Menſch (im gewöhnlichen Sinne), der Menſch mit
Menſch d. h. die Einheit von Jch und Du iſt Gott.“

Es iſt bei den zahlreichen Berührungen, die zwiſchen
Feuerbach und Comte beſtehen, zu verwundern, daß C. N.
Starcke, Feuerbachs berufener Darſteller und Jnterpret,
in ſeinem jüngſt erſchienenen Werke nicht nur unterlaſſen hat,
eine eingehende Parallele zwiſchen beiden Denkern zu ziehen,
ſondern den Namen Comte in ſeinem Werke auch nicht ein-
mal erwähnt.

Jndem Feuerbach das Weſen der Religion in der Liebe ſieht,
gelangt er dazu, alle Moral auf das Jdentitätsgefühl, auf die
natürliche Liebe des Menſchen zum Menſchen zu begründen.
Nicht in der Unterwerfung unter das Sittengeſetz, unter die Mah-
nung jener Stimme, welche dem Menſchen „du ſollſt“ zuruft,
ſondern in der Achtung vor dem Mitmenſchen beſtehe das
Weſen der Moral. Feuerbachs Liebe iſt im Grunde nichts
Anderes, als Schopenhauer’s Mitleid, und unterſcheidet ſich

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[33/0042] Comte auch Feuerbach das Geſetz der drei Geiſtesphaſen, für das Jndividuum wenigſtens, betont in dem Ausſpruche: „Gott war mein erſter Gedanke, die Vernunft mein zweiter, der Menſch mein dritter und letzter Gedanke.“ Ebenſo wie Comte will daher der deutſche Denker alle Dinge auf den Menſchen bezogen wiſſen, gibt es auch für ihn nichts Höheres als die Menſchheit, iſt auch für ihn nur der ſociale Menſch ein Menſch. So leſen wir in den „Grundſätzen der Philo- ſophie der Zukunft“: „Der einzelne Menſch für ſich hat das Weſen des Menſchen nicht in ſich, weder in ſich als mora- liſchem, noch in ſich als denkendem Weſen, das Weſen des Menſchen iſt nur in der Gemeinſchaft, in der Einheit des Menſchen mit dem Menſchen enthalten — eine Einheit, die ſich nur auf die Realität des Unterſchiedes von Jch und Du ſtützt.“ „Einſamkeit iſt Endlichkeit und Beſchränktheit, Ge- meinſchaftlichkeit iſt Freiheit und Unendlichkeit. Der Menſch für ſich iſt Menſch (im gewöhnlichen Sinne), der Menſch mit Menſch d. h. die Einheit von Jch und Du iſt Gott.“ Es iſt bei den zahlreichen Berührungen, die zwiſchen Feuerbach und Comte beſtehen, zu verwundern, daß C. N. Starcke, Feuerbachs berufener Darſteller und Jnterpret, in ſeinem jüngſt erſchienenen Werke nicht nur unterlaſſen hat, eine eingehende Parallele zwiſchen beiden Denkern zu ziehen, ſondern den Namen Comte in ſeinem Werke auch nicht ein- mal erwähnt. Jndem Feuerbach das Weſen der Religion in der Liebe ſieht, gelangt er dazu, alle Moral auf das Jdentitätsgefühl, auf die natürliche Liebe des Menſchen zum Menſchen zu begründen. Nicht in der Unterwerfung unter das Sittengeſetz, unter die Mah- nung jener Stimme, welche dem Menſchen „du ſollſt“ zuruft, ſondern in der Achtung vor dem Mitmenſchen beſtehe das Weſen der Moral. Feuerbachs Liebe iſt im Grunde nichts Anderes, als Schopenhauer’s Mitleid, und unterſcheidet ſich Druskowitz, Religionserſatz. 3

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/42>, abgerufen am 24.04.2024.