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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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Es muß Duboc das Verdienst eingeräumt werden, so
manches triftige Argument gegen den Pessimismus ins Feld
geführt und die Jdee des Fortschritts im Weltprocesse kräftig
gestützt zu haben. Daß Beides -- Widerlegung des Pessi-
mismus und Begründung des Weltfortschrittes -- in viel
energischerer Weise geschehen kann, wollen wir nicht leugnen.
Die Begründung des Optimismus bildet aber nur die noth-
wendige Voraussetzung für das Gefühl ehrfurchtsvoller Er-
griffenheit durch Erfassung des Weltprocesses, sofern derselbe
einerseits bekannt, andererseits ein Geheimniß, und es ist ein
weiteres Verdienst unseres Philosophen, dies Moment zuerst
abgesondert von jeder religiösen Norm affektiv erfaßt zu haben.

Der Hauptmangel in Duboc's Werke ist die einseitige Be-
stimmung des Begriffes des Weltengeheimnisses. Duboc denkt
dabei nur an die Unermeßlichkeit und Unbestimmbarkeit des
Weltprocesses in der Zeitenfolge, oder er bezeichnet doch nur
diese Seite des großen Geheimnisses als Gegenstand einer
religiösen Erhebung. Aber mehr noch als das Geheimniß
des Werdens ist das des tiefsten Wesens und der Urgründe
alles Seins in's Auge zu fassen, ein Geheimniß, auf welches
Duboc wohl hindeutet, ohne ihm jedoch die Stelle einzu-
räumen, die es verdient.*)

Ferner aber ist der Affect, in welchen der empfängliche
Geist durch die Erfassung des Weltprocesses und des Welten-
geheimnisses versetzt wird, bei Duboc nicht im Sinne einer
wirklich aufgeklärten Weltanschauung bestimmt. Wie schon
der Titel seines Buches besagt, unterscheidet Duboc nicht

*) Jn dem Bewußtsein, daß ein Geheimniß uns umschwebe, daß
es eine letzte unpersönliche Ursache gebe, und zwar allein darin, will
Gaetano Negri in dem Buche "Die religiöse Krisis", deutsch von M.
G. Conrad (Breslau 1878), einen Religionsersatz erblicken. -- Die Be-
deutung des Buches liegt in einer schneidigen Polemik gegen das
Christenthum.

Es muß Duboc das Verdienſt eingeräumt werden, ſo
manches triftige Argument gegen den Peſſimismus ins Feld
geführt und die Jdee des Fortſchritts im Weltproceſſe kräftig
geſtützt zu haben. Daß Beides — Widerlegung des Peſſi-
mismus und Begründung des Weltfortſchrittes — in viel
energiſcherer Weiſe geſchehen kann, wollen wir nicht leugnen.
Die Begründung des Optimismus bildet aber nur die noth-
wendige Vorausſetzung für das Gefühl ehrfurchtsvoller Er-
griffenheit durch Erfaſſung des Weltproceſſes, ſofern derſelbe
einerſeits bekannt, andererſeits ein Geheimniß, und es iſt ein
weiteres Verdienſt unſeres Philoſophen, dies Moment zuerſt
abgeſondert von jeder religiöſen Norm affektiv erfaßt zu haben.

Der Hauptmangel in Duboc’s Werke iſt die einſeitige Be-
ſtimmung des Begriffes des Weltengeheimniſſes. Duboc denkt
dabei nur an die Unermeßlichkeit und Unbeſtimmbarkeit des
Weltproceſſes in der Zeitenfolge, oder er bezeichnet doch nur
dieſe Seite des großen Geheimniſſes als Gegenſtand einer
religiöſen Erhebung. Aber mehr noch als das Geheimniß
des Werdens iſt das des tiefſten Weſens und der Urgründe
alles Seins in’s Auge zu faſſen, ein Geheimniß, auf welches
Duboc wohl hindeutet, ohne ihm jedoch die Stelle einzu-
räumen, die es verdient.*)

Ferner aber iſt der Affect, in welchen der empfängliche
Geiſt durch die Erfaſſung des Weltproceſſes und des Welten-
geheimniſſes verſetzt wird, bei Duboc nicht im Sinne einer
wirklich aufgeklärten Weltanſchauung beſtimmt. Wie ſchon
der Titel ſeines Buches beſagt, unterſcheidet Duboc nicht

*) Jn dem Bewußtſein, daß ein Geheimniß uns umſchwebe, daß
es eine letzte unperſönliche Urſache gebe, und zwar allein darin, will
Gaëtano Negri in dem Buche „Die religiöſe Kriſis“, deutſch von M.
G. Conrad (Breslau 1878), einen Religionserſatz erblicken. — Die Be-
deutung des Buches liegt in einer ſchneidigen Polemik gegen das
Chriſtenthum.
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[66/0075] Es muß Duboc das Verdienſt eingeräumt werden, ſo manches triftige Argument gegen den Peſſimismus ins Feld geführt und die Jdee des Fortſchritts im Weltproceſſe kräftig geſtützt zu haben. Daß Beides — Widerlegung des Peſſi- mismus und Begründung des Weltfortſchrittes — in viel energiſcherer Weiſe geſchehen kann, wollen wir nicht leugnen. Die Begründung des Optimismus bildet aber nur die noth- wendige Vorausſetzung für das Gefühl ehrfurchtsvoller Er- griffenheit durch Erfaſſung des Weltproceſſes, ſofern derſelbe einerſeits bekannt, andererſeits ein Geheimniß, und es iſt ein weiteres Verdienſt unſeres Philoſophen, dies Moment zuerſt abgeſondert von jeder religiöſen Norm affektiv erfaßt zu haben. Der Hauptmangel in Duboc’s Werke iſt die einſeitige Be- ſtimmung des Begriffes des Weltengeheimniſſes. Duboc denkt dabei nur an die Unermeßlichkeit und Unbeſtimmbarkeit des Weltproceſſes in der Zeitenfolge, oder er bezeichnet doch nur dieſe Seite des großen Geheimniſſes als Gegenſtand einer religiöſen Erhebung. Aber mehr noch als das Geheimniß des Werdens iſt das des tiefſten Weſens und der Urgründe alles Seins in’s Auge zu faſſen, ein Geheimniß, auf welches Duboc wohl hindeutet, ohne ihm jedoch die Stelle einzu- räumen, die es verdient. *) Ferner aber iſt der Affect, in welchen der empfängliche Geiſt durch die Erfaſſung des Weltproceſſes und des Welten- geheimniſſes verſetzt wird, bei Duboc nicht im Sinne einer wirklich aufgeklärten Weltanſchauung beſtimmt. Wie ſchon der Titel ſeines Buches beſagt, unterſcheidet Duboc nicht *) Jn dem Bewußtſein, daß ein Geheimniß uns umſchwebe, daß es eine letzte unperſönliche Urſache gebe, und zwar allein darin, will Gaëtano Negri in dem Buche „Die religiöſe Kriſis“, deutſch von M. G. Conrad (Breslau 1878), einen Religionserſatz erblicken. — Die Be- deutung des Buches liegt in einer ſchneidigen Polemik gegen das Chriſtenthum.

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/75>, abgerufen am 28.03.2024.