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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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welches unter Menschen bestehen kann, das der Mensch nicht
schafft, sondern vorfindet, welches auch dann vorhanden ist,
wenn die Menschen sich ihm nicht unterwerfen, da es aller-
dings nicht unwiderstehlich wirkt, wie das Gefetz der Gravita-
tion, und das eine Form des allgemeinen Gesetzes, nach dem
die Dinge das werden, was sie werden sollen. Es liegt
etwas Hinreißendes in der Gluth, mit welcher Salter für
die Jdee der allgemeinen Gerechtigkeit eintritt, -- wenn er auch,
wie wir sogleich sehen werden, ein allzu kühnes Vertrauen in
die menschliche Natur setzt -- und seiner edlen Begeisterung
entspricht die wirkungsvolle Schönheit seiner Rede, die aus
dem Herzen quillt.

Wir können nicht von Kapitel zu Kapitel mit dem Ver-
fasser fortschreiten, sondern wollen nur auf einige Haupt-
punkte des Werkes näher eintreten.*)

Salter's philosophischer Standpunkt ist kein einheitlicher,
doch zeigt sich Salter am meisten von Kant inspirirt, wie sogleich
seine ersten Bemerkungen über den Gegenstand beweisen. So
heißt es pag. 23: "Unsere moralische Natur ist diejenige,
durch welche wir uns über uns selbst erheben und in eine
ideale Region eintreten. Die Wissenschaft mit ihren Metho-
den der Beobachtung und des Experimentes ist auf die Welt,
wie sie ist, beschränkt, die Moral ist ihrem Wesen nach der

*) Die Ueberschriften der zehn Kapitel sind folgende: 1) Die
Religion der Moral, 2) Das ideale Element in der Moral, 3) Wendell
Philipps, ein Beispiel idealer Moral, 4) Was ist eine moralische Hand-
lung? 5) Giebt es ein höheres Gesetz? 6) Giebt es etwas Absolutes in
der Moral? 7) Die Sittenlehre Jesu, 8) Befriedigt die Sittenlehre
Jesu die Bedürfnisse unserer Zeit? 9) Erfolg und Mißerfolg des Pro-
testantismus, 10) Weshalb der Unitarismus uns nicht befriedigt, 11)
Das sociale Jdeal, 12) Das Problem der Armuth, 13) Die Basis der
ethischen Bewegung, 14) Rede am ersten Jahrestage der Gesellschaft
für moralische Cultur, 15) Betrachtung von Einwänden gegen die
ethische Bewegung.
Druskowitz, Religionsersatz. 6

welches unter Menſchen beſtehen kann, das der Menſch nicht
ſchafft, ſondern vorfindet, welches auch dann vorhanden iſt,
wenn die Menſchen ſich ihm nicht unterwerfen, da es aller-
dings nicht unwiderſtehlich wirkt, wie das Gefetz der Gravita-
tion, und das eine Form des allgemeinen Geſetzes, nach dem
die Dinge das werden, was ſie werden ſollen. Es liegt
etwas Hinreißendes in der Gluth, mit welcher Salter für
die Jdee der allgemeinen Gerechtigkeit eintritt, — wenn er auch,
wie wir ſogleich ſehen werden, ein allzu kühnes Vertrauen in
die menſchliche Natur ſetzt — und ſeiner edlen Begeiſterung
entſpricht die wirkungsvolle Schönheit ſeiner Rede, die aus
dem Herzen quillt.

Wir können nicht von Kapitel zu Kapitel mit dem Ver-
faſſer fortſchreiten, ſondern wollen nur auf einige Haupt-
punkte des Werkes näher eintreten.*)

Salter’s philoſophiſcher Standpunkt iſt kein einheitlicher,
doch zeigt ſich Salter am meiſten von Kant inſpirirt, wie ſogleich
ſeine erſten Bemerkungen über den Gegenſtand beweiſen. So
heißt es pag. 23: „Unſere moraliſche Natur iſt diejenige,
durch welche wir uns über uns ſelbſt erheben und in eine
ideale Region eintreten. Die Wiſſenſchaft mit ihren Metho-
den der Beobachtung und des Experimentes iſt auf die Welt,
wie ſie iſt, beſchränkt, die Moral iſt ihrem Weſen nach der

*) Die Ueberſchriften der zehn Kapitel ſind folgende: 1) Die
Religion der Moral, 2) Das ideale Element in der Moral, 3) Wendell
Philipps, ein Beiſpiel idealer Moral, 4) Was iſt eine moraliſche Hand-
lung? 5) Giebt es ein höheres Geſetz? 6) Giebt es etwas Abſolutes in
der Moral? 7) Die Sittenlehre Jeſu, 8) Befriedigt die Sittenlehre
Jeſu die Bedürfniſſe unſerer Zeit? 9) Erfolg und Mißerfolg des Pro-
teſtantismus, 10) Weshalb der Unitarismus uns nicht befriedigt, 11)
Das ſociale Jdeal, 12) Das Problem der Armuth, 13) Die Baſis der
ethiſchen Bewegung, 14) Rede am erſten Jahrestage der Geſellſchaft
für moraliſche Cultur, 15) Betrachtung von Einwänden gegen die
ethiſche Bewegung.
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[81/0090] welches unter Menſchen beſtehen kann, das der Menſch nicht ſchafft, ſondern vorfindet, welches auch dann vorhanden iſt, wenn die Menſchen ſich ihm nicht unterwerfen, da es aller- dings nicht unwiderſtehlich wirkt, wie das Gefetz der Gravita- tion, und das eine Form des allgemeinen Geſetzes, nach dem die Dinge das werden, was ſie werden ſollen. Es liegt etwas Hinreißendes in der Gluth, mit welcher Salter für die Jdee der allgemeinen Gerechtigkeit eintritt, — wenn er auch, wie wir ſogleich ſehen werden, ein allzu kühnes Vertrauen in die menſchliche Natur ſetzt — und ſeiner edlen Begeiſterung entſpricht die wirkungsvolle Schönheit ſeiner Rede, die aus dem Herzen quillt. Wir können nicht von Kapitel zu Kapitel mit dem Ver- faſſer fortſchreiten, ſondern wollen nur auf einige Haupt- punkte des Werkes näher eintreten. *) Salter’s philoſophiſcher Standpunkt iſt kein einheitlicher, doch zeigt ſich Salter am meiſten von Kant inſpirirt, wie ſogleich ſeine erſten Bemerkungen über den Gegenſtand beweiſen. So heißt es pag. 23: „Unſere moraliſche Natur iſt diejenige, durch welche wir uns über uns ſelbſt erheben und in eine ideale Region eintreten. Die Wiſſenſchaft mit ihren Metho- den der Beobachtung und des Experimentes iſt auf die Welt, wie ſie iſt, beſchränkt, die Moral iſt ihrem Weſen nach der *) Die Ueberſchriften der zehn Kapitel ſind folgende: 1) Die Religion der Moral, 2) Das ideale Element in der Moral, 3) Wendell Philipps, ein Beiſpiel idealer Moral, 4) Was iſt eine moraliſche Hand- lung? 5) Giebt es ein höheres Geſetz? 6) Giebt es etwas Abſolutes in der Moral? 7) Die Sittenlehre Jeſu, 8) Befriedigt die Sittenlehre Jeſu die Bedürfniſſe unſerer Zeit? 9) Erfolg und Mißerfolg des Pro- teſtantismus, 10) Weshalb der Unitarismus uns nicht befriedigt, 11) Das ſociale Jdeal, 12) Das Problem der Armuth, 13) Die Baſis der ethiſchen Bewegung, 14) Rede am erſten Jahrestage der Geſellſchaft für moraliſche Cultur, 15) Betrachtung von Einwänden gegen die ethiſche Bewegung. Druskowitz, Religionserſatz. 6

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/90>, abgerufen am 29.03.2024.